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ATOM/346: US-Senator für Bau von 100 neuen Akws (SB)


100 neue Kernkraftwerke innerhalb von 20 Jahren

US-Senator Lamar Alexander träumt von Renaissance der Nuklearenergie


Die Nuklearindustrie und ihre Lobbyisten in Politik und Wissenschaft werden nicht müde, die Renaissance der Atomkraft zu beschwören. Rückenwind verspüren sie, seitdem es der Wirtschaft gelungen ist, die Technologie zur Energiegewinnung durch Atomspaltung als besonders klimafreundlich zu verkaufen. Abgesehen davon, daß diese Behauptung nicht zutrifft, sobald eine Gesamtbilanz der unverzichtbar mit dem Bau, Betrieb und Rückbau von Kernkraftwerken anfallenden Treibhausgasemissionen aufgestellt wird, sind Atomkraftwerke potentiell gesundheitsschädlich und stellen damit eine noch unmittelbarere Gefährdung der Bevölkerung dar als der - für hiesige Breiten - gegenwärtig kaum greifbare Klimawandel.

Am Mittwoch schlug der US-Senator Lamar Alexander aus dem Bundesstaat Tennessee vor, daß die Zahl der Kernkraftwerke in den USA innerhalb der nächsten 20 Jahre verdoppelt werden sollten. Die Kosten für 100 oder mehr Kernkraftwerke beliefen sich auf vermutlich 700 Milliarden Dollar. Das sei ein "aggressives Ziel", aber mit "präsidialer Führerschaft könnte es gelingen", phantasierte der Senator in einem Umfeld, in dem solche Worte wie Balsam wirken. Alexander sprach laut der "Washington Post" [1] auf einer Wirtschafts- und Technologiekonferenz in der Kernwaffen-Produktionsstätte Oak Ridge, die im Heimatbundesstaat des Senators liegt.

"Ich bin überzeugt, daß es gemacht werden sollte, weil Einsparungen und Kernenergie die einzigen echten Alternativen sind, die wir haben, um ausreichend kostenarme, verläßliche, saubere Energie zur Reinhaltung der Luft, zum Umgang mit dem Klimawandel und zur Bewahrung guter Arbeitsplätze vor dem Abwandern nach Übersee zu produzieren", sagte Alexander.

Sein Vorschlag wirkt zwar reichlich ambitioniert, aber er trifft auf eine die Nuklearenergie befürwortende Stimmung in Washingtoner Regiergungskreisen. Alle 40 Senatoren und etliche Demokraten begrüßten die Kernenergie, behauptete Alexander zurecht. Auch Energieminister Steven Chu hält sie für unverzichtbar. Nur weil Chu und sein Chef, US-Präsident Barack Obama, in dem im Februar vorgestellten Haushalt so gut wie keine Gelder zur weiteren Erschließung des geplanten nuklearen Endlagers Yucca Mountain freigegeben und dem Projekt eine Absage erteilt haben, bedeutet das nicht, daß die US-Administration der Nukleartechnologie prinzipiell ablehnend gegenübersteht. Im Gegenteil, auch Obamas führender wissenschaftlicher Berater, John Holdren, hat sich für die Subventionierung einer neuen Generation von Kernkraftwerken ausgesprochen. [2]

Steve Smith, Direktor der Southern Alliance for Clean Energy, bezeichnete Alexanders Idee als "unverantwortlich". Kernenergie sei das Problem, nicht die Lösung, meinte er laut der "Washington Post". Neue Reaktoren seien teuer, verbrauchten Unmengen Wasser, bereiteten einigen Gemeinden Probleme wegen dem erwärmten Kühlwasser und produzierten radioaktiven Abfall, für den man auch nach 50 Jahren noch keine Lösung parat habe. Smith setzt dagegen auf Senkung des Energieverbrauchs durch Einsparungen und technologische Verbesserungen. Auch Senator Lamar Alexander spricht sich für Erneuerbare Energien aus, schätzt sie aber als nicht ausreichend zur Deckung des Bedarfs ein.

Bei der für die Genehmigung neuer Kernkraftwerke zuständigen Nuclear Regulatory Commission liegen 17 Anträge für den Bau von 26 neuen Reaktoren vor. Selbst wenn die vom Senator von Tennessee "visionierten" 100 Kernkraftwerke nicht gebaut werden, so zeigt sein Vorschlag eine deutliche Hinwendung der US-Administration zur Nukleartechnologie. Einer von vielen Einwänden, zu denen sich Alexander noch nicht geäußert hat: Die Menge an einigermaßen erschwinglichem Natururan wird in wenigen Jahrzehnten verbraucht sein, und je mehr Länder sich für die Kernenergie entscheiden, desto eher tritt "Peak Uran", das Maximum der globale Uranförderung, ein. Es steht zu befürchten, daß uranimportierende Staaten versuchen, in bevorstehenden Zeiten der Not den Nachschub an nuklearen Brennmaterial gewaltsam zu sichern, sei es durch direkte militärische Aktionen, sei es durch ein weltweites Regelwerk, das die eigene Position begünstigt, sei es durch das Schüren von Stellvertreterkriegen oder wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen. Anstatt das auf permanente Expansion abonnierte Wirtschaftssystem als Fessel zu erkennen und sich von ihm zu verabschieden, versuchen Alexander und andere Vertreter der Nuklearenergie es in Zeiten der zunehmender Ressourcenknappheit hinüberzuretten.


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Anmerkungen:

[1] "Key senator calls for 100 new reactors in 20 years", The Associated Press, 27. Mai 2009
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/05/27/AR2009052703404.html?nav=rss_politics

[2] "Obama and the Environment. The Politics of Bait-and-Switch", Jeffrey St. Clair und Joshua Frank, 21. Mai 2009 www.counterpunch.org/stclair05212009.html

28. Mai 2009