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LAIRE/197: Nach Klage der Einwohner stoppt Chiles Oberstes Gericht Bau eines Mega-Windparks (SB)


Keine Umweltverträglichkeitsprüfung für Windpark Parque Eólico Chiloé



Politik und Wirtschaft bereiten sich zur Zeit darauf vor, um im Juni dieses Jahres auf der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung im Rahmen des globalen Konkurrenzsystem "grüne" Technologien durchzusetzen. Unterdessen lassen soziale Konflikte rund um den Globus ahnen, daß der Hauptwiderspruch des wachstums- und profitorientierten Wirtschaftens nicht in der Art der Energienutzung und der Menge an emittierten Treibhausgasen besteht, sondern in der Organisation der Produktionsverhältnisse und der Qualifizierung der Verfügungsgewalt.

So konnte in Chile der Bau eines riesigen Windparks, gegen den die Bewohner der Insel Chiloé geklagt hatten, erst durch das Oberste Gericht des Landes gestoppt werden. Wenngleich dieses Beispiel auch als Argument für das Funktionieren der Demokratie dienen könnte, zeigt es doch umgekehrt, daß die Einwohner genötigt wurden, ihren angestammten Lebensraum (mit rechtsstaatlichen Mitteln) gegenüber fremdnützigen Interessen zu verteidigen. Aber in wievielen ähnlich gelagerten Fällen von industriellen Großprojekten aus der "grünen" Wirtschaft ist ein Gericht zu einer anderen Entscheidung gelangt oder haben Anwohner keinen Rechtsweg eingeschlagen, sondern von vornherein nachgegeben?

Die Pläne des chilenisch-schwedischen Unternehmens Ecopower sahen vor, entlang der Küste Mar Brava der südchilenischen Insel Chiloé 56 Windkraftanlagen von mehr als 100 Metern Höhe zu errichten. Das Oberste Gericht Chiles hat nun entschieden, daß die Genehmigung für den 235 Millionen Dollar teuren 140-MW-Windparks Parque Eólico Chiloé vom 2. Juli 2011 durch die Regionale Umweltkommission von Los Lagos unrechtmäßig ist. Wie die Internetseite Environmental News Service (ENS) [1] berichtet, sollte der Windpark ausgerechnet in einem wichtigen Weide- und Brutgebiet von Blauwalen entstehen. Auch bietet die Insel Lebensraum für zahlreiche Vogelarten. Somit war ein Interessenwiderspruch zwischen zwei Stoßrichtungen innerhalb Umweltbewegung entstanden, zwischen den Förderern sogenannter erneuerbarer Energien und Tierschützern.

Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen der etwa 160.000 Einwohner zählenden Insel hatten moniert, daß die Regionale Umweltkommission die Baugenehmigung erteilt hatte, ohne ein Gutachten zu den Umweltauswirkungen, wie es das chilenische Gesetz vorschreibt, durchführen zu lassen. Laut ENS spricht sich Elsa Cabrera, Direktorin des Cetaceen-Schutzzentrums und Unterstützerin des örtlichen Widerstands gegen den Windpark, für eine Verlegung des Windparkstandorts aus und fordert die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Weil das versäumt wurde, hat das Oberste Gericht der Klage der örtlichen Gemeinden unter Berufung auf die 169 Convention der International Labour Organization stattgegeben. Die Regionale Umweltkommission habe es versäumt, die indigenen Gemeinden am Entscheidungsprozeß auf angemessene Weise zu beteiligen, lautet das Urteil.

Die Kontroverse um den chilenischen Windpark hat spätestens seit Januar größere Aufmerksamkeit erlangt, nachdem Barbara Galletti, Präsidentin des Cetaceen-Schutzzentrums und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der Internationalen Walfangkommission einen Brief, der von mehr als 50 Experten aus der Walforschung und der Akustik weltweit unterzeichnet wurde, an Chiles Präsident Sebastian Pinera gesandt und ihn aufgefordert hatte, sich für einen anderen Standort des Windparks starkzumachen. Die Auswirkungen auf Blauwale, die im Sommer entlang des Nordwestens der Chiloé-Insel ihr Jungen aufzögen, seien verheerend.

Die Windkraftanlagen erzeugen Lärm-Emission von etwa 50 Dezibel auf eine Entfernung von einem Kilometer [2]. Weil manche Windkraftanlagen nur zehn Meter vom Meer errichtet werden sollten, rechneten Akustikexperten sogar mit einem Lärm von 100 Dezibel innerhalb jener Meereszonen, die von den Blauwalen genutzt werden. Dadurch würde die Kommunikation der Wale schwer beeinträchtigt.

Die chilenische Regierung möchte bis zum Jahr 2025 30.000 Megawatt Windenergie erzeugen, mehr als doppelt so viel wie heute. Bei einer 4000 Kilometer langen Küste und mancherorts teils sehr kräftigen, stetigen Winden ist es schwer vorstellbar, daß es keinen anderen Standort als ausgerechnet das Weide- und Aufzuchtgebiet von Blauwalen geben sollte.

Wale haben ein ausgesprochen empfindliches Gehör. Sie kommunizieren noch auf eine Entfernung von 1000 Kilometern und mehr miteinander und werden zunehmend durch die Lärmverschmutzung der Ozeane gestört. Bohrinseln, Fangflotten, Marinemanöver und der enorm gewachsene weltweite Warenverkehr als Folge der Globalisierung beeinträchtigen das natürliche Verhalten der Tiere und gelten als eine der möglichen Ursachen, weswegen Wale und Delphine stranden und verenden. Ist die Erklärung, daß der Orientierungsinn der Meeressäuger durch den Lärm gestört wird, schon brisant, so wird diese Vermutung sogar noch dadurch übertroffen, daß nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sie sich entschieden haben zu sterben. Das wäre ein in der Tierwelt durchaus kein unbekanntes Verhalten - denn wer kann schon die Walsprache verstehen?

Windenergieanlagen an sich sind nicht klimaneutral. Erst wenn man sie mit anderen Formen der Energieproduktion vergleicht, beispielsweise mit der Kohleverstromung, erscheinen sie um einiges vorteilhafter. Wobei ernsthafte Zweifel an Erntefaktoren von 40 oder gar 70, wie sie mitunter in der Presse verbreitet werden, bestehen [3]. Der Konflikt um den chilenischen Windpark erinnert an andere Auseinandersetzungen zwischen Behörden und Zivilgesellschaft in Hinblick des Baus von Talsperren, Autobahnen, Brücken, Atomkraftwerken, Müllverbrennungsanlagen, Forschungslaboren und und und. Solange die Kapitallogik gesellschaftliches Handeln bestimmt, werden "grüne" Technologien genauso zu Konflikten führen wie traditionelle Industrieprojekte, und solange Menschen in Lebensformen organisiert sind, in denen über die Köpfe der Mitglieder hinweg Entscheidungen getroffen werden können, bleiben Umwelttechnologien ein Mittel der ökonomischen Vorteilsnahme und des vorherrschenden Verfügungsinteresses.


Fußnoten:

[1] "Chile's Supreme Court Halts Illegal Wind Farm", Environment News Service (ENS), 29. März 2012
http://www.ens-newswire.com/ens/mar2012/2012-03-29-02.html

[2] "Grüne Energie ist nichts für blaue Wale", 9. Februar 2012
http://www.20min.ch/wissen/news/story/15496334

[3] "Über die unvollständige Energiebilanz von Windkraftanlagen. Offene Fragen zur Berechnung von Aufwand und Verlusten der Energieproduktion am Beispiel der Windkraftanlage", Schattenblick, 25. Januar 2012
schattenblick.com/infopool/umwelt/meinunge/umme-192.html

1. April 2012