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LAIRE/053: Schleichender Abschied vom Individualverkehr (SB)


Autofahren wird unerschwinglich


In zehn, zwanzig Jahren wird sich das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland und anderen Staaten aufgrund des Erdölmangels und der Erderwärmung fundamental wandeln. Die Veränderungen dürften um vieles gravierender ausfallen als die der letzten fünfzig Jahre. Was angesichts des dichten und bestens ausgebauten Straßennetzes in der Autofahrernation Deutschland kaum vorstellbar scheint: Individualverkehr wird weitgehend abgeschafft. Der Weg zu diesem Ergebnis verlief bislang schleichend, erfuhr aber zu Beginn dieses Jahres durch die Einführung von Umweltzonen einen kleinen Schub.

Das Präludium für die Abschaffung der individuellen, motorisierten Fortbewegung bildeten die Sonntagsfahrverbote nach den Ölpreisschocks in den siebziger Jahren. Als sehr viel später unter entscheidender Mitwirkung der Partei der Grünen eine Ökosteuer auf Benzin eingeführt wurde, besaß diese schrittweise Verteuerung die kalkulierte Wirkung, daß die Menschen "bewußter" fuhren, das heißt, schon mal aufs Rad umstiegen oder zu Fuß gingen, Fahrgemeinschaften bildeten und ähnliche kostensenkende Maßnahmen mehr ergriffen.

Von seiner gesellschaftlichen Wirkung her kann man das noch nicht als Einschränkung des Individualverkehrs bezeichnen, doch die Richtung wurde damit vorgegeben. Die gegenwärtigen Benzinpreise von 1,35 bis 1,40 Euro - was immerhin nach alter Währung 2,70 bis 2,80 DM entspricht - schlagen dagegen schon gewichtiger zu Buche. Insbesondere weil vor drei Jahren das Hartz-IV-Verarmungsprogramm aufgelegt wurde, das den Betroffenen kaum die Möglichkeit läßt, ein eigenes Auto zu besitzen. Bei den heutigen Benzinpreisen sind längere Ausflüge nahezu ausgeschlossen. Hier hat man es bereits mit einer indirekten Form der Fahrbeschränkung zu tun.

Ein regelrechtes Verbot wurde Anfang dieses Jahres in Berlin, Köln und Hannover eingeführt. Die Innenstädte wurden als Umweltzonen ausgewiesen und dürfen nur noch von jenen Autos befahren werden, die über eine Plakette verfügen. In Anpassung an EU-Vorgaben zur Senkung der Feinstaubbelastung in deutschen Städten richten sich diese No-go-Areas gegen jene Autobesitzer, die es sich nicht leisten können, ihren fahrbaren Untersatz umzurüsten oder sich ein neueres Auto zu kaufen, das dann die Abgasnormen erfüllt.

Das betrifft zunächst einmal nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, aber ein Anfang ist gemacht. In weiteren deutschen Städten sind ähnliche Fahrverbote in Vorbereitung und sollen noch in diesem Jahr verhängt werden. Darüber hinaus wird von Politikern eine generelle Mautgebühr ins Gespräch gebracht. Sollte es dazu kommen, daß nicht nur Lkws, sondern auch Pkws künftig auf Autobahnen und bestimmten Bundesstraßen eine Gebühr entrichten müssen, dann zielt diese Maßnahme erneut auf jene Autofahrer, die sich kaum ein eigenes Fahrzeug leisten können. Die Mautgebühr bildet ein administratives Lenkungsinstrument, das sich vor allem gegen die ärmeren Menschen richtet.

Noch haben die Regierungen keine Vereinbarungen getroffen, welche Klimaschutzmaßnahmen ab dem Jahre 2012, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft, greifen sollen. Denkbar wären aber zusätzliche Beschneidungen des Individualverkehrs über den Kostenfaktor. Zudem gibt es keine Experten, die behaupten, daß der Ölpreis wieder auf einen Wert von zehn oder zwanzig Dollar pro Barrel sinken wird. Anders gesagt: Treibstoff wird teurer und teurer. Analysten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung rechnen mit einem Ölpreis von 200 Dollar/Barrel im Jahre 2020.

Das wird logischerweise zu einer Reduzierung des Individualverkehrs beitragen. Möglicherweise wird die Bundesregierung aus Klimaschutzgründen wie auch aufgrund des sich abzeichnenden eklatanten Ölmangels administrative Zwangsmaßnahmen ergreifen müssen, um den Verbrauch zu senken. Da aber bereits heute die einkommensschwachen Haushalte im Verhältnis zu ihren finanziellen Möglichkeiten ungleich stärker zur Kasse gebeten werden, muß mit der Fortsetzung dieser Politik gerechnet werden. Das könnte darauf hinauslaufen, daß die Mehrheit der Bundesbürger vom Individualverkehr ausgeschlossen wird.

Was aber geschieht mit der Produktion? Deutschland ist Exportweltmeister und will es bleiben. Der Industriestandort soll ja aus Sicht der Regierung nicht kollabieren wie einst die DDR nach ihrer Angliederung an den Westen. Die Menschen müssen weiter zur Arbeit fahren - wie kann da auf das Auto verzichtet werden?

Unter den gegebenen Umständen wird das sicherlich schwierig, wenngleich die Regierung auf die Idee kommen könnte, daß für rund vier Millionen Arbeitslose gar nicht die Notwendigkeit einer individuellen Fortbewegung per Auto besteht. Mit diesen Menschen würde ähnlich verfahren, wie sie es bereits heute erleben: Sie gelten als überschüssig und könnten abgeschoben werden. Dafür bieten sich die Plattenbauten in den ostdeutschen Bundesländern an. In solchen Formen vertikaler Lagerhaltung lassen sich Menschen recht gut unter Kontrolle bringen. Wohingegen die Möglichkeit besteht, daß die von der Industrie benötigten Beschäftigten künftig wieder verstärkt in Werkswohnungen, in unmittelbarer Nähe zum eigenen Arbeitsplatz, untergebracht werden. Was sollen sie dann noch mit einem eigenen Auto?

4. Januar 2008