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LAIRE/207: Tank oder Teller - Anmerkungen zu Dirk Niebels Absage an Agrosprit E10 (SB)


Ein wirtschaftsliberaler Minister entdeckt sein Herz für die Hungernden ...

... doch zu wessen Vorteil?



Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel hat für die Abschaffung des Agrosprits E10 plädiert. Der sei von den Verbrauchern sowieso nicht angenommen worden und könne gerade bei steigenden Lebensmittelpreisen zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen, sagte Niebel am Mittwoch gegenüber n-tv. Selbst den einprägsamen Slogan "Tank oder Teller" bemühte der FDP-Politiker und forderte zum Nachdenken darüber auf, ob man diesen Konflikt nicht auflösen könne. Beispielsweise indem daran geforscht werde, aus den Feldfrüchten Nahrung und nur aus den pflanzlichen Restprodukten Biosprit zu gewinnen. Niebel sprach auch die Dürre- und Hungersituation in der Welt an und betonte angesichts dessen die Wichtigkeit, zunächst die Ernährung der Menschen zu sichern.

Fast konnte man den Eindruck gewinnen, hier spräche der Vertreter einer Hilfsorganisation und nicht ein Politiker, der einmal stolz angekündigt hatte, das Entwicklungsministerium abschaffen zu wollen, bevor er zu dessen Chef ernannt wurde, und der die Anbindung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an den Primat der Ökonomie vorangetrieben hat.

Selbstverständlich besteht ein Konflikt zwischen Tank und Teller aufgrund der von der Europäischen Union geforderten Erhöhung des Bioenergieverbrauchs. Aber der Konflikt ist älter und er ist größer, sehr viel größer. Die Tank-versus-Teller-Problematik ist eine von vielen der gesellschaftlichen Pyramide und dem zunehmend stärker gefestigten Verhältnis zwischen Produktion- und Nutzungsregionen. Beispielsweise haben lange vor Beginn des Agrospritbooms, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts einsetzte, Hunderte Millionen Menschen weltweit gehungert.

Damit soll nicht geleugnet werden, daß die Vernichtung überlebenswichtiger Ressourcen durch deren Verbrennung als Treibstoff für die Klasse der Privilegierten diese Hungerlage deutlich verschärft hat. Deshalb wäre eine Abschaffung des E10-Sprits zu begrüßen.

Zu fragen bleibt allerdings, ob Niebel seine angebliche Sorge um die Hungernden der Welt so konsequent weiterverfolgen wird, daß er auch jene Voraussetzungen des Mangels in Angriff nimmt, wie sie vor dem Agrospritboom bestanden, und beispielsweise die Eigentumsordnung dieser Welt aufkündigt. Wird er beispielsweise alles in seiner Macht Stehende tun, damit die exportorientierte, industrielle Landwirtschaft, die Menschen in den Ländern des Südens zu Lohnsklaven entfremdeter Arbeitsverhältnisse macht und Heerscharen von Landbewohnern in informelle urbane Lebensumstände hineintreibt, abgeschafft wird?

Oder wird er weiter wie bisher den Mythos der freien Marktkräfte bemühen und den Standpunkt vertreten, daß nur Konzepten der Liberalisierung und Privatisierung das Potential zugesprochen werden kann, den Nahrungsmangel in der Welt zu beheben - in völliger Ignoranz des Einmaleins der Ökonomie, wonach der Mangel die Voraussetzung für Bereicherung bildet? Man stelle sich nur vor, Nahrung wäre weltweit vollkommen frei verfügbar - da hätten die jetzigen Profiteure der Wirtschaftsordnung nichts mehr zu lachen! Sie sind darauf angewiesen, daß der Mangel niemals aufgehoben wird, und wenn in den USA und der Ukraine das Getreide verdorrt, dann reiben sie sich zufrieden die Hände, da die Preise steigen und ihre Profite gesichert sind.

Ach ja, was die Hungernden betrifft, so werden sie von den nach ökonomischen Regeln tätigen Lebensmittelkonzernen gar nicht erst als Nachfragefaktor gerechnet, da sie mangels Mittel gar nicht am Markt teilnehmen. Sie sind uninteressant. Deshalb wird "der Markt" (wer auch immer das sein soll) das Hungerproblem niemals lösen. Nach wirtschaftlichen Kriterien arbeitende Konzerne wären also eine äußerst schlechte Adresse, um den Nahrungsmangel in der Welt tatsächlich zu beenden. Ob der um die Hungernden besorgte Dirk Niebel dem künftig Rechnung tragen wird?

16. August 2012