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ATOM/370: Enteignung - Bundesregierung will Gorleben als Endlager durchdrücken (SB)


Bundesregierung und Energiekonzerne beanspruchen Allgemeinwohlinteresse - gegen den breiten Widerstand der Öffentlichkeit

Baldiges Ende des Moratoriums gegen die Erkundung des Salzstocks Gorleben als Endlager für hochradioaktive Stoffe


Die Vereinbarung der schwarz-gelben Bundesregierung mit den vier großen Energiekonzernen über die Laufzeitenverlängerung von Atomkraftwerken beweist, daß weder Politik noch Wirtschaft ihre (markt-)beherrschende Stellung abzutreten bereit sind. Eine auf zunehmende Dezentralisierung ausgerichtete Energieproduktion darf nicht zustandekommen, weil dadurch Staat und Oligopole, deren Interessen sich weitgehend decken, ihre Kontrolle verlieren. Mit der Behauptung einiger Kritiker der Atomvereinbarung, daß sich die Regierung hat über den Tisch ziehen lassen, wird allerdings das massive Interesse des Staates an der Qualifizierung von Verfügungsgewalt unterschätzt. Die Vertreter der Regierung wurden nicht über den Tisch gezogen, vielmehr haben sich beide Seiten einvernehmlich über dem Tisch die Hand gereicht.

Daß Staat und Wirtschaft angeblich in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen, war einer der wenigen Fehleinschätzungen, der sich weitgehend auf der ansonsten inhaltlich hochinteressanten und formal gelungenen Energiekonferenz von sechs Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke kürzlich in Hamburg durchgetragen hat. [1] Ansonsten sorgten Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Präsident von Eurosolar, und viele weitere Expertinnen und Experten mit Kurzreferaten und Workshops rund um den Themenkomplex Ausstieg aus der Atomenergienutzung, Entmachtung der Konzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, Rekommunalisierung der Stromversorgung und Ausbau der erneuerbaren Energien für ein hohes Debattierniveau. Mehrheitlich einig waren sich die Beteiligten in der Frage, daß Deutschland einen entschiedenen energiepolitischen Strukturwandel braucht, weg von der zentralistischen Atomenergie und hin zu dezentralen Energiegewinnungsformen.

Eine treffende Einschätzung, die eine breite Unterstützung verdient hätte. Der tags darauf zwischen Regierung und den vier genannten Energiekonzernen erarbeitete Entwurf zum Atomgesetz, den das Bundeskabinett am 28. September beschließen will, hat die Aktualität der Energiekonferenz gezeigt. Mit der Modifikation des Atomgesetzes soll sogar das Instrument der Enteignung wieder eingesetzt werden, um den Widerstand gegen das Endlager Gorleben, das ein zentraler Bestandteil der von Staat und Wirtschaft verteidigten zentralistischen Struktur ist, zu brechen.

An diesem Beispiel wird transparent, daß Eigentum ein Lehen des Staates ist, das dieser zum Nutzen der Allgemeinheit jederzeit zurücknehmen kann. Was der Allgemeinheit dient, bestimmt wiederum der Staat. Ein Zirkelschluß, der in Artikel 14 des Grundgesetzes angelegt wurde. [2] Das gleiche Rechtsverständnis findet sich auch im Atomgesetz wieder, mit dem unter anderem die Erkundung und Erschließung von atomaren Endlagern geregelt wird. 1982 hatten die Eigentümer von Grundstücken oberhalb des Salzstocks Gorleben in einem Rahmenbetriebsplan ihre Salzrechte an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) abgetreten, um eine Endlagererkundung zu ermöglichen. Die Pachtverträge laufen am 31. Dezember 2015 aus. [3] Die rot-grüne Bundesregierung hatte im Jahr 2002 das Atomgesetz dergestalt verändert hatte, daß die Enteignung privaten Grundeigentums zum Nutzen der Atomwirtschaft nicht mehr möglich ist. Im neuen Atomgesetz soll die Enteignung wieder eingeführt werden. Für die Errichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle und die Standorterkundung sei die Enteignung zulässig, heißt es darin laut einer Presseerklärung der BI Lüchow-Dannenberg. [4] Eine Sprecherin des Umweltministeriums erklärte, daß die Erkundung des Salzstocks Gorleben verhindert werden könnte, wenn damit auch nur ein einziger Grundeigentümer nicht einverstanden gewesen wäre. Deshalb sollten in das neue Atomgesetz wieder Enteignungsvorschriften aufgenommen werden. [5] Vorrangiges Ziel bleibe aber eine gütliche Einigung mit allen Beteiligten ...

Dazu wird es absehbar nicht kommen. Zum einen ist der Salzstock Gorleben aus geologischer Sicht als radioaktives Endlager völlig ungeeignet. Die geologische Aufwärtsbewegung des Salzes kann keineswegs als hundertprozentig abgeschlossen bezeichnet werden, der Salzstock hat Grundwasserkontakt, das Salz ist zerklüftet und ermöglicht Wassereinbrüche, es zeigt unter Hitzeeinwirkung, wie sie von den Strahlenstoffen ausgeht, eine hohe Mobilität, und viele Einwände mehr, die in zahlreichen wissenschaftlichen Expertisen festgehalten wurden. Zum anderen soll der Salzstock Gorleben die zentralistische Energieversorgung legitimieren und einen energiepolitischen Strukturwandel verhindern.

Aus Sicht der vorherrschenden Kräfte steht sogar viel mehr auf dem Spiel. Sollte es in einem so wichtigen Bereich wie den der Energieproduktion ein Beispiel dafür geben, daß Konzepte zur Dezentralisierung funktionieren, hätte das sofort gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Das Beispiel würde Schule machen, so daß weitere gesellschaftliche Bereiche sowohl der Profitmaximierung der Konzerne als auch der administrativen Verfügungsgewalt entzogen würden. Das soll verhindert werden, selbstverständlich stellt privates Eigentum, da es ein Lehen des Staates ist, keine unüberwindliche Hürde dar.

Die Sicherung von Eigentum ist zwar ein Kernversprechen, weswegen sich Menschen überhaupt regieren lassen, doch die geplanten Enteignungen zur Durchsetzung des Endlagerstandorts Gorleben beweisen, daß die Regierungen längst Eigeninteressen verfolgen. Die Vorstellung, der Staat schütze Eigentum, trifft so nicht zu. Das Beispiel Gorleben zeigt: Er schützt das Eigentum nur solange, wie er nicht selbst Anspruch auf das private Eigentum erhebt.


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Anmerkungen:

[1] Die Schattenblick-Redaktion hat an der Energiekonferenz teilgenommen und dazu mehrere Berichte und Interviews veröffentlicht.

Näheres unter:

POLITIK -> REPORT -> BERICHT

BERICHT/033: Energiekonferenz - sozialer Widerstand gegen Monopolanspruch der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/034: Energiekonferenz - Podiumsdiskussion zu Alternativen der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/035: Energiekonferenz - Fachvorträge mit Biß gegen Profitstreben und Kontrollzuwachs (SB)
BERICHT/036: Energiekonferenz - Foren und Workshops zur Abschaffung der Atomkraft (SB)

POLITIK -> REPORT -> INTERVIEW

INTERVIEW/044: Energiekonferenz - Alexis Passadakis von Attac (SB)
INTERVIEW/045: Energiekonferenz - Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (SB)
INTERVIEW/046: Energiekonferenz - Gerhard Harder, Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (SB)

[2] Grundgesetz Artikel 14
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
http://www.bundestag.de/dokumente/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg.html

[3] "Erkundungsbergwerk Gorleben: Hauptbetriebsplan, Verlängerung der Salzrechte und weitere Schritte", Stand vom 18.05.2010
http://www.bfs.de/de/endlager/gorleben/salzrechte_gorleben_weitere_schritte.html

[4] "Enteignungen geplant - Schwarz-Gelb legt in der Atompolitik nach", Wolfgang Ehmke von der BI Lüchow Dannenberg, 12. September 2010
http://www.bi-luechow-dannenberg.de/chronologisch/pressemitteilungen/enteignungen-geplant-%E2%80%93-schwarz-gelb-legt-in-der-atompolitik-nach#high_3

[5] "Atomkraftgegner kritisieren Enteignungspläne", 13. September 2010
http://www.ndr.de/regional/dossiers/atomkraft/gorlebenenteignung101.html

13. September 2010