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LAIRE/328: Fortschritt - das verlagerte Desaster ... (SB)



Rund um den Globus wird Erdgas als Brückentechnologie in eine kohlenstoffarme Wirtschaft angesehen - wider besseren Wissens. Beispielsweise subventioniert die Europäische Union Projekte (vermeintlich) Gemeinsamen Interesses (PCI) der Erdgasinfrastruktur mit Hunderten Millionen Euro. [1] Und die australische Regierung hat in diesem Monat ein Diskussionspapier zur Zukunft der Energieversorgung aufgelegt, in dem Erdgas neben Kohle und Atom eine bedeutende Stellung erhalten soll. [2]

Für Staaten wie Rußland und die USA, die über erhebliche Mengen an eigenen Vorkommen an Erdgas verfügen, ist es selbstverständlich, dieses auch als Energieträger zu nutzen. Dabei ist Methan als Hauptbestandteil von Erdgas auf einen Zeitraum von 20 Jahren bezogen ein etwa 87mal so wirksames Treibhausgas wie Kohlenstoffdioxid. Für dessen Reduzierung in der Atmosphäre werden weltweit weitreichende technologische Umbauten der Energieversorgung unternommen - wenngleich bei weitem nicht genug, um die globale Erwärmung auszubremsen.

Kreuz und quer durch die USA ziehen sich mehrere Millionen Kilometer Erdgas- und Erdölpipelines. Aus Nahtstellen treten kleinste Mengen Gas in die Böden und Atmosphäre aus. Jetzt wurde in einer US-Studie erstmals festgestellt, daß bei auffällig vielen erkrankten oder abgestorbenen städtischen Bäume der Methangehalt im Boden ihres Umfelds drastisch erhöht war. Bei gesunden Bäumen in denselben Stadtvierteln dagegen war dies nicht der Fall. Damit zeigt sich ein weiterer Aspekt, weswegen Erdgas nicht jener saubere Energieträger ist, als der er von der Erdgasindustrie und ihren Lobbyisten in Brüssel, Washington und Canberra dargestellt wird.

Untersucht wurde der Boden an vier Stellen rund um die Stämme von 84 toten oder sterbenden und 97 gesunden Bäumen in Chelsea, Großraum Boston, US-Bundesstaat Massachusetts. Im Journal "Environmental Pollution" berichten die Forscherinnen und Forscher unter anderem der Universität Boston, daß der Methangehalt in den Bodenproben der abgestorbenen oder sterbenden Straßenbäume in Richtung des Asphalts am höchsten war und daß genau dort üblicherweise die Gasleitungen verlegt sind. [3]

Bäume benötigen Sauerstoff, und das nicht nur oberhalb des Bodens, sondern auch an ihren Wurzeln. Methan verdrängt jedoch den Sauerstoff, was eine mögliche Ursache des Baumsterbens ist. Dieser Effekt an sich ist schon länger bekannt, er war jedoch bislang nicht in dieser Breite und Deutlichkeit nachgewiesen worden.

Sicherlich läßt sich Chelsea nicht eins zu eins auf andere Städte in den USA oder Europa übertragen. Das Gasnetz in Massachusetts ist eines der ältesten der USA. Die Rohre sind in die Jahre gekommen, während sie in anderen Bundesstaaten längst durch neue Gaspipelines ersetzt wurden. Zudem liegt die Stadt eingekeilt zwischen dem Boston Logan Flughafen, einer breiten Autobahn und einer Reihe von Treibstofftanks. Dort produzierte Luftschadstoffe können Bäume schwächen und somit das Baumsterben verstärken. Chelsea dürfte also bereits von Luftschadstoffen vorbelastet sein. Und da die 35.000-Einwohner-Stadt über relativ wenig Bäume verfügt, heizt sie sich deutlich stärker auf als ihr Umfeld, wie die Website Inside Climate News berichtete. [4]

Insofern steht die Untersuchung zwar zunächst für eine vernachlässigte, einkommenschwache Stadt, die vorwiegend von Immigranten aus Lateinamerika bewohnt wird. Als Einzeluntersuchung regt das Ergebnis jedoch an, Baumsterben in urbanen Regionen hinsichtlich möglicher Methanbelastungen im Untergrund genauer unter die Lupe zu nehmen und, aufs Grundsätzliche gebracht, Erdgas als Energieträger nicht weiter zu fördern.

Obwohl Methan mit 11,5 Jahren eine kurze Halbwertszeit hat, folglich entsprechende Emissionen nicht lange in der Atmosphäre bleiben, hat dort die Methankonzentration in den letzten Jahren kräftig zugenommen. Bislang ist es nicht gelungen, die Ursache für diesen Anstieg herauszufinden. Im dringenden Verdacht stehen Leckagen entlang der gesamten Infrastruktur der Erdgasindustrie, von der Förderung und Aufbereitung über den Transport bis hin zum Verbrauch.

Durch Erdgas im Trinkwasser und im Boden werden nicht nur Mensch und Tier geschädigt, sondern städtische Bäume, wie die Studie aus dem Osten der USA zeigt. Verglichen mit dem Problem der globalen Klimawirksamkeit von Methan oder der Brunnenvergiftung in jenen Gebieten der USA, in denen nach der Methode des Frackings Erdgas gefördert wird, berührt die Studie aus Chelsea einen wenig bekannten, vermeintlich nebensächlichen Aspekt der Umweltschäden durch Methan. Aber für die unmittelbar davon Betroffenen macht es sehr wohl einen wichtigen Unterschied, ob die Bäume in ihrem urbanen Umfeld gedeihen oder ob sie dahinvegetieren und absterben.

Neben dem Verfeuern von Kohle und Erdöl muß dem Verbrennen von Erdgas eine Hauptverantwortung für die globale Erwärmung zugesprochen werden. Nur durch einen raschen Ausstieg aus allen drei fossilen Energieträgern kann sich die Menschheit die Chance bewahren zu verhindern, daß die bereits in verschiedenen Natursystemen angelegte globale Erwärmung Ausmaße annimmt, durch die nicht "nur" Städte wie Chelsea unwohnlich, sondern ganze Klimazonen unbewohnbar werden.


Fußnoten:

[1] https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/c_2019_7772_1_annex.pdf

[2] https://consult.industry.gov.au/climate-change/technology-investment-roadmap/supporting_documents/technologyinvestmentroadmapdiscussionpaper.pdf

[3] https://tinyurl.com/yc48rgr2

[4] https://insideclimatenews.org/news/19052020/tree-deaths-urban-natural-gas-pipelines

22. Mai 2020


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