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RESSOURCEN/084: Benzinmangel - Nicht nur in China (SB)


Unruhen in China wegen landesweiten Treibstoffmangels

Vorübergehende Engpässe auch in den Industriestaaten


In diesem Jahr ist weltweit in einer Reihe von Regionen vorübergehend das Benzin ausgegangen. Betroffen waren keineswegs nur die sogenannten Entwicklungsländer, wo die Menschen mit dem Mangel auch in anderen, existentiell noch wichtigeren Bereichen als den der Energieversorgung zurechtkommen müssen. Abgesehen von China blieben auch in Iran, Algerien, Australien, Kanada und USA an manchen Tagen die Zapfhähne trocken. Fallen die Gründe für den Treibstoffmangel auch höchst unterschiedlich aus, so könnte sich doch in der Summe der Vorfälle eine grundlegende Tendenz zur Verknappung zeigen - zumal der Weltmarktpreis für Rohöl zeitweilig auf beinahe 100 Dollar pro Faß (zu je rund 159 Liter) gestiegen ist, was ebenfalls auf eine wachsende Nachfrage und damit vermehrten Mangel deutet.

In China kam es sogar bereits zu Aufständen wegen des Benzinmangels, beispielsweise an einer Tankstelle in der südchinesischen Küstenstadt Ningbo. Dort und an vielen anderen Stellen sei die Polizei aufgezogen und habe für eine ordentliche Abwicklung an den Zapfsäulen gesorgt, berichtete "The Economist" (22. November 2007). Der Treibstoffmangel setzte in Schanghai ein, wo eine Person bei Unruhen ums Leben kam, und setzte sich dann an der Küste und im Landesinnern fort, bis schließlich am letzten Oktoberwochenende das ganze Land betroffen war, einschließlich Peking. Vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen, und manche Autofahrer hätten mehrere Stellen anfahren müssen, um den Tank wenigsten zu einem Viertel gefüllt zu bekommen (Shanghai Daily, 30. Oktober 2007).

Bald darauf, am 19. November, wurde in der Provinz Anhui in Zentralchina ein Lkw-Fahrer von einem Berufskollegen vor der Tankstelle erstochen, weil es offenbar einen Streit darum gab, wer von beiden zuerst dran war (The Economist, 22. November 2007). Drei Tage zuvor war in der Nachbarprovinz Hubei der öffentliche Busverkehr wegen Treibstoffmangels zusammengebrochen. Betroffen waren 100.000 Pendler.

In China sind die Treibstoffpreise von der Regierung vorgegeben. Die Versorgung erfolgt hauptsächlich durch zwei staatliche Unternehmen (Sinopec und PetroChina, die 93 Prozent der Ölraffinerien und 90 Prozent der Tankstellen besitzen). Die sind allerdings nicht glücklich mit den Fixpreisen, denn sie müssen nun die innerhalb dieses Jahres rapide gestiegenen Rohölpreise auf die eigenen Schultern nehmen. Die im November von Peking angekündigte Benzinpreiserhöhung um zehn Prozent hat die Verluste gelindert, aber nicht beseitigt. Die Regierung hält an dem System der Fixpreise fest, um die Inflation, die bei 6,5 Prozent liegt, nicht weiter anzutreiben.

Am 27. Juni dieses Jahres kam es in der iranischen Hauptstadt Teheran zu schweren Ausschreitungen wegen Benzinmangels. Obgleich das Land auf reichlich Erdölvorkommen sitzt, kommen die Raffinerien nicht hinterher, den Bedarf zu decken, so daß Iran rund 40 Prozent seines Treibstoffs importieren muß. 19 Tankstellen wurden von aufgebrachten Kunden in Brand gesteckt, nachdem die Regierung eine Benzinrationierung angekündigt hatte, die bereits drei Stunden später in Kraft trat. Den Bürgern blieb nicht viel Zeit, sich darauf vorzubereiten. Sie eilten zu den Tankstellen, um ihre Tanks und Kanister aufzufüllen. Nach kurzer Zeit hatten sich an den Zapfsäulen lange Schlangen gebildet. Auch hier rückte die Polizei an und versuchte, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Jugendliche bewarfen die Beamten mit Steinen und skandierten Parolen, die gegen Präsident Mahmoud Ahmadinedschad gerichtet waren (The Scotsman, 28. Juni 2007). Noch immer ist in Iran das Benzin äußerst preiswert, aber die Rationierung bedeutet, daß die privaten Autohalter fortan nur 100 Liter subventioniertes Benzin pro Monat erhalten.

In der kanadischen Provinz Ontario war am 15. Februar dieses Jahres in der Nanticoke-Ölraffinerie des Erdölkonzerns Imperial Oil ein Feuer ausgebrochen (CBS News, 21. Februar 2001). Rund 75 Esso-Stationen ging das Benzin aus, und es hat viele Tage gedauert, bis sie wieder versorgt wurden. Der Mangel wurde von den Ölgesellschaften sofort zum Vorwand genommen, die Preise anzuheben. Es kam zu Hamsterkäufen.

Auch Algerien hatte im Sommer dieses Jahres Treibstoffmangel verzeichnet (www.algeria-events.com). Und im Oktober verfügten im australischen Bundesstaat Victoria über 100 BP- und Mobil-Tankstellen über keinen Diesel mehr (ABC News, 23. Oktober 2007). Der US-Bundesstaat North Dakota hatte bereits im September mitgeteilt, daß Mangel an Diesel herrsche. Es kam die Sorge auf, daß die Farmer ihre Ernte nicht würden einbringen können. Die Not hielt bis in den November hinein an (AP, 6. November 2007). Aus Koppa in Indien wurde am 19. November Mangel an leichtem Heizöl gemeldet (www.newindpress.com).

Selbstverständlich besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den weltweit schwindenden Erdölreserven, die nach Ansicht von Matthew Simmons und anderen Vertretern der sogenannten "Peak-oil"-These, bereits Ausdruck davon sind, daß der Höhepunkt der Erdölförderung kurz bevorsteht oder bereits überschritten ist, und den hier mosaikartig aufgeführten Versorgungsengpässen in verschiedenen Ländern. Dennoch "paßt" der Treibstoffmangel zu einer prinzipiellen Versorgungsnot, was bedeutet, daß der Unterschied womöglich gar nicht genau festgestellt werden kann.

Beispielsweise wurde Sinopec und PetroChina vorgeworfen, sie würden ihre Kapazitäten zur Raffinierung des Erdöls gar nicht ausnutzen, weil es für sie ein Verlustgeschäft sei (Asia Times, 31. Oktober 2007). Diese Anschuldigung wurde natürlich von den Unternehmen zurückgewiesen, aber wenn an ihr etwas dran ist, dann gäbe es eben doch einen klaren Zusammenhang zwischen den hohen Weltmarktpreisen (die Ausdruck eines Mangels sind) und der Benzinknappheit in China.

In Zukunft dürfte mit weiteren Aufständen gerechnet werden, sie müssen sich nicht auf China beschränken. Wobei der Blick auf die langen Schlangen an den Tankstellen täuscht. Die eigentliche Not sieht und hört man nicht, denn sie herrscht bei den Menschen, die sich gar kein Auto oder Moped leisten können und sich gar nicht erst an den langen Reihen anstellen. In abgeschwächter Form gilt das sogar für das reiche Deutschland. Die Zahl der Bürger, die kein Auto besitzen, wächst. Die großen Autokonzerne versuchen zwar schon seit Jahren, durch günstige Leasingverträge und eine Verbreiterung der Modellpalette im Kleinwagen-Segment das knappe Budget der Unterschicht und tendenziell immer weniger wohlhabenden Mittelschicht zu berücksichtigen, aber dennoch wird kräftig auf Halde produziert. Das ist Ausdruck einer Krise.

Die Internationale Energie-Agentur hat kürzlich gewarnt, daß es zu einem globalen Versorgungsengpaß an Erdöl kommen werde, vor allem weil die Nachfrage in China und Indien steigen wird. Ein Zusammenbruch der Ölversorgung könne bereits in acht Jahren eintreten (AP, 14. November 2007). Im vergangenen Monat lag die globale Ölfördermenge bei 85 Mio. Barrel pro Tag, wohingegen der Verbrauch nach Einschätzung des US-Energieministeriums bereits 85 bis 86 Mio. Barrel pro Tag betrug. Dennoch gaben sich die US-Experten zuversichtlich, daß die Fördermenge im Jahre 2030 auf 118 Millionen Barrel gesteigert werden kann. Auch Saudi-Arabien, das (noch) über die weltweit ertragreichsten Ölreserven verfügt, beteuert regelmäßig, daß es die Ölfördermenge steigern könne, aber die Vergangenheit hat gezeigt, daß dies eben nicht so einfach gelingt. Und schon gar nicht in Größenordnungen, die erforderlich wären, um den wachsenden Bedarf zu decken.

Es werden zwar hin und wieder neue Ölfelder erschlossen, wie zuletzt das Beispiel Brasilien zeigt, aber der Aufwand, um an das schwarze Gold zu kommen, wächst. Bei der Offshore-Förderung müssen die Ölkonzerne immer weiter hinaus aufs Meer gehen und damit größere Wassertiefen überwinden, bevor sie den Meeresboden anbohren können. In Saudi-Arabien und anderen Ölförderländern müssen die Bohrungen in zunehmend kleineren Abständen voneinander gesetzt werden, um die Ausbeute zu optimieren. Außerdem ist es inzwischen keine Ausnahme mehr, daß die Bohrung ab einer bestimmten Tiefe nicht mehr senkrecht, sondern quer zu den erdöltragenden Schichten ausgebracht wird. Das erhöht die Ausbeute ebenfalls, ist aber technisch schwierig und teuer. Als selbstverständlich gilt schon lange, daß dem Ölfluß nachgeholfen wird, indem man Wasser in den Untergrund pumpt und dadurch den Druck auf das Öl erhöht, damit es sich überhaupt an der Oberfläche blicken läßt.

Chris Skrebowski, Herausgeber der Londoner "Petroleum Review", rechnet bereits 2013 mit einem schärferen Einschnitt in der globalen Ölversorgung, und Christophe de Margerie, Manager des französischen Ölkonzerns Total, hält die obige Einschätzung des US-Energieministeriums für weit überzogen. Seiner Ansicht nach werde der tägliche Output maximal 100 Mio. Barrel betragen (AP, 14. November 2007).

Wenn eintritt, was Experten schon länger ankündigen, und die vielen Berichte über Treibstoffmangel keine Einzelereignisse sind, sondern in ihrer Gesamtheit bereits Ausdruck einer generellen Verknappung, dann wird dies weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen haben. Nicht nur hinsichtlich der eingeschränkten Mobilität vieler Menschen, sondern auch hinsichtlich des gesamten Warenverkehrs und nicht zuletzt der Nahrungsproduktion und Trinkwasserverfügbarkeit.

Vor dem Hintergrund der obigen Prognosen zum Einschnitt oder Zusammenbruch der Ölversorgung bis spätestens 2015 wäre in den nächsten Jahren mit noch intensiveren Vorbereitungen seitens derjenigen gesellschaftlichen Kräfte zu rechnen, die, salopp gesagt, am meisten zu verlieren haben, sollte die Ordnung gestört werden. So steht die Diskussion darüber noch aus, ob nicht die ungeheure Verschärfung der Gesetze zur inneren Sicherheit in der gesamten westlichen Welt - einschließlich der Bestrebungen beispielsweise in Deutschland und den USA, das Militär entgegen der Verfassung auch im Innern einzusetzen - als Vorbereitung auf eine Zeit genereller gesellschaftlicher Versorgungsengpässe im Bereich überlebenswichtiger Ressourcen zielt.

6. November 2007