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FORSCHUNG/379: Killer-Shrimps - Gefahr für unsere Flüsse? (idw)


Universität Koblenz-Landau - 16.04.2015

Killer-Shrimps - Gefahr für unsere Flüsse?


Können neu eingewanderte Arten die Nahrungsnetze unserer Flüsse negativ beeinflussen und sind bestimmte Ökosysteme empfindlicher gegenüber einwandernden Arten als andere? - Diese Fragen stehen im Fokus des Emmy-Noether-Projektes, in dem Forscher der Universität Koblenz-Landau mit Unterstützung ihrer Kollegen an der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz und der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes die Mechanismen und Folgen der Einwanderung des Großen Höckerflohkrebses (Dikerogammarus villosus) untersuchen.


Inmitten dichter Wasserpflanzen - Foto: © Udo Rose

Der Große Höckerflohkrebs frisst eine Wasserassel.
Foto: © Udo Rose

Dieser Krebs, im englischsprachigen Raum auch als "killer shrimp" bezeichnet, ist in den 1990er-Jahren über den Main-Donau-Kanal in den Rhein eingewandert und hat sich von dort aus schnell über ganz Europa verbreitet. Der Große Höckerflohkrebs ist ein Allesfresser und kann sich sowohl räuberisch ernähren als auch Algen oder vom Ufer eingetragenes Laub fressen. In Laborversuchen wurde von anderen Arbeitsgruppen beobachtet, dass er sich unter Laborbedingungen deutlich räuberischer verhält als Bachflohkrebse, seine einheimischen Verwandten.

Verschiedene Wissenschaftler, unter anderem Tierökologen der Bundesanstalt für Gewässerkunde, haben entdeckt, dass während der Einwanderung des Großen Höckerflohkrebses andere wirbellose Arten seltener wurden oder gar verschwanden. Solche Beobachtungen können wichtige Hinweise zu den ökologischen Folgen des Einwanderers liefern. Sie können aber nicht beweisen, dass der Große Höckerflohkrebs tatsächlich der Auslöser dieser Veränderungen ist, da die großen Flüsse gleichzeitig einer Vielzahl von Belastungen unterliegen.

Um diesen Zusammenhang näher zu untersuchen, führen die Forscher der Universität Koblenz-Landau Mesokosmenexperimente in Elbe und Rhein durch. In diesen Experimenten werden kleine Ausschnitte des Ökosystems -sogenannte Mesokosmen - durch die Wissenschaftler gezielt verändert. In diesem Fall wird die Anzahl der Höckerflohkrebse in einigen Mesokosmen künstlich reduziert und in anderen erhöht.

Durch den Vergleich der Zusammensetzung der vorhandenen Arten in den verschiedenen Mesokosmen hoffen die Forscher weitere Erkenntnisse über den Einfluss des Einwanderers in den Ökosystemen zu erlangen. Dabei wird nicht nur untersucht, ob sich die Individuenzahl verschiedener Arten ändert. Die Wissenschaftler analysieren auch, wie es um den physiologischen Zustand möglicher Konkurrenten oder Beutetiere des Höckerflohkrebses steht. Außerdem werden die Architektur der Nahrungsnetze und die Funktion des Großen Höckerflohkrebses in diesen Nahrungsnetzen untersucht. Dazu ist es notwendig, einzelne wirbellose Tiere vor Ort mit flüssigem Stickstoff zu konservieren, um damit den aktuellen physiologischen Zustand und die chemische Zusammensetzung des Gewebes zu erfassen. Im Labor wird die Konzentration verschiedener Reservespeicherstoffe bestimmt, um zu erfahren, ob die Organismen große Mengen an Energie gespeichert haben oder vielleicht unter Nahrungsmangel litten. Außerdem kann anhand der Messung stabiler Isotope und Mageninhaltsanalysen untersucht werden, wovon sich der Große Höckerflohkrebs in seiner natürlichen Umgebung ernährt.

Erste Ergebnisse zeigen, dass der Große Höckerflohkrebs in der Elbe vermutlich kein "echter" Räuber ist, sondern sich hauptsächlich von Pflanzenresten ernährt. Das steht im Widerspruch zu den bisher publizierten Beobachtungen aus den Laborexperimenten und könnte darauf hinweisen, dass dieser Einwanderer ein sehr breites Verhaltensrepertoire hat. Die Tiere könnten sich also je nach Umgebung und Umweltbedingungen sehr verschieden ernähren. Diese Annahme wird durch die Beobachtung unterstützt, dass der Höckerflohkrebs im Rhein neben Pflanzenresten größere Mengen eines anderen eingewanderten Flohkrebses (Echinogammarus ischnus) frisst. Im Rhein ist der Große Höckerflohkrebs daher eher als Allesfresser einzustufen.

Warum sich die Ernährungsgewohnheiten des großen Höckerflohkrebses zwischen den beiden Gewässern unterscheiden, ist allerdings noch nicht bekannt. Auch die Folgen dieses Einwanderers scheinen zumindest in der Elbe bei weitem nicht so drastisch zu sein, wie vermutet wurde. In den bisher durchgeführten Experimenten konnte keine direkte Beeinträchtigung einheimischer Arten durch den Höckerflohkrebs nachgewiesen werden.

Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass der Große Höckerflohkrebs prinzipiell unproblematisch für unsere Gewässer ist. Die Ergebnisse eines acht Wochen dauernden Experimentes sind nicht ohne weiteres auf die Vorgänge im gesamten Ökosystem übertragbar. Vielleicht gab es in Rhein oder Elbe sehr sensible Arten, die bereits längst verschwunden sind und daher nicht mehr den Einfluss des Einwanderers unterliegen. Denkbar wäre auch, dass sich der Höckerflohkrebs in den Mesokosmen anders verhält als in Freiheit.

Mittels weiterer Experimente wird nun geklärt, ob im Rhein negative Auswirkungen durch die Einwanderung zu erkennen sind, da sich der Höckerflohkrebs nach den vorliegenden Ergebnissen dort deutlich räuberischer verhält. Sollten auch im Rhein keine negativen Einflüsse des Einwanderers nachweisbar sein, so steht eine genaue Analyse der ehemals beobachteten Veränderungen in der Artenzusammensetzung des Rheins und der Elbe an. Ziel ist es dann, herauszufinden, ob es sich um Unterschiede zwischen Experiment und Realität handelt oder ob vielleicht andere mit der Einwanderung einhergehende Umweltfaktoren eine Rolle gespielt haben.


Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier:
http://www.uni-koblenz-landau.de/de/koblenz/fb3/ifin/abteilung-biologie/ag-fliessgewaesser/forschung/emmy

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news629375

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution183

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Koblenz-Landau, Bernd Hegen, 16.04.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2015

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