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AUEN/070: So schnell verzeiht die Aue nicht (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser

So schnell verzeiht die Aue nicht

von Marlis Heinz


Es ist eine konfliktbeladene Nachbarschaft, die von Fluss und Mensch. Beide erheben Anspruch auf das Land an den Ufern. Der Fluss, weil er sich ausdehnen muss, wenn ihm große Wassermassen zufließen. Der Mensch, weil er will, dass dort sein Vieh weidet, seine Brücken und Häuser stehen oder seine Schiffe anlegen. Ein paar Jahrhunderte lang schien der Mensch die Oberhand zu gewinnen. Deiche zog er durch die Talniederungen und rang dem Fluss Streifen um Streifen Uferland ab. Die Elbe musste in ihrem Mittellauf rund 80 Prozent ihres ursprünglichen Überschwemmungsgebietes hergeben. Hinter den Deichen verkümmerte die Artenvielfalt, erlahmte die Auendynamik.

Dass der Fluss solch eine Einengung nicht "klaglos" hinnehmen kann, bewies spätestens das Elbehochwasser 2002. Zu jenen, denen nicht erst diese Katastrophe die Augen öffnete, gehörten Wissenschaftler des UFZ. Schon Ende der 1990er Jahre waren sie eingebunden in das Projekt RIVA. Zoologen, Botaniker, Hydrologen, Bodenkundler und Statistiker suchten gemeinsam nach einem Indikationssystem, mit dessen Hilfe auf den ökologischen Zustand einer Aue geschlossen werden kann. Und sie fanden tatsächlich Indikatoren wie Tier- und Pflanzenarten, deren Präsenz Aussagen zulässt, inwieweit die Überflutungsdynamik eines Auenabschnitts noch oder wieder naturnah ist. Dies zu wissen ist wichtig, denn "... funktionierende Auen sind wie eine gute Versicherung", so Mathias Scholz vom UFZ. "Sie beheimaten nicht nur bedrohte Arten, sondern puffern die Fluten ab und sorgen dafür, dass die Auswirkungen auf die Menschen geringer ausfallen. Deshalb brauchen wir hinreichend sichere Kriterien, um ökologische Folgen der Eingriffe in die Auenlandschaft prognostizieren zu können."

Im Oktober 2009 hat das Bundesamt für Naturschutz den ersten Auenzustandsbericht vorgelegt. Demnach sind in Deutschland bereits zwei Drittel der einstigen Überschwemmungsflächen der Überflutungsdynamik der Flüsse entzogen, nur noch zehn Prozent der Überflutungsauen selbst sind in einem naturnahen Zustand. In einem weiteren Forschungsprojekt ermitteln nun UFZ-Wissenschaftler zusammen mit weiteren Forschungseinrichtungen, welche Bedeutung die Auenlandschaften als Lebensräume für Pflanzen und Tiere, für das Hochwassermanagement, die Nährstoffretention, den Gewässerschutz und den Klimawandel haben. "Unsere Ergebnisse werden wir einfließen lassen in Handlungsempfehlungen an die Politik", erklärt Scholz, der die Auenforschung am UFZ koordiniert. Denn wichtige Funktionen und Dienstleistungen der Flusslandschaften wurden in den vergangenen Jahrzehnten kaum beachtet. "Auenlandschaften können vor extremen Überschwemmungen schützen, sie binden aber auch Treibhausgase, reinigen das Grundwasser und zählen zu den Lebensräumen mit der höchsten Artenvielfalt in Mitteleuropa", so Scholz.

Neben der Erfassung der Gegebenheiten standen gezielte Veränderungen und deren Beobachtung auf dem Programm. Dort, wo die Elbe bei Roßlau (Ortsteil von Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt) vorbeifließt, begann ein bislang für diesen Fluss einmaliges Experiment: Im Roßlauer Oberluch wurde 2006 landeinwärts ein neuer Deich gebaut und der alte geschlitzt. Rund 140 Hektar Altaue hatten die Chance, wieder überflutet und zur dynamischen Flussaue zu werden. Aber funktioniert das? Kann man den Hebel einfach wieder umlegen? Die UFZ-Wissenschaftler unter Leitung von Dr. Klaus Henle wollten diese Frage beantworten und erwarteten mit Spannung die erste Flut. Die Zeit bis dahin nutzten sie, um das künftige Auen-Stück mit einem Messnetz zu überziehen und den Status quo zu dokumentieren. Vor Ort untersuchten Botaniker, Zoologen, Bodenkundler und Hydrologen die für sie reservierten, dicht beieinander liegenden Areale. Die Ergebnisse wurden mit zwei Referenzgebieten in einer deichgeschützten und einer naturbelassenen Aue verglichen.

Im Frühjahr 2009 war es dann so weit: Erstmals überflutete ein Hochwasser das Rückdeichungsgebiet. Es begann wieder das intensive Zählen und Messen. Verändern sich die Zahl und die Aktivität der Schnecken, Laufkäfer und Heuschrecken bereits? Verschiebt sich die Struktur der Sedimente? Wie reagiert das Grundwasser? Um Aussagen über die Veränderungen treffen zu können, sind mehrjährige Datenreihen und entsprechende Auswertungen nötig. Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Erste Daten deuten bereits darauf hin, dass naturnahe Überflutungsverhältnisse geschaffen wurden und mit einem auentypischen höheren Grundwasserstand zu rechnen ist. Damit sind bereits nach kurzer Zeit typische Auenverhältnisse entstanden, an die sich Flora und Fauna nun wieder anpassen müssen. Die Auenrenaturierung braucht einen langen Atem. Die Roßlauer übrigens haben sich eingerichtet mit ihrem neuen Deich. Auch wenn die Elbe ihren Häusern jetzt näher kommt als früher - der neue Hochwasserschutz ist sicherer.


UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Klaus Henle (Leiter), Mathias Scholz
Dept. Naturschutzforschung

e-mail: klaus.henle[at]ufz.de; mathias.scholz[at]ufz.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Saale-Elbe-Mündung bei Barby im Biosphärenreservat Mittlere Elbe. Entlang der Mittleren Elbe sind derzeit 15 Deichrückverlegungen mit einer Gesamtfläche von 2.600 Hektar geplant.


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Quelle:
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser, S. 23
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011