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MELDUNG/132: Natura 2000 - Vorwärts, rückwärts und abwarten (BUND NI)


BUND Landesverband Niedersachsen e.V. - Hannover, 9. Mai 2014

Rechtswidrige Vorgaben des Landes für europäische Schutzgebiete

BUND, Greenpeace und NABU legen Rechtsgutachten vor



Hannover, 9. Mai 2014 - Ein Runderlass des Umwelt- und des Landwirtschaftsministeriums aus der Zeit des Regierungswechsels zwingt die Naturschutzbehörden der Kreise und Städte, rechtswidrige Schutzverordnungen zu erlassen. Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens, das die Umweltverbände BUND, Greenpeace und NABU in Auftrag gegeben haben und heute veröffentlichen. Seit über einem Jahr ist dieser Runderlass weder zurückgezogen noch geändert und blockiert so neue Unterschutzstellungen. Andererseits drängt das Niedersächsische Umweltministerium die Naturschutzbehörden mit Recht, möglichst bald Schutzverordnungen für alle Gebiete des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 zu erlassen. Die Umweltverbände sehen auch mit Sorge, dass es mit dem Schutz nicht voran kommt, können aber diese Widersprüchlichkeit nicht verstehen: Vorwärts, rückwärts und abwarten, das fordert das Umweltministerium von den Kreisen und Städten, und zwar alles gleichzeitig.

Nach Richtlinien der EU hätten bis spätestens 2013 alle rund 860.000 Hektar Natura-2000-Flächen in Niedersachsen nach deutschem Recht als Schutzgebiete, insbesondere als Natur- oder Landschaftsschutzgebiete, ausgewiesen werden müssen. Dies ist aber überwiegend noch nicht geschehen, vor allem, weil die alte Landesregierung die Ausweisungen lange gebremst hat. Die Europäische Kommis-sion hat deshalb ein Beschwerdeverfahren gegen Deutschland und damit auch das zuständige Land Niedersachsen eingeleitet. Das Beschwerdeverfahren bezieht sich zunächst auf die FFH-Gebiete, also Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die etwa 70 Prozent der Natura-2000-Flächen ausmachen. Dem Land droht eine Verurteilung mit erheblichen Strafzahlungen. Daraufhin hatte das Niedersächsische Umweltministerium jetzt die Kreise und Städte aufgefordert, bis zum 29. April verbindlich zu berichten, bis wann und in welcher Form die Schutzverordnungen erlassen bzw. an die europäischen Anforderungen angepasst werden.

Eine große Bedeutung im Schutzgebietsnetz haben Wälder. Knapp 40 Prozent der Landfläche in den FFH-Gebieten ist Wald und 292 (rund 75 Prozent) der 385 niedersächsischen FFH-Gebiete enthalten Waldanteile, die besonders geschützt werden sollen. Noch die alte Landesregierung wollte deshalb in einem Runderlass festlegen, welche Verbote in Schutzverordnungen für Natura-2000-Wälder zu erlassen sind. Obwohl sich BUND, Greenpeace und NABU vehement gegen diese Regelungen ausgesprochen und erhebliche rechtliche und fachliche Bedenken geäußert hatten, wurde der Runderlass noch nach der verlorenen Wahl unter dem Titel "Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung" zusammen mit weiteren damit zusammen-hängenden Vorschriften herausgegeben. Die neue Regierung hatte dann angekündigt, die Vorschrift auf den Prüfstand zu stellen und die Naturschutzbehörden im April 2013 aufgefordert, bis zum Ergebnis der Prüfung keine Schutzverordnungen in Natura-2000-Wäldern zu erlassen, was drei Viertel der FFH-Gebiete betrifft. Gleichzeitig wurde der Runderlass der alten Regierung nicht aufgehoben. Damit verfügen die Naturschutzbehörden über keine Arbeitsgrundlage, um Ihren Aufgaben zeit- und sachgerecht nachzukommen.

Vor diesem Hintergrund hatten BUND, Greenpeace und NABU ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem geprüft werden sollte, ob auf Basis des Runderlasses eine Unterschutzstellung im Sinne der Richtlinien möglich ist. Anlass waren auch Überlegungen aus dem Umweltministerium, dass das aus Sicht der Naturschutzverbände bereits völlig unzureichende Schutzniveau des Runderlasses noch weiter abgesenkt werden könnte.

Das Gutachten kommt zum Ergebnis, dass der Runderlass mit europäischem und deutschem Naturschutzrecht unvereinbar ist. Nach der FFH-Richtlinie gilt nämlich für alle FFH-Gebiete ein absolutes Verschlechterungsverbot. Die Schutzverordnungen müssen sicherstellen, dass der Zustand der Lebensräume und Arten, für die das Gebiet ausgewiesen wurde, mindestens gleich bleibt oder sich verbessert. Zum Beispiel steht deshalb in vielen deutschen Naturschutzgebietsverordnungen, dass in einem Wald, der wegen seiner Naturnähe geschützt ist, auch nur Baumarten neu gepflanzt werden dürfen, die von Natur aus hier vorkommen. Nach dem Runderlass dürfen die Naturschutz-behörden solch eine konsequente Regel aber nicht mehr erlassen, sondern es muss immer erlaubt werden, auch einen Anteil von aus Naturschutzsicht problematischen Bäumen neu zu pflanzen, etwa die Douglasie, die vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) als Gefahr für naturnahe Wälder eingestuft wird. Ähnliches gilt für Regelungen zur Erhaltung von Höhlenbäumen, alten und abgestorbenen Bäumen, zum Schutz vor Befahren des Waldbodens, zum Verbot von Kahlschlägen, Düngung, Kalkung, chemischem Pflanzenschutz und Entwässerung, zu Ausbau und Instandsetzung von Wegen und zu forstlichen Arbeiten in der Brutzeit. In allen Fällen werden Gebote und Verbote, die sich in vielen bestehenden Schutzverordnungen bewährt haben, nicht mehr zugelassen. Vorgeschrieben werden den Naturschutzbehörden stattdessen aufgeweichte Regelungen, die zu Verschlechterungen im Gebiet führen können und deshalb rechtswidrig sind. Bedenklich ist auch, dass die ohnehin unzureichenden Verbote immer nur für die wertvollsten Parzellen und nicht für das ganze Schutzgebiet gelten dürfen, so dass es innerhalb jedes Schutzgebiets einen undurchschaubaren Flickenteppich von Flächen geben soll, auf denen ganz unterschiedliche Regeln gelten.

Es müsste selbstverständlich sein, dass das Land die Kreise und Städte nicht mit einer Vorschrift zwingt, gegen Naturschutzrecht zu verstoßen. Die Anwendung des Runderlasses wäre für das Ziel, unsere wertvollsten Wälder und ihre Arten zu erhalten, ein Desaster. Es ist kein anderes Bundesland bekannt, in dem Vorgaben für den Naturschutz im Wald gemacht werden, die derartig gegenüber vielen bewährten Schutzverordnungen zurückfallen. BUND, Greenpeace und NABU fühlen sich durch das Gutachten in ihrer Forderung bestätigt, den Runderlass endlich komplett zu überarbeiten. Die Naturschutzbehörden sollen so ein gutes Werkzeug in die Hand bekommen, mit dem sie die europäischen Verpflichtungen umsetzen können. Vorschläge der drei Verbände für einen geeigneten Vorschriftentext liegen seit langem vor. Im nächsten Schritt muss es auf dieser Grundlage finanzielle Anreize für private Waldbesitzer geben, die vorbildlich die geschützten Wälder erhalten.

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Quelle:
Presseinformation vom 09.05.2014
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Landesverband Niedersachsen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2014