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TRADITIONELL/001: Indien - "Saaten-Mütter", Hüterinnen des traditionellen Saatguts (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juli 2011

Indien: Feldfrüchte ohne Pestizide und Patente - Die Hüterinnen des traditionellen Saatguts

Von Manipadma Jena


Bhubaneswar, Indien, 5. Juli (IPS) - In den entlegenen Dörfern der ethnischen Gemeinschaften der Koya und Kondh im ostindischen Bundesstaat Orissa sind rund 200 sogenannte Saaten-Mütter, Aktivistinnen des Netzwerks 'Navdanya' ('Neun Feldfrüchte') auf der Suche nach traditionellem Saatgut. Sie sammeln und registrieren die vielfältigen Hirse-, Reis-, Bohnen- und andere Saatgutsorten, die hier im Hinterland gezüchtet, angebaut und ausgetauscht werden.

In Indiens 'Reisschüssel' Orissa hat der ertragreiche, mit Kunstdünger und Pestiziden betriebene Reisanbau die traditionellen Saaten weithin verdrängt. Gegen diese Abhängigkeit der Bauern von Agrokonzernen ziehen die Frauen von 'Navdanya' zu Felde. In den Bezirken Malkangiri und Kandhamal haben sie bereits 1.500 Bauernfamilien in 80 Dörfern vom Anbau traditioneller Feldfrüchte überzeugt, die zudem die Folgen des Klimawandels wie zunehmende Dürreperioden und Überflutungen besser überstehen. Die Aufklärungskampagne wird in weiteren 140 Dörfern fortgesetzt.

Der bisherige Erfolg der Saaten-Mütter ist bemerkenswert, denn das gebirgige, schwer unzugängliche Malkangiri ist Orissas rückständigster Bezirk. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Doch mit großem Eifer überzeugen Aktivistinnen wie Kanamma Madkami aus dem Dorf Kanjeli ihre Nachbarinnen vom Nutzen des überlieferten, pestizidfreien Ackerbaus mit traditionellem Saatgut und Naturdünger. "Auf diese Weise kommen wir am besten mit dem unberechenbaren Monsunregen aus, haben für die Kinder genug zu essen und geraten nicht in die Fänge der Geldverleiher", erklärte die 65-Jährige. Sie hat 29 einheimische Hirse- und Reissorten angebaut.

In Orissa koordiniert Kusum Misra die Arbeit des Netzwerks 'Navdanya', das sich in mehr als 16 indischen Bundesstaaten etabliert hat und von 54 kommunalen Saatgutbanken unterstützt wird. "Einheimische Pflanzen haben sich seit Jahrhunderten dem Klima und den Bodenverhältnissen ihrer Umgebung angepasst", erklärte sie. "So hält etwa der einheimische Reis eine Trockenperiode von 30 Tagen aus, während die ertragreichen Hybridsorten nur 15 Tage überstehen. In der Ebene schaden zwei Wochen lange Überschwemmungen den traditionellen Reissorten nicht, und den im Hochland angebauten einheimischen Reis kann man nach 60 Tagen ernten. Die Hybridsorten sind erst nach 125 Tagen erntereif."


Wenig Geld für traditionelle Sorten

In ihrem Heimatbezirk Balasore, wo viel Reis angebaut wird, hat Misra mehr als 65 verschiedene Reissorten gesammelt und angepflanzt, darunter salzwasserresistente, hitzebeständige und besonders aromatische Sorten. "Die Regierung bezahlt die Bauern für traditionelle Sorten schlecht, um sie vom Anbau abzubringen", kritisierte sie. "Die Reismühlen verarbeiten lieber Körner gleicher Größe. Zudem schreibt der Staat den Vertriebsstellen von Hybridreis Mindestabsätze vor", stellte sie fest.

Omprakash Rautaraya, Vorsitzender der gemeinnützigen 'Organisation for Rural Reconstruction and Integrated Social Service Activities', lobt die methodische Arbeit der Saaten-Mütter. "Sie kartografieren die Standorte lokaler Sorten und befürworten ihren Anbau, denn deren Wasserbedarf und Ernteschema ermöglicht mehrere Ernten im Jahr." Alljährlich nach der Regenzeit organisieren die Saatgut-Aktivistinnen in den Gemeinden Jahrmärkte, auf denen sie für den Anbau traditioneller Saaten werben. Bei ihnen können auch die Frauen einheimischer Ethnien die traditionelle Landwirtschaft ihrer Vorfahren neu erlernen.

Die staatliche Nationalbank für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (NABARD) klagt über die mangelhafte Qualität des von der Regierung vertrieben Saatguts. In einem Bericht im März war von einem Rückgang der Reisproduktion in sechs östlichen Bundesstaaten die Rede. Schlechtes Saatgut und immer öfter auftretende Überflutungen und Dürreperioden wurden als Ursachen für die Ernteausfälle genannt.

Dazu erklärte Vandana Shiva, Indiens angesehene Umweltaktivistin und Gründerin des Saatgut-Netzwerks: "Es ist wichtig, dass die Bewahrung klimaresistenter Saaten in der Hand von Frauen liegt. Denn bei über 1.600 Patenten für solches Saatgut handelt es sich um Biopiraterie von Konzernen. Wenn man ihnen die Monopolisierung der Saatgutversorgung überlässt, kann es weder eine sichere Nahrungsmittelversorgung noch Klimasicherheit geben", warnte sie. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.navdanya.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=56332

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2011