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LAIRE/184: US-Administration will offenbar schwefelgrün als ökogrün verkaufen (SB)


Umweltgerechtigkeit - Legitimationskonstrukt einer zerstörerischen Verwertungsordnung

US-Behörden wollen im Umweltbereich enger kooperieren


Die gewaltigen Einsparungen, die die US-Regierung vor kurzem beschlossen hat, werden beispiellose Einschnitte bei den staatlichen Sozial- und Umweltleistungen nach sich ziehen. Sobald der Rohstoffabbau (z. B. Uran, Erdöl, Kohle) oder die landwirtschaftliche und industrielle Herstellung von Produkten weitgehend von umweltrelevanten Beschränkungen befreit sind, wird es sowohl allgemein zu einer Verringerung der Lebensqualität als auch konkret zu gesundheitlichen Schädigungen unter der Bevölkerung kommen. Das betrifft dann vor allem die ärmeren Menschen, die traditionell näher an Industriestandorten oder in der Hauptwindrichtung der Städte wohnen, so daß sie und nicht die reicheren Einwohner der schlechteren Luft ausgesetzt sind - übrigens ein historisch gewachsenes urbanes Disparationsphänomen, das auch in deutschen Städten anzutreffen ist.

Über diese Entwicklung macht sich die US-Regierung nichts vor, aber offenbar will sie der üblen Umwelteinflüssen ausgesetzten Bevölkerung etwas vormachen. Die politischen Entscheidungsträger scheinen sich gefragt zu haben, wie sie mit dem bewährten Mittel der Propaganda verschleiern können, daß sich in den nächsten Jahren mehr denn je - bildlich gesprochen - das Öko-Grün der unberührten Wälder in das Schwefelgrün der Schlote wandeln wird. Das Ergebnis der Propagandaoffensive trägt einen Titel: "Memorandum of Understanding on Environmental Justice and Executive Order 12898" (Absichtserklärung zur Umweltgerechtigkeit und Durchführungsverordnung 12898). [1]

Darin erklären die Unterzeichnenden unverbindlich und keinerlei Gesetze oder Bestimmungen einschränkend, daß sie sich für Strategien der Umweltgerechtigkeit starkmachen, das heißt, die Gesundheit von Einwohnern in Gemeinden, die in besonderer Weise von Umweltverschmutzungen betroffen sind, schützen zu wollen. Das gelte insbesondere für bestimmte Minderheiten, einkommenschwache Haushalte und Stammesgemeinschaften. Sie alle verdienten den gleichen Schutz vor Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen, den gleichen Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen und eine gesunde Umwelt, "in der sie leben, lernen und arbeiten können", wie der Environmental News Service (ENS) das Memorandum of Understanding inhaltlich zusammenfaßt. [2]

Die Wichtigkeit der Initiative, die auf den zwischenbehördlichen Umgang abhebt, als Propagandainstrument der Regierung läßt sich am Who is Who der Unterzeichner innerhalb der US-Administration ablesen. Da ist vom Justizministerin bis zur EPA-Administration alles vertreten. [3] Aber nicht erst seit dem 1945 von George Orwell geschriebenen Roman "Animal Farm" (Farm der Tiere) sollte bekannt sein, daß mit dem Anspruch auf Gleichheit das Gegenteil zementiert wird. Das gilt auch für den Begriff der Gerechtigkeit, der in diesem Beispiel mit Umwelt verknüpft wird.

Wenn es so etwas Umweltgerechtigkeit gäbe, könnten sich ja die Schwarzafrikaner aus der stickigen Bronx massenhaft in den Millionärssiedlungen auf der luftig-frischen Insel Martha's Vineyard an der Ostküste und die eingewanderten Latinos aus Los Angeles im wohlhabenden Beverly Hills niederlassen. Das würde unverzüglich durch die Exekutivorgane geahndet, denn die Gebiete sind ja nicht Eigentum der Bronx-Bewohner bzw. Latinos. Aufgrund welcher gesellschaftlichen Voraussetzungen Eigentum verteilt wird, so daß die einen reich, die anderen arm werden, bleibt natürlich unhinterfragt. So werden die Ansprüche von Gleichheit und Gerechtigkeit stets vor dem Hintergrund bestehender und als unumstößlich angesehener Produktions- und Reproduktionsverhältnisse definiert.

Ein Beispiel: In den USA findet rund die Hälfte des potentiell gesundheitsgefährdenden Uranabbaus in den Indianerreservaten statt. Die Bewohner müßten wegziehen, wenn sie nicht den radioaktiv belasteten, schwermetallhaltigen Uranstaub einatmen oder mit dem Trinkwasser aufnehmen wollten. Umweltgerechtigkeit, die ihren Namen verdiente, müßte in diesem Fall letztlich darauf hinauslaufen, daß kein Uran mehr abgebaut wird. Da wird nie und nimmer eintreten. Tatsächlich will die US-Regierung den Uranabbau sogar noch ausdehnen und auf öffentlichem Land gestatten, das an den Naturpark Grand Canyon grenzt [4], damit auch in der Nähe der Indianerreservate liegt und bislang vom Rohstoffabbau ausgenommen war.

"Viel zu oft sind einkommenschwache Haushalte, Minderheiten und Native Americans, die in den Schatten der schlimmsten Umweltverschmutzungen unserer Gesellschaft leben, unverhältnismäßigen Gesundheitsauswirkungen und größeren Hindernissen des ökonomischen Wachstums in Gemeinden, die keine Unternehmen anlocken und neue Jobs schaffen, ausgesetzt", erklärte laut ENS die Leiterin der US-Umweltschutzbehörde EPA, Lisa Jackson. Diese Aussage bestätigt aufs treffendste die ordnungspolitische Befriedungsfunktion der Umweltschutzbehörde. Die eckt zwar hin und wieder mit der Wirtschaft und ihren Lobbyisten im Millionärsclub, der sich Kongreß schimpft, an, aber im wesentlichen sorgt sie dafür, daß das Lebens- und Überlebensinteresse der Bevölkerung dem Verwertungsinteresse der Wirtschaft unterworfen wird, ohne daß größere Unwuchten im gesellschaftlichen Getriebe auftreten.

"Die Bundesbehörden sollen das Memorandum of Understanding in Übereinstimmung mit dem bestehenden Recht und in einem Ausmaß, wie es das Gesetz gestattet, implementieren", heißt es in dem Text. Unverbindlicher geht es nicht. Damit erklären die Unterzeichner schlicht, daß sie sich an die Gesetze halten wollen. Wenn die Behörden in Zukunft aufgrund der gemeinsamen Absichtserklärung an der einen oder anderen Stelle im Umweltbereich Kooperationen eingehen, wozu eigens am 30. September 2011 eine Interagency Working Group gebildet werden soll, dann wiegt das nicht im mindestens die einschneidenden Veränderungen auf, die das Umweltrecht fortan erfahren wird. Das Memorandum of Understanding ist eine Luftnummer, um es zurückhaltend zu formulieren. Im Schatten solcher Erklärungen ist die US-Regierung zur Zeit im Begriff, den Umweltschutz drastisch zurückzunehmen.

Fußnoten:

[1] http://www.epa.gov/compliance/environmentaljustice/resources/publications/interagency/ej-mou-2011-08.pdf

[2] "Obama Cabinet Secretaries Sign Environmental Justice Agreement", Environmental News Service (ENS), 5. August 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/aug2011/2011-08-05-093.html

[3] Eric H. Holder, Jr. (Justizminister), Ken Salazar (Innenminister), Thomas J. Vilsack (Landwirtschaftsminister), Hilda L. Solis (Arbeitsministerin), Kathleen Sebelius (Gesundheitsministerin), Shaun Donovan (Bauminister), Ray LaHood (Verkehrsminister), Steven Chu (Energieminister), Lisa P. Jackson (Direktorin der Umweltschutzbehörde EPA), Rebecca M. Blank (geschäftsführende Handelsministerin), John Conger (geschäftsführender Staatssekretär im Verteidigungsministerium), Arne Duncan (Bildungsminister), Eric K. Shinseki (Kriegsveteranenminister), Janet Napolitano (Heimatschutzministerin), Nancy Sutley (Vorsitzende des Council on Environmental Quality), Martha Johnson (Leiterin der General Services Administration), Karen G. Mills (Leiterin der Small Business Administration)

[4] "House Republicans Chop Clean Water, Air, Wildlife Funding", Environment News Service (ENS), 14. Juli 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/jul2011/2011-07-14-01.html

10. August 2011