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LAIRE/146: Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya - bloße Symptombekämpfung (SB)


Verteidigung der eigenen Vorteilsposition im Zeichen des Naturschutzes


Seit dem heutigen Mittwoch wird in Nagoya auf der Ebene der Umweltminister über ein Biodiversitätsabkommen diskutiert, das die nächsten zehn Jahre Gültigkeit haben und den Artenverlust deutlich reduzieren soll. Das bisherige Verhandlungsergebnis wird von den Beteiligten und Beobachtern als sehr dürftig bezeichnet. Vergleichbar mit der Klimakonferenz von Kopenhagen bestehen in der Staatengemeinschaft so eklatante Interessensunterschiede, daß sich die Teilnehmer auf kein verbindliches Vertragswerk einigen können. Das Problem, innerhalb einer durch und durch von Konkurrenz und Ausbeutung bestimmten Wirtschaftsordnung Regeln zur fundamentalen Einschränkung und Transformation eben dieses Wirtschaftens aufzustellen, ist kaum lösbar. Beides wäre aber erforderlich, um zumindest den menschlichen Anteil am Artenverlust abzubremsen.

In früheren internationalen Verträgen auf dem Gebiet der Umwelt wurde von den beteiligten Regierungen noch der Eindruck zu erwecken versucht, sie erlegten sich einen höheren Wert auf als den der unmittelbaren Verwertung von Mensch und Natur innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Als Paradebeispiel gilt das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht (1987 beschlossen, 1989 in Kraft getreten) und - bereits mit erheblichen Abstrichen - das Klimaschutzprotokoll von Kyoto (1997 beschlossen, 2005 in Kraft getreten). Aber spätestens ab der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts gelingt es den einflußreichen Staaten Nordamerikas und Europas nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher, andere Staaten hinter sich zu bringen und das Empordringen neuer Global Players zu verhindern. Selbst zur Zeit des Ost-West-Gegensatzes, der 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion und somit dem Sieg des Westens endete, zeigte sich die "Staatengemeinschaft" in mancher Hinsicht geschlossener als heute, konnten Brücken zum Systemgegner errichtet werden.

Doch weder beim Welthungergipfel in Rom noch bei der UN-Klimakonferenz von Kopenhagen, weder bei der Doha-Runde der Welthandelsorganisation noch bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, welche die Europäische Union mit den AKP-Staaten abschließen will, wurden wesentliche Fortschritte erzielt. Die bislang wirtschaftlich führenden Staaten vermögen sich nicht mehr im gleichen Ausmaß wie in der Vergangenheit gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um zu prognostizieren, daß auch die Umweltminister in Nagoya kein Biodiversitätsabkommen zustandebringen werden, das Aussicht hätte, den rasenden Artenverlust zu stoppen.

Würden die Konferenzteilnehmer ihr behauptetes Anliegen ernsthaft verfolgen, verhandelten sie nicht über Konzepte der Symptomlinderung, sondern nähmen die anthropogenen Voraussetzungen des Artenverlusts in Angriff. Da genügte es nicht einmal, sich von der Wachstumsideologie zu verabschieden, auch wenn dies ein Schritt wäre - so er denn konsequent vollzogen -, der mit den vorherrschenden Raubinteressen der Gesellschaft inkompatibel wäre. Eine weniger entschiedene Abkehr vom Wachstumsbegriff wäre allerdings selbst mit einer grünen oder sozialdemokratischen Position vereinbar.

Solange die politischen Entscheidungsträger die Interessen des Kapitals bedienen, wird damit die Möglichkeit von dessen Akkumulation freigehalten und damit würde die Ausbeutung von Mensch und Umwelt selbst außerhalb einer theoretisch vorstellbaren, nicht dem Wachstumszwang unterworfenen Gesellschaft keineswegs abgeschafft. Über den Erhalt von Arten zu diskutieren fällt ungleich leichter, als sich dem Erhalt des pflanzlichen und tierischen Lebens zu verpflichten. Wiederum über den Erhalt des pflanzlichen und tierischen Lebens zu diskutieren fällt ungleich leichter, als sich dem Erhalt des menschlichen Lebens zu verpflichten. Weltweit befinden sich rund 50 Millionen Menschen auf der Flucht, es hungern fast eine Milliarde Menschen und zwei Milliarden sind arm. Diese Menschen sind nicht Opfer irgendwelcher schicksalhafter Vorgänge, sondern des Sozialkampfs. Diesen in Angriff zu nehmen hieße, sich ebenfalls den fundamentalen Fragen des Naturschutzes zu stellen.

27. Oktober 2010