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LAIRE/266: PCB-haltige Flohkrebse im Marianengraben - Bioindikatoren des Anthropozäns (SB)


Müll bis in den letzten Winkel der Erde


Am nördlichsten Punkt der Erde, im tiefsten Graben der Ozeane und am höchsten Gipfel der Landmasse: menschlicher Müll allerorten. Plastik, Rußpartikel und hochgiftige chemische Verbindungen wie PCBs. Äquivalent zum Nutzen der Atmosphäre als Endlager für allerlei Luftschadstoffe, inklusive Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas, sammelt sich der über Flüsse, Luft, Schiffsverkehr und maritimen Ressourcenabbau eingebrachte Makro-, Mikro- und Nanomüll in sämtlichen Ozeanen und wird dort an bestimmten Stellen bzw. Organismen aufkonzentriert.

Der Marianengraben liegt im westlichen Nordpazifik und ist rund elf Kilometer tief. Nur sehr wenigen Menschen war es bisher gelungen, diese lichtlose Welt, in der ein Druck von über 1000 bar herrscht, mittels eines Tauchboots zu erkunden. Dennoch hat ihr der Homo sapiens bereits sein gegenüber der Um- und Mitwelt toxisches Naturell aufgeprägt. Am Meeresgrund des Marianengrabens entdeckten Forscher der Universität von Newcastle, daß der dort lebende Flohkrebs Hirondellea gigas eine Belastung mit Polychlorierten Biphenylen (PCBs) aufweist, die um das 50fache über der Belastung der Krebse in den verschmutztesten Flüssen China liegt. [1] Und jene Gewässer sind, wie inzwischen allgemein bekannt, als Abwassersysteme der "Werkbank der Welt" mit Umweltschadstoffen extrem hoch belastet.

Erst vor rund einer Woche veröffentlichte die Forscherin Mine Tekman vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven eine Studie, nach der selbst der arktische Ozean stark vermüllt ist. Trotz der Unzugänglichkeit der Region habe die Müllmenge im Laufe der letzten Jahre deutlich zugenommen, berichtete sie. [2]

Der über 8800 Meter hohe Mount Everest wird von Zynikern schon mal als höchst gelegene Müllkippe der Welt bezeichnet. Die um den Ruf dieses für Bergsteiger so attraktiven Kletterziels besorgten Nepalesen verlangen längst, daß ein jeder seinen Müll wieder mitnimmt. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen allerdings manchmal Abgründe, die denen im Himalaya kaum nachstehen ...

Bei einer Überquerung des Atlantischen Ozeans wird ein Seefahrer nicht in jedem Fall irgendeinen Meeresbewohner ansichtig werden, aber einem begegnet er unvermeidlich: Plastikmüll. Der sammelt sich nicht allein dort in Form von großen Strudeln, sondern auch im Pazifischen und Indischen Ozean. Und das ist immer nur der sichtbare Teil. Der Müll wird mit der Zeit mechanisch zerlegt und findet sich in Form von Mikropartikeln, die nur sehr langsam zu Boden sinken, in der gesamten Wassersäule.

Woher aber die PCBs und auch polybromierten Diphenylethern (PBDE) stammen, die in den Flohkrebsen nachgewiesen wurden, ist bislang nicht bekannt. Womöglich wird sich eines Tages der große pazifische Müllstrudel, der oberhalb des Marianengrabens liegt, hierfür als Quelle erweisen. Allzu verwunderlich ist die Entdeckung der Schadstoffe am tiefsten Punkt des Meeres allerdings nicht, ist doch hinlänglich bekannt, daß sich PCBs, die zu den langlebigen organischen Schadstoffen (POPs) zählen, wie ihr Name schon verrät, besonders lange in der Umwelt erhalten.

Sie akkumulieren im Flohkrebs und anderen Meeresbewohnern und landen womöglich wieder auf dem Tisch des Menschen. Daraus jedoch eine Philosophie zu zimmern, vom großen Kreislauf, in den immer wieder alles zurückkehrt, wäre sicherlich keine so gute Idee. Schließlich bedroht die Vermüllung der Meere, Böden und Luft als konkrete Folge einer auf Verbrauch und Zerstörung beruhenden Produktionsweise die Existenzgrundlage eines großen Teils der Menschheit. Wobei es nicht die gleichen Menschen sind, die durch ihr Konsumverhalten hauptverantwortlich für das Müllaufkommen gemacht werden können, und die, die davon betroffen sind. Der vermeintliche Kreislauf erweist sich somit als gesellschaftliche Pyramide.

Der Flohkrebs kann nichts dafür, daß er hochtoxisch ist. Der Mensch schon.

Nachtrag 1: Der Marianengraben liegt in einem riesigen Meeresschutzgebiet, das der für seine Öl-Interessen bekannte US-Präsident George W. Bush jun. ausgewiesen hat. Der amtierende US-Präsident Donald Trump hat bisher noch nicht getwittert, was er mit solchen Schutzgebieten vorhat. Allerdings hat er die Leitung der Umweltschutzbehörde EPA jemandem überantwortet, der jahrelang gegen sie geklagt hat, damit sie Umweltschutzauflagen insbesondere hinsichtlich des umweltschädlichen Frackings aufweicht oder gänzlich streicht.

Nachtrag 2: In der sich gern als Umweltapostel gebenden Bundesrepublik Deutschland ist am 11. Februar das Fracking-Gesetzespaket in Kraft getreten. [3] Unter bestimmten Bedingungen ist damit diese umstrittene Erdöl- und Erdgasfördertechnik gestattet. Somit werden Luft, Boden und Wasser mit Schadstoffen kontaminiert, um einen fossilen Energieträger zu gewinnen, von dem bekannt ist, daß er an der globalen Erwärmung beteiligt ist.

Nachtrag 3: Jährlich sterben schätzungsweise 58.000 Arten aus, viele von ihnen in Folge der Ausbreitung der menschlichen Sphäre in den letzten Winkel der Erde. [4] Der Flohkrebs im Marianengraben gehört bislang nicht dazu.


Fußnoten:

[1] http://www.ncl.ac.uk/press/news/2017/02/deepsea/#hp-banner

[2] https://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/muellmenge-in-der-arktischen-tiefsee-steigt-stark-an.html

[3] http://www.presseportal.de/pm/29188/3557184

[4] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/artensterben-jaehrlich-verschwinden-58-000-tierarten-a-982906.html

15. Februar 2017


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