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MASSNAHMEN/332: Vernetzte Lebensraumstrukturen gegen die Verarmung der Natur (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Herbst 2022 / Themenheft Mobilität
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Gegen die Verarmung der Natur

Schutz und Orientierung
Deshalb sind vernetzte Lebensraumstrukturen für die Mobilität und das Überleben von Wildtieren und Wildpflanzen so wichtig

von Helge May


Ob von Straßen umzingelt oder von Ackersteppe: Die Zerschneidung von Lebensräumen kann für Tier- und Pflanzenpopulationen schwerwiegende Folgen haben. Selbst scheinbar perfekt ausgestattete Flächen werden zur Falle, sobald eine bestimmte Größe unterschritten ist.

Es muss nicht gleich eine sechsspurige Autobahn sein, manchmal genügt schon ein hoher Bordstein. Während die meisten Vögel und viele Insekten Hindernisse überfliegen können, stoppen andere Arten bereits ab, wenn sich die Oberflächenbeschaffenheit ändert, wenn es zu glatt, zu rau, zu heiß, zu trocken oder zu feucht wird.

Freier Blick oder volle Deckung?

Entweder sind sie körperlich nicht in der Lage, ein Hindernis zu überwinden, oder sie scheuen sich. Wer auf Gefahren mit davonrennen oder davonfliegen reagiert, will freies Sichtfeld, um rechtzeitig gewarnt zu sein. Die Nähe zu einer Hecke wird dann gemieden, denn es könnte sich ja ein Feind verstecken. Wer eher langsam unterwegs ist, meidet dagegen größere Offenflächen.

Dieser Typ ist bei weitem in der Überzahl. Bevorzugt werden ausreichend Deckung sowie durchgängige Biotopstrukturen im eigenen Wohlfühlbereich. Letzteres gilt auch für die meisten Pflanzen. Wichtig sind unter anderem Feuchtigkeits- und Besonnungsgrad, Nährstoffgehalt und Wuchskonkurrenz durch andere Pflanzenarten. Es sind also längst nicht nur Verkehrswege, die behindern. Die Barrierewirkung einer größeren Ackerfläche ist ebenso enorm. Selbst ohne Pestizideinsatz.

Inseln im Maismeer

Ob von Straßen umzingelt oder von Ackersteppe: Die Folgen für Tierpopulationen sind schwerwiegend. Offensichtlich ist dies, wenn Teillebensräume fehlen, etwa für die Nahrungssuche oder für die Fortpflanzung. Doch selbst scheinbar perfekt ausgestattete Flächen werden zur Falle, sobald eine bestimmte Größe unterschritten ist.

Wissenschaftler haben die dabei auftretenden Effekte zuerst für Meeresinseln beschrieben. Vieles trifft aber auch für unsere Kulturlandschaft zu. Vor allem findet kein Genfluss mehr zwischen isolierten Teilpopulationen statt. Über kurz oder lang führt das zu genetischer Verarmung und damit zu verminderter Anpassungs- und Überlebensfähigkeit. Treten Krankheiten auf, können kleine Vorkommen komplett verschwinden. Geschieht das an mehreren Orten, sterben Arten lokal oder regional aus. Die Wahrscheinlichkeit der Wiederbesiedlung aus anderen Regionen ist wegen der Isolation gering.

Lücken im Beziehungsnetz

Das Verschwinden einzelner Arten reißt Lücken in das mannigfaltige Beziehungsnetz der Ökosysteme. Fallen zum Beispiel bestimmte Bestäuberinsekten aus, verringert sich bei Pflanzen der Samenansatz. Wobei umgekehrt die Abhängigkeit vieler Insekten von bestimmten Pflanzen noch größer ist. Ohne blühende Ochsenzungen hat die Ochsenzunge-Sandbiene schlechte Karten.

Auch zwischen Räubern und Beute bestehen enge Beziehungen. Fällt die Beute aus, muss der Räuber zusehen, ob er Ersatz findet. Fällt der Räuber aus, wird sich die Beute zunächst einmal vermehren. Es können aber auch plötzlich neue Räuber auftreten, die vorher nicht zum Zuge kamen. Oder die vermehrte Beute kriegt selbst Nahrungsbeschaffungsprobleme, wird möglicherweise sogar anfälliger für Krankheiten. Es muss sich also vieles neu zurechtrütteln.

Wichtig sind Landschaftselemente zudem für Wanderungen und zur Orientierung. Selbst Arten, die für längere Strecken den Sonnenstand oder das Erdmagnetfeld nutzen, bewegen sich oft auf Sicht entlang von Strukturen und markanten Punkten.

Natur neu verbinden

Trotz aller Naturschutzbemühungen werden unsere Landschaften immer eintöniger. Sarkastisch könnte man sagen, von jetzt an kann es nur noch aufwärts gehen. Gegengesteuert werden soll lokal, regional, bundes- und sogar europaweit mit einem sogenannten Biotopverbund. Ob ein System möglichst vieler kleiner oder weniger großer Lebensrauminseln besser wirkt, wird heiß diskutiert. Die Antwort richtet sich auch danach, welche Arten man konkret fördern möchte. Ebenso vielfaltig sind die Verbindungselemente, wobei auch das Beseitigen von Hindernissen den Biotopverbund fördert - etwa Verbauungen entlang von Flüssen. Der NABU leistet hier mit seinem Großprojekt an der Unteren Havel Pionierarbeit.

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Pflicht zum Biotopverbund
Das Aktionsprogramm 'Natürlicher Klimaschutz' und der Bundesnaturschutzfonds bieten erstmals eine landesweite Perspektive für die Renaturierung von Auen, Wäldern und Mooren. Flankenschutz kommt zudem aus dem Naturschutzpaket der EU im Rahmen des Green Deal. In der intensiv genutzten Landschaft mit zahlreichen konkurrierenden Nutzungsansprüchen wird die Umsetzung dennoch ein hartes Stück Arbeit.
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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Hirschkäfer
• Ackerlandschaft mit einsamem Feldgehölz
• Baummarder
• Kleinteilig strukturierte Landschaften empfinden wir als schön. Für Hermelin, Fischotter und Laufkäfer zählt dagegen allein, ob ihre Ansprüche fürs tägliche Leben erfüllt sind.

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Quelle:
Naturschutz heute - Herbst 2022, Seite 46-47
(Text der Online-Fassung)
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. Dezember 2022

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