Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

LAIRE/082: Akustische Verseuchung der Meere schreitet voran (SB)


Die Arten des Menschen, am eigenen Ast zu sägen, sind Legion


Was haben die Öffnung der Nordwestpassage in der Arktis, der Aufbaue einer globalen Datenkommunikation, die Suche nach neuen Offshore-Erdölfeldern und deren Erschließung sowie der Beginn einer neuen Phase des Kalten Kriegs zwischen der NATO und Rußland gemeinsam? Mit all diesen Aktivitäten steigt der Lärmpegel in den Meeren. Für manche ihrer Bewohner haben die Geräusche bereits ein unerträgliches, zerstörerisches Niveau erreicht.

Von Walen ist bekannt, daß sie sich auf eine Entfernung von bis zu tausend Kilometern verständigen können. Das gelingt aber nur, wenn ihnen niemand dazwischenfunkt. Allein die Schiffsschraube eines Frachters kann die Verständigung der Tiere untereinander verhindern - und auf den Weltmeeren sind eine Menge Schiffe unterwegs. Außerdem werden immer mehr Unterseekabel verlegt, die neu installierten Ölplattformen wandern weiter und weiter ins Meer hinaus, und die führenden Militärmächte belauern sich intensiver denn je.

Nicht viel anders als Landlebewesen werden auch die Meeresbewohner durch den zunehmenden Umweltlärm geschädigt. Einbußen des Hörvermögens sind noch eine geringfügige Folge verglichen mit der Gewebezerstörung der Hörorgane bis hin zum Tod lärmgeplagter mariner Lebewesen, wie einer neuen Studie zu entnehmen ist (ScienceDaily.com, 13. März 2009). Dr. Arthur Popper von der Universität von Maryland und seine Kollegen haben festgestellt, daß die Meeresbewohner auf akustischem Weg einen dreidimensionalen Eindruck ihrer Umgebung gewinnen. Dieser ginge weit über das Visuelle hinaus.

Tatsächlich ist von Lebewesen, die in lichtarmen oder gar lichtlosen Umgebungen existieren, nichts anderes zu erwarten, als daß sie als Ergänzung oder Alternative zum Sehen andere Formen der Wahrnehmung stärker entwickeln. Eine Verständigung über mehrere hundert oder gar tausend Kilometer muß als Spitzenleistung der Natur angesehen werden - so etwas kann der Mensch zwar auch, aber nicht ohne technische Hilfsmittel.

Vor dem Hintergrund dieser Studie und früheren Forschungsarbeiten Poppers zum Lärm in den Meeren ist es absurd anzunehmen, die US-Marine nehme ihre Zusage, sich um das Wohl von Walen und anderen Meeressäugern zu kümmern, ernst. Erst vergangene Woche warnte der Walforscher Jim Hain laut Associated Press (13.3.2009), daß die Kinderstube der nordatlantischen Glattwale an der Küste Nordfloridas und Südgeorgias durch die geplanten Manöver der US-Navy bedroht wird.

Seit vielen Jahren forscht Arthur Popper an der Universität Maryland über die Auswirkungen von Geräuschen auf die Meeresbewohner. Dabei gewann er, je nach Spezies und Experimentanordnung, unterschiedliche Ergebnisse. Das heißt, mal überlebten Fische (Regenbogenforelle) die Versuche nahezu schadlos, mal erlitten sie regelrechte Verletzungen der Hörorgane (Rosa Schnapper). Die Ergebnisse seiner langjährigen Arbeit sind nun in den aktuellen Bericht, der im Fachjournal "Integrative Zoology" veröffentlicht werden soll, eingeflossen.

Es ist leicht vorstellbar, daß es im Vorfeld einer Zerstörung der Hörorgane durch Schallwellen zu Verhaltensänderungen der betroffenen Meeresbewohner kommt. Das Stranden von Walen ist eine naheliegende Folge des Lärmzuwachses. Ob die gestrandeten Wale ihre Orientierung verlieren oder ihren Lebenswillen, ist eine offene Frage. Da dürfte es ihnen nicht viel anders gehen als Menschen, die - mit Blick u.a. auf die Hardrock-Szene: von Ausnahmen abgesehen - ebenfalls starke Lärmquellen meiden, sofern es ihnen möglich ist.

Die Geräuschaktivitäten des im Verhältnis zu Meeressäugern geradezu als taub zu bezeichnenden Menschen machen den Lebensraum für eine Reihe von Tierarten unerträglich. Die Behauptung der US-Navy, sie würde bei ihrem neuen Manövergebiet 75 Seemeilen vor der Küste Nordfloridas Rücksicht auf die Wale nehmen, ist zynisch und wäre in etwa so, als würde jemand ein Düsentriebwerk in der Fußgängerzone anwerfen und versprechen, daß er es nicht voll hochfahren werde. Bei den von der US-Navy eingesetzten Sonargeräten mittlerer Frequenz zur Abwehr von U-Booten werden besonders kräftige und dementsprechend vom wässrigen Medium weit tragende Schallpulse verwendet. Die letzten 300 bis 350 Glattwale in diesem speziellen Lebensraum sind somit hochgradig gefährdet.

Man stelle sich vor, der Mensch könnte sich vielleicht nicht über eine Entfernung von tausend, aber immerhin über hundert Kilometer weit verständigen. Gut anzunehmen, daß er entweder gar keine oder eine völlig andere, auf jeden Fall extrem geräuscharme Technologie entwickelt hätte. Die technischen Geräte des Menschen sind für Wale durch und durch lebensfeindlich.

Nun könnte man die These vertreten, daß das den Menschen nichts angeht, so sei nun mal die Evolution. Diese Denkweise ist kurzsichtig, denn sie unterstellt, daß der Mensch dank seines technologischen Fortschritts der Evolution entfleucht ist. Ein Irrtum, wie zahllose Beispiele belegen. Die Überfischung der Meere und damit der Verlust der eigenen Lebensgrundlage und das Einbringen von Treibhausgasen ins Endlager Atmosphäre mit der wahrscheinlichen Folge dramatischer Klimaveränderungen und somit des Verlusts an Leben und Lebensraum sind nur einige von vielen Vorgängen, die beweisen, daß der Mensch Teil der Evolution ist und nicht, daß er an ihren Schaltknöpfen sitzt.

Wer die ökologische These, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings am anderen Ende der Welt einen Sturm auslösen kann, ernst nimmt, würde die Kinderstube der Wale vor Florida nicht mit Explosionsgeräuschen belästigen. Es gibt sicherlich viele Arten, am eigenen Ast zu sägen. Eine davon besteht darin, sich extrem räuberisch und ignorant gegenüber der Umwelt zu verhalten.

18. März 2009