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LAIRE/313: Feinstaub - unentrinnbar ... (SB)



Feinstaub und Ultrafeinstaub, der von Dieselfahrzeugen emittiert wird, läßt sich in allen Geweben des menschlichen Organismus nachweisen. Erstmals wird nun in einer kanadischen Studie ein statistischer Zusammenhang zwischen Ultrafeinstaub im Straßenverkehr und Gehirnkrebs beschrieben. [1]

Ein Austausch von Dieselfahrzeugen durch Elektroautos würde wenig bringen, denn letztere produzieren aufgrund ihres größeren Gewichts mehr Gummi-, Brems- und Straßenbelagabrieb und damit zwar keinen Diesel-, aber anderen Feinstaub. Sowieso sind Lkws die größten Feinstaubproduzenten im Verkehr und können praktisch nicht elektrifiziert werden. Erforderlich wäre somit eine drastische Verringerung des Gütertransports, aber das wäre unvereinbar mit der vorherrschenden, auf Wachstum und Verbrauch, mithin Zerstörung des Bestehenden gegründeten und sie begründenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung und würde durch deren Profiteure verhindert.

Als Ultrafeinstaub gelten Partikel bis zu einer Größe von 0,1 Mikrometer. Feinstaub wird unterteilt in PM2,5 (Partikelgröße 2,5 Mikrometer) und PM10 (Partikelgröße 10 Mikrometer). Mit der Festlegung von Grenzwerten wird das Problem nicht behoben, sondern vermeintlich verdaulich gemacht, indem relativ weniger Menschen durch Feinstaub umkommen als ohne Grenzwerte. Über die Atemwege gelangt Ultrafeinstaub in die Lunge und von dort ins Blut. Auch die Blut-Hirn-Schranke bildet für ihn kein Hindernis. Die Partikel stellen eine ernsthafte Gefahr dar, entweder weil sie selber neurotoxisch sind oder weil sie als Transportmittel für entsprechende Substanzen dienen.

Gehirnkrebs ist eine vergleichsweise seltene Erkrankung. In der kanadischen Studie wurde zwar kein ursächlicher Beweis erbracht, daß Feinstaub Gehirnkrebs auslöst, aber die Korrelation zwischen Luftschadstoffen im Straßenverkehr und Krebs bietet nach Ansicht der Forscher einen hinreichend begründeten Verdacht für diesen Zusammenhang.

Die Forschergruppe um Studienleiter Scott Weichenthal von der McGill University in Montreal hat die medizinischen Daten und Angaben zur Exposition mit Luftschadstoffen von 1,9 Mio. Erwachsenen aus den Städten Toronto und Montreal aus dem Zeitraum von 1991 bis 2016 ausgewertet. Demnach erhöht sich das Gehirnkrebsrisiko von Personen, die ein Jahr lang in schadstoffbelasteten städtischen Umgebungen mit 10.000 Nanopartikeln Ultrafeinstaub pro Kubikzentimeter Luft leben, gegenüber denen in weniger belasteten städtischen Umgebungen um mehr als zehn Prozent. Bei Luftbelastungen von 15.000 Nanopartikeln/cm³ im Verhältnis zu 50.000 Nanopartikel/cm³ erhöhte sich das Gehirnkrebsrisiko um 50 Prozent.

Das Ergebnis überrascht nicht, sondern bestätigt frühere Untersuchungen. So heißt es in einer Übersichtsstudie zum Kontext von Luftverschmutzung und Nichtübertragbaren Krankheiten im Journal "Chest" vom Februar 2019, daß Feinstaub sowohl akut als auch chronisch krank machen kann und potentiell jedes Organ im Körper betroffen ist. [2]

Weltweit sterben jährlich rund 4,2 Mio. Menschen in Folge einer Feinstaubbelastung außerhalb der Häuser, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO kommen noch 3,8 Mio. Todesfälle aufgrund von Feinstaub in Innenräumen hinzu. Feinstaub gilt damit als die fünfthäufigste Todesursache in der Welt. Darüber hinaus kann Feinstaub Krankheiten auslösen, verkomplizieren oder verstärken.

Betroffen sind nicht alle Menschen gleichermaßen. In weniger schadstoffbelasteten Umgebungen sind die Wohnungen teurer, und so entscheidet der Geldbeutel über die Wahl des Wohnorts. Es ist kein Zufall, daß die wohlhabenderen Viertel in Hamburg und anderen Städten Deutschlands im Westen liegen, weil Westen die häufigste Windrichtung und dort die Luft noch unverbraucht ist. Wohingegen jene Wohngegenden tendenziell preisgünstiger sind, die in der windabgewandten Richtung der Industriegebiete liegen.

Im vorherrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem müssen Unternehmen Profite generieren und Umsätze steigern, wenn sie nicht pleite gehen wollen. Das ist der eigentliche Zweck der Produktion von Waren. Die werden dann rund um den Globus oder kreuz und quer über die Staaten hinweg transportiert, wobei entlang der gesamten Kette, vom Rohstoffabbau über den Transport bis zur Verarbeitung (und bei Diesel auch dem Gebrauch) Partikel von teilweise nur Nanometergröße in die Umwelt entlassen werden.

Eine wesentliche Eigenschaft des vorherrschenden kapitalistischen Systems besteht darin, immerzu die Arbeitskraft der Menschen sowie deren Mit- und Umwelt zu verwerten. Eine Gesellschaftsform, in der die durch Feinstaub verursachten Todesfälle nicht verschleiert und - vermeintlich umweltbewußt - durch Grenzwerte legitimiert werden, muß erst noch erfunden werden.


Fußnoten:

[1] https://journals.lww.com/epidem/Abstract/publishahead/Within_City_Spatial_Variations_in_Ambient.98468.aspx#pdf-link

[2] https://journal.chestnet.org/article/S0012-3692(18)32723-5/fulltext

14. November 2019


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