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AUEN/104: Mit voller Kraft voraus - Renaturierungsprojekt Untere Havel (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2021
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Mit voller Kraft voraus

von Nicole Flöper


Vor 16 Jahren hat der NABU das größte Renaturierungsprojekt Europas gestartet. Das rund 9.000 Hektar große Kerngebiet an der Unteren Havel bleibt ein Naturparadies und somit Refugium für viele Tier- und Pflanzenarten. Mittlerweile gilt es als Vorbildprojekt für andere Maßnahmen.

Rund zwei Drittel der Auenfläche in Deutschland sind nicht mehr an die Gewässer angeschlossen. Vom verbliebenen Drittel weisen mehr als 50 Prozent einen stark oder sehr stark veränderten Charakter auf. Das zeigte der in diesem Frühjahr veröffentlichte Auenzustandsbericht des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). Intakte Auen dienen als Kohlenstoffsenken und leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Als Überflutungsflächen sind sie eine wichtige Hilfe zur Milderung der Folgen der Klimakrise.

Das NABU-Leuchtturmprojekt ist seit 2005 die Renaturierung der Unteren Havel. 16 Jahre dauert das größte Renaturierungsprojekt eines Flusses in Europa also schon und setzt Maßstäbe für andere Projekte dieser Art. Das rund 9.000 Hektar große viele Jahre bedrohte Kerngebiet bleibt damit ein Naturparadies und Refugium für viele Tier- und Pflanzenarten. Die bisherigen Gesamtkosten für das Hauptvorhaben, das Gewässerrandstreifenprojekt Untere Havelniederung, in Höhe von rund 41 Millionen Euro tragen der Bund (75 Prozent), die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt (11 und 7 Prozent) sowie der NABU (7 Prozent). Darüber hinaus gibt es mittlerweile zahlreiche flankierende Maßnahmen aus anderen Finanzierungsquellen, darunter Landesförderungen, Mitteln der Ausgleichsabgabe und natürlich Spenden.

Fortschritte im Jahr 2020 - "Fünf Altarme wurden 2020 wieder angeschlossen, damit sind nun bereits 14 Altarme mit der Havel verbunden. Das sorgt für lebendige Fließgewässer, und die entstehenden Inseln bieten wichtige Nahrungs- und Ansiedlungsmöglichkeiten für Vögel und Biber", sagt Projektleiter Rocco Buchta. Auch die Reaktivierung von vier Flutrinnen und niedrigen Auenflächen war 2020 möglich, womit die Zahl der fertiggestellten Maßnahmen dieser Art auf 43 anstieg. Der Anschluss von Flutrinnen sowie der Rückbau von Uferverwallungen und Dämmen schaffen eine natürliche Verbindung zwischen Fluss und Aue, bei Hochwasser kann das sauer- und nährstoffreiche Wasser der Havel wieder durch die Wiesen und Röhrichte ihrer Aue fließen. Je nach Überflutungsdauer bilden sich auf diesen Flächen Lebensräume für die stark gefährdeten Flutrasen- und Auenwiesengesellschaften.

Intakte Auen dienen als Kohlenstoffsenken und leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Auwald, zurückgewonnene Aue und entsiegelte Ufer - Insgesamt 58 Hektar Auwald, darunter auch sechs Hektar auf der Mögeliner Insel bei Premnitz, konnten gepflanzt werden. "Der Auwald leistet einen wichtigen Beitrag zur diversen Lebensraumstruktur. Zudem spenden die Bäume Schatten. Das kühlere Wasser kann mehr Sauerstoff binden und verbessert dadurch die Lebensbedingungen für Fische und Insekten", so Buchta. Außerdem sind weitere rund 3.000 Meter Deckwerk an mehreren Stellen zwischen Rathenow und der Havelmündung zurückgebaut worden, insgesamt sind es bisher 17.000 Meter. Die entsiegelten Flächen ermöglichen wieder naturnahe Uferstrukturen und die Entwicklung von Uferpflanzen. Zudem konnten insgesamt 4,25 Kilometer Deich rückgebaut werden, womit sich die Überflutungsaue der Havel um 745 Hektar erweiterte.
Begonnen wurde im letzten Sommer auch mit einem ersten Projekt im Rahmen des neuen Auen-Förderprogramms des BfN, der "Revitalisierung der Havelaue bei Bölkershof". Das südlich von Rathenow angesiedelte Vorhaben grenzt direkt an das Projektgebiet des Gewässerrandstreifenprojektes Untere Havelniederung und erweitert dessen Maßnahmen sinnvoll. Es wird in den nächsten fünf Jahren durch den Rückbau von Deichen auf einer Länge von 580 Metern die überflutbare Havelaue erweitert, um die Artenvielfalt zu schützen sowie den Klima- und Hochwasserschutz zu verbessern.

Die Havel - für das größte Renaturierungsprojekt eines Flusses in Europa, braucht es noch viel Anstrengung, um dieses Naturparadies und Refugium für viele Tier- und Pflanzenarten zu schützen.

Forderungen an die Bundesregierung - Zum Ende des Jahres erwarten wir eine Renaturierungsgesetzgebung der EU, hier sollte Deutschland vorbereitet sein", erläutert NABU-Biodiversitäts-Experte Till Hopf die Notwendigkeit einer Renaturierungsagenda. Das Auenförderprogramm für das "Blaue Band" laufe gerade gut an, dabei allein dürfe es aber nicht bleiben. Deshalb fordert der NABU von der zukünftigen Bundesregierung die Einrichtung eines Renaturierungsfonds in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich, um Projekte zur Wiederherstellung von Artenvielfalt und Ökosystemen zu fördern - neben Flussauen auch Moore, Wälder und Wildnisgebiete. "Wir schlagen vor, einen Bundesraumordnungsplan 'Gewässerkorridore' aufzustellen. So können Grundsätze für die Gewässerentwicklung auf Bundesebene planerisch festgelegt werden", so Hopf. Außerdem müsse zukünftig auf eine Privatisierung von Bundesflächen verzichtet werden, um diese unter anderem für den Gewässer- und Auenschutz zur Verfügung zu stellen.

Auch Rocco Buchta hofft künftig auf wesentlich stärkere Anstrengungen der Bundesregierung in Sachen Flussrenaturierung. So übernimmt der NABU etwa Verantwortung beim bereits im Antragsverfahren befindlichen Projekt "AllerVielfalt", bei dem er in Kooperation mit dem Landkreis Verden und der Wasserstraßenverwaltung des Bundes Teile der Bundeswasserstraße Aller renaturieren will. Solche Projekte werden künftig im ganzen Bundesgebiet gebraucht, wenn man die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie an den großen deutschen Flüssen erreichen will.

Info
Mehr Infos zum Projekt auf
www.NABU.de/Unterehavel


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Rocco Buchta ist seit 2005 Projektleiter des NABU-Leuchtturmprojektes Renaturierung der Unteren Havel.
- Uferschnepfe
- Die Havel ist ein typischer Tieflandfluss. sie hat einen 341 Kilometer langen Verlauf, zuerst in südlicher, dann in westlicher und schließlich in nordwestlicher Richtung. Dabei überwindet der Fluss lediglich ein Gefälle von rund 40 Metern.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2021, Seite 24-26
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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