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LAIRE/072: US Supreme Court - Navy darf Meeressäuger verletzen (SB)


Die US-Navy steht über dem Gesetz

Ein Gerichtsurteil, das den Schutz der Meeressäuger vor dem lauten Knall von Sonargeräten aufhob, betrifft nicht allein die Tiere, sondern auch die US-Bevölkerung allgemein


Die Meeressäuger vor der südkalifornischen Küste dürfen von der US-Navy gequält, schwer verletzt und getötet werden, weil die Sicherheit des Landes vorgeht. So lautet zugespitzt formuliert ein Urteil des Obersten Gerichts der USA vom 12. November 2008. Zuvor hatten Umweltschützer gerichtlich durchgesetzt, daß die Navy bei ihren Übungen vor der südkalifornischen Küste keine Sonargeräte mit mittlerer Reichweite einsetzt, falls sich Meeressäuger in der Nähe aufhalten.

Die Sonargeräte erzeugen unter Wasser laute Explosionspulse. Anhand der reflektierten Schallwellen sollen feindliche U-Boote aufgespürt werden. Die obersten Richter hoben nun die Entscheidung eines untergeordneten Gerichts wieder auf und gaben der Klage der Navy größtenteils statt. Auch bestätigten sie damit US-Präsident Bushs Intervention, der eine Gefahr für die nationale Sicherheit zu erkennen glaubte, sollte die Navy ihre Sonargeräte nur unter eingeschränkten Bedingungen benutzen dürfen [1]. Die neun Richter des Supreme Court fällten kein einstimmiges Urteil und beteuerten, daß sie der Navy keinen Freifahrtschein erteilt hätten. Jeder Fall müsse künftig einzeln geprüft werden. Für Anfang nächsten Jahres wird von der Navy eine Umweltverträglichkeitsprüfung erwartet.

Trotz der Einschränkungen hat das Supreme Court damit zweifelsfrei eine Richtung vorgegeben, an der sich in Zukunft US-Richter, die vor ähnliche Entscheidungen gestellt werden, orientieren. Der Navy wurde es leicht gemacht. Sie brauchte nur das Totschlagargument vorzubringen, daß eine bestimmte Einschränkung ihrer Aktivitäten die nationale Sicherheit gefährdet. Länder wie China, Nordkorea und andere potentielle Widersacher besäßen so leise U-Boote, daß sie anders als durch aktive Ortung nicht entdeckt werden könnten, und das müsse geübt werden.

Das Oberste Gericht hat mit seiner Entscheidung das Artenschutzabkommen und das Abkommen zum Schutz der Meeressäuger ad absurdum geführt. Faktisch steht das Militär über dem Gesetz. Dieser Ansicht war auch die Richterin beim Obersten Gericht Ruth Bader Ginsburg, wenn sie als Vertreterin der liberalen Position erklärte, daß die Übungen zwar wichtigen Interessen dienten, aber der Navy nicht gestatteten, Umweltgesetze zu verletzen [1]. Mit dieser Einschätzung vermochte sich Ginsburg nicht durchzusetzen.

Es geht bei dem Urteil nicht allein um Wale, Delphine und andere Meeresbewohner, deren Unversehrtheit potentiell gefährdet ist, sondern auch um Menschen. Hier wird ein bestimmtes Verhältnis des Militärs gegenüber der übrigen Gesellschaft verankert: Die Streitkräfte stehen über dem Gesetz, wohingegen für Zivilisten keine Ausnahmen gemacht werden.

Vor der südkalifornischen Küste leben 37 verschiedene Arten von Meeressäugern. Wale beispielsweise verständigen sich über weite Entfernungen mittels Schallwellen. Ihre Hörorgane reagieren entsprechend empfindlich auf Schalldruck. Ein Knall in ihrer Nähe kann zu schweren Gewebeverletzungen führen, so wie eine Trommel beschädigt wird, wenn sie nicht mit einem Schlagzeugstock, sondern einem Vorschlaghammer bearbeitet wird. Als Bühneneinlage einer Rockgruppe kann so etwas reizvoll sein, für die Wale ist es das keinesfalls. Und für die US-Bürger ist der ganze Vorgang ebenfalls nicht lustig. Sie müssen hinnehmen, daß für das Militär andere Regeln gelten als für sie. Zwar werden die Bürgerrechte in den USA nicht erst seit der Amtsübernahme von George W. Bush eingeschränkt, aber die sogenannten 9/11-Anschläge haben einen Innovationsschub an Repressionen gebracht.

Das Oberste Gericht, auf dessen Zusammensetzung der US-Präsident maßgeblichen Einfluß ausgeübt hat, indem er seine Möglichkeiten, ihm tendenziell wohlgesonnene Richter zu ernennen, weitreichend ausschöpfte, liegt mit seiner Entscheidung auf der Linie der Bush-Administration, die lautet, daß beim Kampf gegen Terrorismus der staatliche Verfügungsanspruch nicht behindert werden darf. Zwar hat Bush nicht das Kriegsrecht ausgerufen, aber erstens hat er die Weichen gestellt, so daß ein solcher Schritt erleichtert wird, und zweitens hat er eine Vielzahl von Gesetzen und Maßnahmen auf den Weg gebracht, die auch bei einem Ausnahmezustand verhängt würden.

"Wir verleugnen nicht die Bedeutung des ökologischen, wissenschaftlichen und Erholungsinteresses der Kläger an Meeressäugern. Solche Interessen werden jedoch von der Notwendigkeit der Navy, realistische Übungsaufgaben auszuführen, um sicherzustellen, daß sie in der Lage ist, die Bedrohung durch feindliche U-Boote zu neutralisieren, deutlich übertroffen", schrieb der vorsitzende Richter John G. Roberts Jr. laut der "Washington Post" vom 13. November [2]. Wohingegen ein unteres Gericht sowie - nach der Intervention Bushs - ein Berufungsgericht (U.S. Court of Appeals for the 9th Circuit) die Navy verpflichtet hatten, ihre Sonargeräte auszuschalten, sobald Meeressäuger innerhalb von gut zwei Kilometern um ein Kriegsschiff herum entdeckt werden, und die Intensität des Knalls bei bestimmten Meeresbedingungen zu drosseln. Der Streit bezieht sich auf insgesamt vierzehn Übungen, die im Februar 2007 begannen und im Januar 2009 enden sollen.

Wenig überraschend hat die Navy das Urteil des Obersten Gerichts mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen und - im Gegensatz zur Behauptung des Gerichts, daß künftig von Fall zu Fall entschieden werden müsse - darin treffenderweise eine grundlegende Entscheidung gesehen. "Das Urteil war entscheidend für unsere Navy und die nationale Sicherheit", erklärte Navy-Staatssekretär Donald C. Winter. "Wir können nun fortfahren, unsere Seeleute effektiv, unter realistischen Kampfbedingungen auszubilden, und sicherstellen, daß unsere Besatzungen kampfbereit sind, während sie weiterhin die Meeresumwelt zuverlässig bewahren." [2]

Der Natural Resources Defense Council, der die Navy wegen des Einsatzes der Sonargeräte verklagt hatte, zeigte sich gar nicht unzufrieden mit dem Gerichtsurteil. Die Naturschützer verweisen darauf, daß es knapp ausfiel, die Begründung ausdrücklich keinen Freibrief darstellt und vier von sechs Auflagen, die das untere Gericht verhängt hatte, nicht gekippt wurden. Demgegenüber meinte Nathan Herschler, Rechtsexperte des International Fund for Animal Welfare, daß sich die Richter gegenüber den Argumenten der Tierschützer taub gezeigt hätten [2].

Tatsächlich hatte das Gericht die Kläger aufgefordert, konkrete Beweise vorzulegen, daß die Meeressäuger irreparabel verletzt werden; die bloße Annahme dieser Möglichkeit genüge nicht, das sei zu spekulativ. Doch ein solcher Beweis kann von vornherein nicht erbracht werden. Dazu müßten die Kläger schon einen entsprechenden Explosionsknall in der Nähe eines Meeressäugers auslösen und nachsehen, ob dem Tier die Hörmembranen zerrissen wurden, was sich selbstverständlich verbietet.

Allein der Verweis darauf, daß es in der Nähe von Manövergebieten, in denen Meeressäuger gestrandet und verendet sind und ihre anschließende Obduktion eine Verletzung der Hörorgane ergab, genügt dann nicht als ausreichender Beweis, wenn die Richter nicht willens sind, solche Erfahrungen auf diesen konkreten Fall zu übertragen. Oder wenn sie sogar Umweltabschätzungen, die von der Navy selbst durchgeführt wurden und die zu dem Ergebnis gelangten, daß den Meeressäugern vermutlich ein irreparabler Schaden durch die Sonargeräte zugefügt wird, als nachrangig bewerten.

Im übrigen hätte ein Nachweis der Schädlichkeit der Sonargeräte sowieso nichts genutzt. Daran ließ der vorsitzende Richter keinen Zweifel. Er schrieb: "Selbst wenn die Kläger solche irreparablen Schäden durch die Navy-Trainingsübungen präsentiert hätten, würde jede solche Verletzung vom öffentlichen Interesse und dem Interesse der Navy an einer wirksamen, realistischen Ausbildung ihrer Seeleute übertroffen." [2]

Das kann man nur als grundlegende Absage an den Artenschutz bezeichnen. Im übrigen hat das Supreme Court erklärt, daß die unteren Gerichte ihre Zuständigkeit überschritten hätten, indem sie der Navy Einschränkungen oder gar Verbote des Sonareinsatzes auferlegten [3]. Auch diese Aussage läßt auf eine Grundsatzentscheidung und eben nicht auf künftige Fall-zu-Fall-Urteile schließen.

Das Argument der Gefährdung der nationalen Sicherheit wird seine Gültigkeit nie verlieren, da die Militärs aus ihrer Sicht keine unwichtigen Dinge tun, sondern bei allem stets die Wehrhaftigkeit ihres Land bewahren oder verbessern wollen. Dem müssen sich nicht nur die Naturschützer nachordnen, sondern sämtliche Bürger, denn im Zweifelsfall wiegen die Sicherheitsinteressen des Staates schwerer. Der Zweifelsfall wird inzwischen als Dauereinrichtung in Anspruch genommen. Der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen einen Feind, der entweder imaginiert wird und allein propagandistischen Zwecken dient oder aber durch das eigene aggressive Vorgehen nach innen wie nach außen auf den Plan gerufen wird - siehe Irak und Afghanistan -, richtet sich gegen die unmittelbaren und mittelbaren Lebensinteressen der Menschen. Das gilt unter anderem auch für den Wunsch, Meeressäugetiere vor Schaden zu bewahren.


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Anmerkungen:

[1] http://uk.reuters.com/article/worldNews/idUKTRE4AB5DL20081112?sp=true

[2] http://www.washingtonpost.com/wp
-dyn/content/article/2008/11/12/AR2008111201058_pf.html

[3] http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/americas/7725189.stm

13. November 2008