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WALD/254: Zeitenwende im Forst? (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2019
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Zeitenwende im Forst?

von Helge May


Klimawandel und anhaltende Trockenheit lassen die Borkenkäfer-Bestände geradezu explodieren. Geht das so weiter, hat die Fichte als Forstbaum im Flachland keine Zukunft mehr.


In den vergangenen Wochen haben die Waldbrände in Kiefernforsten für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem die Forstwirtschaft zu kämpfen hat. Neben Sturmschäden und Feuer macht dem Wald auch Insektenfraß zu schaffen. Vor allem Borkenkäfer richten große Schäden an.

Laut Bundeslandwirtschaftsministerium sind 2018 rund 32 Millionen Kubikmeter Schadholz angefallen. Das ist fast die Hälfte des in Deutschland üblichen normalen Holzeinschlags. Das bereits hohe Stressniveau und Vorschädigungen können dazu führen, dass der Befall 2019 sogar noch höher ausfällt.

Hausgemachte Probleme - Dass von den Bränden und den Insekten vor allem Kiefern und Fichten betroffen sind, ist kein Zufall. Und bei allem Verständnis für die daraus folgenden wirtschaftlichen Nöte der Waldbesitzer muss man feststellen: Die jetzigen Probleme sind weitgehend hausgemacht. Monotone, naturferne Nadelholzforste sind wesentlich anfälliger als naturnahe Laubmischwälder.

Die Fichte gehört zum natürlichen Baumartenspektrum in Deutschland. Allerdings kommt sie von Natur aus nur in den höheren Lagen der Mittelgebirge und in den Alpen vor. Auf Grund der Nutzungsgeschichte und der ökonomischen Interessen von Forst- und Holzindustrie hat die Fichte heute einen völlig überhöhten Waldanteil von 25 Prozent.

Douglasien sind keine Lösung - Dürre und Hitze fördern den Borkenkäfer-Befall. Zudem haben durch Stürme vorgeschädigte Wälder den Insekten weniger entgegenzusetzen. Jetzt gilt es, aus den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte zu lernen. Gerade im öffentlichen Wald dürfen wirtschaftliche Interessen nicht das Maß der Dinge sein.

Kurzfristige Lösungen gibt es nicht. Mittel- bis langfristig hilft nur der Umbau hin zu Laub- und Mischwäldern. Der Trend der Forstwirtschaft, Fichten durch amerikanische Douglasien und andere schnellwachsende Nadelbaumarten zu ersetzen, verhindert dagegen die Entwicklung naturnaher Waldstrukturen. Hier würden alte Fehler durch neue Fehler ersetzt. Das heißt auch, dass staatliche Hilfe für Waldbesitzer an klare ökologische Bedingungen geknüpft werden müssen.

Die Eichen warten schon - Erste Schritte in diese Richtung geht man nun in Rheinland-Pfalz. "Mischwälder erweisen sich im Klimawandel als besonders anpassungsfähig und bieten Gewähr für die Erhaltung der Wälder und ihrer vielfältigen Funktionen, insbesondere der Artenvielfalt", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Land, Waldbesitzern und Umweltverbänden. Kommunen und Privatbesitzer verpflichten sich, den Wald durch eine nachhaltige Forstwirtschaft anpassungsfähiger zu machen. Der NABU wird darauf achten, dass Nachhaltigkeit hier nicht nur in Festmetern Holz gemessen wird. Die Fichte hat jedenfalls in den niedrigen Lagen keine Zukunft mehr, Buchen und Eichen werden an ihre Stelle treten.

Von der Katastrophe zur Vielfalt - Dass der Wald sich selbst von flächendeckenden Borkenkäferbefall rasch erholen kann, zeigen die Erfahrungen in den Nationalparks Bayerischer Wald und Harz. In Bayern hatte man schon ab den 1970ern mit tausenden Hektar toter Fichten zu tun, im Harz wütet der Borkenkäfer aktuell, 2018 waren mindestens 800 Hektar betroffen.

Was folgt - bei absolutem Nichtstun des Menschen - ist eine rasche Verjüngung des Waldes, bei der die Fichten-Reinbestände durch eine bunte Baumvielfalt von Eberesche und Zitterpappel bis Buche und Eiche ersetzt wird.

Für Anwohner und Urlauber ist der Anblick der dahinsterbenden Fichten zunächst ein Schock. Je mehr der neue Naturwald nachwächst, desto größer wird aber die Akzeptanz für das Zulassen der scheinbaren Katastrophe. Die Tierwelt reagiert ohnehin rasch. Am vom Borkenkäfer besonders betroffenen Achtermann-Gipfel im Harz konnte der NABU bereits 50 Prozent mehr Vogelarten feststellen.

"In Sturmes Nacht sank des Waldes Pracht.
Willst Du den Wald bestimmt vernichten,
so pflanze nichts als reine Fichten."

Diese bittere Erkenntnis ist fast hundert Jahre alt. 1921 ließ sie das Forstamt Breitenthal nach einem verheerenden Sturm in Stein meißeln.


Info

Einer kommt, Tausende folgen - Direkt furchterregend sehen die beiden nicht aus. Buchdrucker bringen es auf knapp fünf Millimeter, die kleineren Kupferstecher messen kaum drei Millimeter. Selbst unter der Lupe haben die häufigsten unserer über hundert heimischen Borkenkäferarten wenig Bedrohliches.

Fraßgänge im Bast - Die Folgen für von den Borkenkäfern besiedelte Bäume, vor allem Fichten, können aber verheerend sein. Die Käfer und ihre Larven haben es auf den Bast zwischen Rinde und Holz abgesehen. Die erwachsenen Käfer bohren sich durch die Rinde und legen darunter ihre Eier ab.

Die daraus schlüpfenden Larven fressen sich seitlich weiter durch den Bast. Vom Erscheinungsbild der dabei entstehenden, fein verästelten Fraßgänge haben Buchdrucker und Kupferstecher ihren Namen. Wo die Käferlarven fressen, verlaufen auch die Wasser- und Nährstoffleitungen der Bäume. Bei starkem Fraß werden diese unterbrochen und der Baum stirbt.

Klebrige Gegenwehr - Natürlich wehren die Bäume sich. Sie sondern Harz ab, das die Käfer und ihre Bohrgänge verklebt. Das ist so lange erfolgreich, wie genügend Harz produziert werden kann und nicht zu viele Käfer bohren. In Trockenzeiten fehlt den Fichten die Flüssigkeit zur Harzbildung, die Käfer haben dann leichtes Spiel. Sind erste Borkenkäfer erfolgreich eingedrungen, locken mit dem Bohrmehl austretende Duftstoffe rasch weitere Käfer an.

Wer genau hinschaut, kann die Bohrlöcher an den Fichtenstämmen entdecken, kleine Bohrmehlhäufchen am Stammfuß sind ein weiteres Zeichen. Stark befallene Fichten verfärben sich in der Krone zunächst rötlich, bis schließlich der ganze Baum abstirbt.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2019, Seite 22 - 23
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2019

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