Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2019
Under Pressure
Wie internationale Konzerne unsere Umweltregulierung fest im Griff
haben
von Nelly Grotefendt und Alessa Hartmann
Eine neue Studie(1) zivilgesellschaftlicher Organisationen nimmt die Auswirkungen von Konzernklagen auf Umweltgesetzgebung unter die Lupe. Dieser Mechanismus sichert Konzernen durch Handels- und Investitionsabkommen weitreichende Sonderrechte. Sie ermöglicht es ihnen, Regierungen auf hohen Schadensersatz zu verklagen, wenn diese Regulierungen erlassen, die den Profit des Konzerns bedrohen. Seit der Debatte um das transatlantische Abkommen EU-USA (TTIP) rückte der Mechanismus mit seinen Sonderrechten ins Licht der Öffentlichkeit. Widerstand formierte sich nicht nur aus den Reihen der Zivilgesellschaft.
Anfang September 2018 wurde bekannt, dass das französische
Gesetz 'Hulot', benannt nach dem ehemaligen französischen
Umweltminister, empfindlich abgeschwächt worden war. Frankreich hatte
versucht, den Abbau von klimaschädlichem Kohlenwasserstoffvorkommen
(beispielsweise Erdgas oder Erdöl) zu verbieten. Durch erfolgreichen
Druck der Industrielobby wurde das Gesetz allerdings im letzten Moment
gezähmt und erlaubt nun eine Schonfrist bis 2040. Bemerkenswert ist
daran, dass die Androhung einer Investor-Staat-Klage, auch ISDS
genannt, des kanadischen Unternehmens Vermilion, den Ausschlag für die
Abschwächung des geplanten Gesetzes gegeben haben könnte. Dies zeigt
den enormen Druck auf Regierungen und ihre Regulierungsapparate durch
transnationale Unternehmen. Umweltschutz ist und bleibt für
Unternehmen freiwillig.
Der Handlungsdruck ist omnipräsent und wird sowohl von Regierungen, internationalen Institutionen, Medien als auch von der Zivilgesellschaft und Wissenschaft begleitet und diskutiert: Die schmelzende Arktis, zurückgehende Gletscher, zunehmende Meeresverschmutzung und ein massiver Rückgang der biologischen Vielfalt erfordern sofortiges Handeln. Doch nach Einschätzung der Zivilgesellschaft ist die aktuelle Handels- und Umweltpolitik überhaupt nicht dazu gemacht, sich im Sinne von mehr Nachhaltigkeit zu verstärken.
Weltweit profitieren Konzerne meist von schwacher Umweltgesetzgebung - insbesondere, wenn es um naturschädigende Geschäftsmodelle geht, wie u. a. den Rohstoffabbau. Konzernklagerechte (ISDS) haben sich dabei als nützliches Instrument etabliert. Sie erlauben es, international tätigen Konzernen, gesetzlich bindende und somit auch rechtlich einforderungsfähige Regulierungen anzugreifen, zu schwächen und teils auch zu unterwandern. Besonders in den Sektoren Bergbau und Elektrizität/Gas steigen die Klagen seit den 2000er Jahren massiv an. Von den bekannten 904 ISDS-Fällen kommen 383 Fälle aus den Bereichen Landwirtschaft, Bergbau, Elektrizität/Gas oder Wassermanagement.
Dabei führen erfolgreiche Klagen oder auch nur die Androhung einer Klage dazu, dass bestehende Regulierungen abgeschwächt werden oder ganz verschwinden, und Konzerne somit weiter ungehindert ihrem Geschäftsmodell nachgehen können. Und: was für den Umweltschutz gilt, gilt auch für die Bereiche Menschenrechte, Gesundheitsschutz, ArbeitnehmerInnenrechte oder VerbraucherInnenschutz. Die Liste der schwachen, aber wünschenswerten Regulierungen ist lang - der Gegner noch mächtig.
Das System der Konzernklagerechte ist spätestens seit TTIP massiv in der Kritik und die Kommission der Europäischen Union (EU) versucht seither verschiedenste Strategien, um das System zu re-legitimieren. Diese reichen von einer Umbenennung des Fachterminus über prozedurale Verbesserungen, wie etwa einer festen Liste von SchiedsrichterInnen, damit diese nicht mehr vom Konzern selbst ausgewählt werden können, bis hin zu massiver Expansion. So ist das neueste Traumprojekt ein globaler Gerichtshof für Konzerne. Doch auch der Widerstand ist ungebrochen. Seit Mitte Januar dieses Jahres sammeln KritikerInnen europaweit Unterschriften gegen diesen Mechanismus, und zwar sehr erfolgreich: 500.000 sind es bereits, Tendenz steigend. Auch Oppositions- und in Teilen selbst Regierungsparteien, aber ebenso Verbände wie der Deutsche Richterbund positionieren sich gegen Konzernklagerechte und schließen sich so dem gesellschaftlichen Widerstand an. Somit setzen sie alle ein klares Zeichen, dass es an der Zeit ist, das Ende der Konzernklagen einzuläuten und stattdessen auf verbindliche, einforderbare Menschenrechte zu setzen.
Nelly Grotefendt ist Referentin für Politik beim Forum
Umwelt und Entwicklung.
Alessa Hartmann ist Referentin für Handels- und
Investitionspolitik bei PowerShift.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
(1) Under Pressure: Mit Konzernklagen gegen Umweltschutz.
https://www.forumue.de/wp-content/uploads/2019/01/Under-Pressure-Mit-Konzernklagen-gegen-Umweltschutz-web.pdf
*
Quelle:
Rundbrief 1/2019, Seite 23
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2019
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang