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STELLUNGNAHME/013: Verbände und Gewerkschaften zur aktuellen Atompolitik der Bundesregierung (DNR)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
Donnerstag, 27. Oktober 2010

Zur aktuellen Atompolitik der Bundesregierung


Die Spitzenvertreter von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden haben zu dieser gemeinsamen Pressekonferenz zusammengefunden, um die gesellschaftspolitische Brisanz der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verdeutlichen. Die Verlängerung bedeutet auch, an einer falschen und gefährlichen Energiepolitik festzuhalten und die Chancen für Arbeit, Wirtschaft und Umwelt zu blockieren, die mit einer Effizienzrevolution und der Solarwirtschaft verbunden sind.

Die große Mehrheit der Bevölkerung will keine längeren Laufzeiten. Wer am Auslaufkompromiss von 2001 rüttelt, der erschüttert auch den inneren Frieden in unserem Land. Das haben damals auch die Umwelt- und Naturschutzverbände akzeptiert, obwohl wir eine sehr viel kürzere Restzeit für die Atomkraft gefordert hatten. Das wäre auch möglich gewesen, denn seit 1990 liegen sehr konkrete Szenarien vor, wie ein schneller Ausstieg und Klimawandel miteinander verbunden werden könnten. Der Ausstieg ist keine Frage der technischen Möglichkeiten, sondern des fehlenden politischen Willens.

Das Ausstiegsgesetz von 2001 war ein Konsens mit den vier großen Atombetreibern EnBW, E.on, RWE und Vattenfall. Die haben ihn deshalb unterschrieben, weil der Konflikt in der Gesellschaft für sie geschäftsschädigend war. Und sie haben massiv ihre Interessen eingebracht, denn die Atomenergie ist eine "Sonderwirtschaftszone" mit privilegierten Rechten. Dennoch war das Gesetz ein wichtiger Beitrag für den inneren Frieden und der Einstieg in eine neue Energiepolitik.

Das gibt die schwarz-gelbe Bundesregierung mutwillig auf. Dabei ist die Atomenergie energiepolitisch nicht notwendig, sondern wurde 1953 erfunden, um von der militärischen Seite abzulenken. Sie ist und bleibt unverantwortlich und teuer, nur marktfähig, weil sie mit Milliardensummen subventioniert wurde. Und sie hinterlässt eine strahlende Erbschaft, die nirgendwo in der Welt bisher sicher eingeschlossen ist.

Die Verlängerung der Laufzeiten dient allein den vier großen Energieversorgungsunternehmen, die viele Milliarden Zusatzeinnahmen verbuchen können. Sie sind Gelddruckmaschinen zu Lasten von Innovationen und Wettbewerb. Und zu Lasten der Sicherheit, denn entsprechende Nachrüstungen haben die Betreiber immer wieder versucht zu verhindern. Das soll auch heute der Preis sein. Die Atomkraft ist keine Brückentechnologie, sie ist eine Blockadetechnologie. Die finanzielle Abschöpfung ist diktiert von den Interessen der Betreiber und fällt tatsächlich weit geringer aus, als öffentlich behauptet, denn sie sind künstlich runter gerechnet.

Atomkraftwerke haben nur einen Wirkungsgrad, der in der Spitze gerade einmal 35 Prozent der eingesetzten Energie erreicht, nur, wenn es eine hohe Auslastung der Kapazität gibt. Atomkraftwerke verhindern schon deshalb Einsparen und Effizienzsteigerung, weil sie sich nur rechnen, wenn es einen möglichst hohen Stromabsatz gibt. Das ist die Logik von gestern, nicht aber für eine ökologische Marktwirtschaft.

Besonders ärgerlich ist in diesem Zusammenhang der interessengeleitete Hinweis auf die prognostizierte rechnerische Steigerung der Umlagekosten für Strom aus erneuerbaren Energien von 2 Cent pro Kilowattstunde auf 3,5 Cent/kwh im Jahre 2011. Diese EEG-Umlage wird für 2011 auf insgesamt 13 Milliarden Euro geschätzt. Tatsächlich zeigen alle Szenarien (im Gegensatz zu einfach hochgerechneten Studien), dass in wenigen Jahren die große Mehrzahl der erneuerbaren Energien wirtschaftlich vorteilhaft ist. Und die Förderung von Photovoltaik ist zwar noch teuer, aber industriepolitisch richtig, da es sich hier um einen der wichtigsten Zukunftsmärkte handelt.

Zudem wird in diesem Zusammenhang verschwiegen, dass die Energiekonzerne zwischen 1950-2008 nach einer Untersuchung des Forums für ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) 165 Milliarden Euro an Subventionen erhalten haben, darunter 61 Milliarden als Direkthilfe, 65 Milliarden in Form von Steuervergünstigungen und 39 Milliarden wegen Regulierungsvorteilen durch einen gewollt unvollständigen Stromwettbewerb.


Atomenergie: kein Beitrag zum Klimaschutz

Der Klimawandel wird durch CO2 und andere Treibhausgase verursacht, die vor allem bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen und die den wesentlichen Teil des weltweiten Primärenergieverbrauches decken. Die Förderungsspitze beim Erdöl ist inzwischen überschritten. Von daher ist der Umbau des bestehenden in ein nachhaltiges Energiesystem überfällig.

Die wesentlichen Elemente sind die rationelle Nutzung von Energie (Energieeffizienz) und der Ausbau der erneuerbaren Energien, zudem in den Industrieländern auch der Verzicht auf aufwändige Energiedienstleistungen (Suffizienz).

Die internationale Energieagentur IEA beziffert den derzeitigen Anteil der Atomenergie an der weltweiten Elektrizitätserzeugung mit 17% und den Anteil der Elektrizität an der Deckung des Energiebedarfs der Endverbraucher mit 16%. Atomstrom deckt somit 2,7% des weltweiten (End-) Energiebedarfs. Sollte die Atomenergie in Zukunft einen energie- und klimapolitisch bedeutenden Beitrag leisten, so müssten viele Tausend Atomkraftwerke, auch in Entwicklungsländern, zugebaut werden - sicherheitspolitisch ein Alptraum, der schon aus wirtschaftlichen Gründen und mangels Uranvorräten nicht zu realisieren ist. Deshalb sieht auch der Weltklimarat IPCC keinen Beitrag der Atomenergie für den Klimaschutz.

Noch wichtiger ist, dass die nuklearen Großkraftwerke den Umbau erschweren bis unmöglich machen. Sie sind reine Stromerzeuger, aber die Zukunft muss dezentral und effizient sein.


Reaktorsicherheit: vorgesehene Laufzeiten unverantwortlich

Die vorgesehene Verlängerung um 8 bzw. 14 Jahre bedeutet, dass die deutschen AKW so lange in Betrieb sein werden ("laufen") wie bisher noch keins der 441 derzeit weltweit betriebenen AKW.

Das älteste derzeit noch in Betrieb befindlichen deutschen AKW, Biblis A, begann 1974 die Stromerzeugung, hat also bisher eine Laufzeit von 36 Jahren absolviert. Es müsste nach der bisherigen gesetzlichen Regelung demnächst abgeschaltet werden, soll aber nunmehr noch 8 Jahre weiter laufen. Mithin soll es erst nach 44 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden.

So "alt" ist dann kein einziges der derzeit 441 weltweit in Betrieb befindlichen AKW. Insgesamt wurden 125 AKW bereits stillgelegt, darunter auch viele jüngere. Das geschah in der Regel aus Sicherheitsgründen, denn je älter, umso störanfälliger sind AKW.

Aus Sicherheitsgründen sind die vorgesehenen Laufzeiten unverantwortlich. Hinzu kommt die ungeklärte Entsorgung des Atommülls. Die Laufzeitverlängerung führt zu noch mehr Müllmassen, die schon in den vorhandenen Zwischenlagern nicht mehr vollständig untergebracht werden können. Schon aus diesem Grund muss der Bundesrat beteiligt werden.

Man kann den Atommüll noch auf Jahrzehnte hinaus nicht in ein sicheres Endlager verbringen; ob und wann evtl. es ein sicheres Endlager geben wird ist völlig ungeklärt. Das kürzlich zutage getretene Debakel im Lager Asse wirft ein grelles Schlaglicht auf die Problematik der Endlagerung.

Laufzeitverlängerung bremst Ausbau der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energien (Systemkonflikt).

Der Ausbau der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energien wird auf mehrfache Weise durch den weiteren Betrieb von AKW behindert, insbesondere wegen mangelnder Flexibilität des AKW-Betriebs. Die Leistung von AKW lässt sich zwar bis herunter zu 50-60% der Volllast noch einigermaßen flexibel regeln, aber nicht im Bereich noch geringerer Leistung.

Mit dem weiteren Ausbau der Windkraft und Photovoltaik wird deren zeitlich fluktuierende Erzeugung in Zukunft zeitweise den gesamten Strombedarf decken. Das ist in einigen Regionen schon heute der Fall und führt oft dazu, dass die Windräder gestoppt werden müssen.

AKW benötigen dagegen nach Abschaltung 4-5 Tage bis zur Wiederaufnahme der Stromerzeugung. Häufigeres Abschalten wäre unpraktikabel, teuer und sicherheitsrelevant, würde den AKW- Betrieb unwirtschaftlich machen, zudem die Reaktorsicherheit (wg. Materialermüdung) gefährden. Dieser Systemkonflikt dürfte dazu führen, dass erneuerbare Kapazitäten in Zukunft mit Rücksicht auf praktikablen AKW- Betrieb abgeschaltet werden, die derzeit gesetzlich fixierte Priorität ihres Einsatzes also in Zukunft obsolet wird.

Nicht nur deswegen, sondern auch wegen der Zementierung der Marktmacht der 4 großen Verbundunternehmen warnen nicht nur die Umwelt- und Naturschutzverbände, sondern auch die Kommunalwirtschaft, die Laufzeitverlängerung würde den Zubau erneuerbarer Kapazitäten behindern.

Die Atomenergie ist die Scheidelinie zwischen einem alten und neuen Denken. Die drei Vertreter hier stehen für eine Energierevolution, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen für eine Interessenspolitik, die unserem Land schadet.


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Quelle:
Pressemitteilung, 27.10.2010
Deutscher Naturschutzring
Dachverband der deutschen Natur- und
Umweltschutzverbände (DNR) e.V.
Koblenzer Straße 65, 53173 Bonn
Tel.: 0228/3590-05, Fax: 0228/3590-96
E-Mail: info@dnr.de
Internet: www.dnr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010