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ATOM/391: 20-km-Sicherheitszone um Akw Fukushima I dient auch der Zensur (SB)


Bevölkerungsschutz oder Repression?

Japanische Regierung verhängt Sicherheitszone rund um das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi


Die japanische Stadt Fukushima hat fast 300.000 Einwohner. Sie liegt 60 Kilometer vom havarierten Atomkraft Fukushima Daiichi und damit weit außerhalb der diese Woche von der japanischen Regierung verhängten 20-Kilometer-Sicherheitszone entfernt. Die Einwohner können also beruhigt sein, ihre Regierung würde sie niemals höheren Interessen als denen der Bewahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit opfern.

Hat nicht Regierungssprecher Yukio Edano an der Seite einer landesweit bekannten Komikerin vor laufender Kamera eine Erdbeere aus der Region in den Mund genommen und genüßlich verzehrt?

Zwar wies die US-Regierung bereits wenige Tage nach Beginn der Katastrophe am 11. März für ihre Bürger eine 80 Kilometer große Sicherheitszone rund um das zerstörte Akw, in dem es zu mehreren Wasserstoffexplosionen gekommen war, aus, aber das war vermutlich nur eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme. Auch daß die Umweltorganisation Greenpeace, die inzwischen quasi-behördliche Aufgaben wahrnimmt, in der Stadt Fukushima örtliche Strahlenwerte gemessen hat, bei denen ein Mensch innerhalb von zehn Tagen so viel Radioaktivität abbekommt, wie er sie nach internationalen Standards gerademal über ein Jahr verteilt ausgesetzt sein darf, nämlich vier Mikrosievert pro Stunde, sollte die Menschen nicht beunruhigen. Denn die Regierung weiß, was sie tut. Wären diese Strahlenbelastungen wirklich gefährlich, würden selbstverständlich Vorsorgemaßnahmen getroffen. Daß manche Formulierungen Edanos nicht immer plausibel wirken, dürfte einer mangelhaften Übersetzung geschuldet sein. Beispielsweise sagte der Sprecher diese Woche, daß eine vollständige Kernschmelze "unwahrscheinlich" ist, wenn sie die Kühlung aufrechterhielten.

So formuliert muß man schon fragen, ob nicht Atomlobbyisten einen derartigen Unfall, wie er sich aktuell in Japan zuträgt, pauschal als "unwahrscheinlich" bezeichnet hatten, also eine Katastrophe, bei der ein Erdbeben in der bekanntermaßen hochaktiven tektonischen Bruchzone vor der ostjapanischen Küste einen mehr als zehn Meter hohen Tsunami auslöst, der das unmittelbar an der Küste errichtete Atomkraftwerk mit seinen sechs Meilern und Abklingbecken überspült, so daß ruckzuck die Kühlung ausfällt und es in den Tagen darauf zu Wasserstoffexplosionen und Kernschmelzen in mehreren Meilern und mindestens einem Abklingbecken kommt.

Wenn dies als unwahrscheinlich angesehen wurde, muß man sich schon fragen, wie glaubwürdig es dann noch ist, wenn jetzt eine vollständige Kernschmelze als unwahrscheinlich betrachtet wird. Auch fällt auf, daß Edano die gute Nachricht an eine Bedingung knüpfte: "Wenn wir die Kühlung aufrechterhalten ..." Und wenn nicht? Dann gilt der wahrscheinliche Ausschluß der vollständigen Kernschmelze selbstverständlich nicht. Dampft man die Regierungserklärung auf ihren Kern ein, so hat Edano erklärt: Wenn alles gut geht, geht alles gut, ansonsten nicht.

Die Erklärungen der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA wirken nicht weniger unzureichend. Beispielsweise erklärte sie, daß mehr als drei Prozent der Brennelemente in den Reaktoren 1, 2 und 3 geschmolzen sind. Was heißt das? Demnach könnten sie auch zu 100 Prozent geschmolzen sein, ohne daß sich die NISA den Vorwurf der Lüge gefallen lassen müßte. Wäre die Behörde in der Lage, auch nur annähernd abschätzen zu können, welche Menge an Brennstäben innerhalb der Reaktorkerne und in den Abklingbecken noch nicht in die Kernschmelze einbezogen sind, würde sie dies sicherlich bekanntgeben.

Wie sich die Gesundheit der Einwohner Fukushimas und anderer verstrahlter Regionen Japans entwickelt, vermag kein Mensch mit Bestimmtheit vorauszusagen. Gut vorstellbar, daß das Siechtum und Sterben, das in einigen Jahren einsetzt und vor allem ältere Menschen trifft, innerhalb der Statistik versteckt werden kann. Man denke nur an die eklatante Diskrepanz der von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verbreiteten Zahl von 43 unmittelbar durch die Tschernobylkatastrophe Umgekommenen und zukünftig wahrscheinlich 5000 Opfern, die frühzeitig an Schilddrüsenkrebs versterben werden, und den bis zu eine Million Opfern, wie sie von russischen Nuklearexperten und einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen angegeben werden.

Bis sich in Fukushima und Umgebung in einer Statistik beispielsweise höhere Krebsraten abzeichnen, verstreicht so viel Zeit, daß es für Gegenmaßnahmen längst zu spät ist. Außerdem könnten dann sogenannte Experten immer noch behaupten, daß die vermehrte Krebshäufung nicht nachweisbar auf die Verstrahlung zurückgeführt werden kann, da auch andere Umstände, beispielsweise das traumatische Erlebnis aufgrund des Tsunamis, zur Krebsentstehung beigetragen haben könnten.

Die Ausweisung einer 20 Kilometer großen Sicherheitszone rund um das Akw Fukushima Daiichi, die nicht ohne Genehmigung der Regierung betreten werden darf, dient allem Anschein nach auch der Zensur. Denn wenn der Regierung wirklich am Wohl der Bevölkerung gelegen wäre, zöge sie die Zone größer. So drängt sich der Verdacht auf, daß die innerhalb der Strahlenzone gemessenen Werte nicht vollständig offengelegt werden sollen, möglicherweise weil dabei entdeckt würde, daß größere Mengen Plutonium freigesetzt wurden. Das Verhängen einer Sicherheitszone liegt jedenfalls auf einer Linie mit der Anweisung an die Arbeiter im havarierten Akw, nicht nach außen zu telefonieren.

21. April 2011