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ATOM/427: Atomkurs Japans gestärkt - Ist Deutschlands Akw-Abschied endgültig? (SB)


Akw-Befürworter zum Gouverneur Tokios gewählt - trotz Fukushima

Deutschlands Atomausstieg könnte "Sachzwängen" geopfert werden



Die japanische Regierung schwenkt fester denn je auf einen Atomkurs ein. Das zeigt die Wahl des früheren Gesundheitsministers Yoichi Masuzoe am Sonntag zum Gouverneur der Hauptstadt Tokio. Der Kandidat der konservativen Regierungspartei LDP spricht sich für das Wiederanfahren der vom Netz genommenen, vermeintlich sicheren Atomkraftwerke und den Neubau von Atommeilern aus. Sein stärkster Herausforderer hingegen, der frühere Regierungschef Morihiro Hosokawa, hatte sich mit einem Plädoyer für den Atomausstieg zur Wahl gestellt. [1]

Nach der schweren Nuklearkatastrophe am 11. März 2011 im Atomkomplex Fukushima Daiichi aufgrund eines Erdbebens und anschließenden Tsunamis kippte in ganz Japan die Stimmung gegen diese Hochrisikotechnologie. Nicht zuletzt aufgrund großer Anti-Akw-Demonstrationen beschloß die Regierung noch im selben Jahr den Atomausstieg. Doch schon Ende 2012 kam es zu einem Schwenk: Shinzo Abe von der LDP wurde zum Ministerpräsidenten gewählt. Zwar hatte sich die Demokratische Partei Japans (DPJ) von Yoshihiko Noda beim Versuch, die Tsunami-Katastrophe zu bewältigen, nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber daß trotz der nach wie vor breiten Anti-Atom-Stimmung im Land bei der Unterhauswahl am 16. Dezember 2012 mit Abe nicht nur ein rechtskonservativer Nationalist, sondern auch Verfechter der Atomenergie gewählt wurde, hat überrascht. [2]

Formal wird die Energiepolitik Japans nicht von den Gouverneuren bestimmt, aber der Einfluß des Gouverneurs von Tokio auf die Politik der japanischen Regierung ist enorm. Denn die mit 13 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Präfektur Tokio ist viertgrößte Anteilseignerin des Fukushima-Betreibers Tepco (Tokio Electric Power Company) und verbraucht ein Zehntel des landesweit erzeugten Stroms. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Tokios betrug im Fiskaljahr 2006 92,3 Billionen Yen (rund 590 Mrd. Euro), und das Budget, über das Yoichi Masuzoe nun verfügen wird, entspricht dem Staatshaushalt Indonesiens.

Wenn selbst ein Land, das bereits zum zweiten Mal von einer Nuklearkatastrophe mit weiträumiger radioaktiver Verstrahlung heimgesucht wurde - zum einen 1945 durch die beiden US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki, zum zweiten durch den dreifachen GAU (größter anzunehmender Unfall) von Fukushima -, sich nicht unumkehrbar von der Atomenergie verabschiedet, stellt sich die Frage, ob eigentlich der Atomausstieg Deutschlands unumstößlich ist.

Angeblich unter dem Eindruck der dreifachen Kernschmelze in Japan (und nicht etwa mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen ...) hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2011 eine energiepolitische Wende vollzogen und den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet. Der war zwar längst beschlossen, aber zuvor von Merkel rückgängig gemacht worden.

Die Bundesregierung ist nicht weniger industrie- und wirtschaftsorientiert als die japanische Regierung, so daß allein von der Interessenlage her nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß Deutschland seine Akws abschalten wird. Vielleicht werden eines Tages "Sachzwänge" bemüht, die es nötig erscheinen lassen, daß nur ein Teil der Meiler vom Netz genommen wird. An Vorwänden für einen Wiedereinstieg würde es nicht mangeln:

- Die EU-Kommission befürwortet Atomenergie und könnte Druck auf die Bundesregierung ausüben.

- Durch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) der EU mit den USA halten neue Rechtsvorstellungen und Bestimmungen Einzug, die zu einem Wiedereinstieg in die Atomenergie beitragen könnten.

- Die Treibhausgasemissionen nehmen weltweit zu, die Erde erwärmt sich. Atomenergie steht fälschlicherweise in dem Ruf, klimafreundlich zu sein. Bei dieser Vorstellung muß man die immensen energetischen Mehraufwände ausblenden, die beispielsweise in Japan bei der Bewältigung der Katastrophenfolgen von Fukushima entstehen.

- Erneuerbare Energien haben noch nicht bewiesen, daß sie einem Wirtschaftsmoloch wie Deutschland ausreichend "Futter" zuführen können.

Unmittelbar hat die Wahl eines Atombefürworters zum Gouverneur der Wirtschaftsmetropole Tokio nichts mit der deutschen Energiepolitik zu tun. Doch so unterschiedlich die Ausgangsbedingungen von Japan und der Bundesrepublik in Atomfragen auch sind, bestehen dennoch ähnlich gelagerte Interessen auf seiten der Regierenden.

Weder in Japan noch in Deutschland wurde die Entscheidung für den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken vorwiegend von der Sorge um eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Energie getrieben, sondern in beiden Fällen von dem Interesse, ein bestimmtes Wirtschaftsmodell durchzusetzen.

Wäre es nur um preiswerte Energie für alle gegangen, wie es ursprünglich bei der Einführung der Atomenergie, jenes Spin-offs der ultimativen Zerstörungswaffe, verheißen wurde, hätten sich Konzepte einer dezentralen, relativ autonomen Energieproduktion eher angeboten. Davon hätte die Wirtschaft jedoch keinen so großen Nutzen, und, was oftmals unterschätzt wird, wenn alle Menschen ihre eigene Energie produzieren könnten, gäbe es auf diesem Sektor auch für eine Regierung weniger zu verwalten und zu kontrollieren. Dieser wirtschaftlich-administrative Komplex besitzt also ein reges Interesse an zentral gesteuerten Energieformen. Darin sind sich die Regierungen, auf welcher Seite des Globus auch immer, einig.


Fußnoten:

[1] http://dw.de/p/1B5mA

[2] Sowohl der in New York lebende japanische Anarchist Sabu Kohso als auch der japanische Fotograf Tsukasa Yajima, der in Berlin lebt, brachten in Gesprächen mit dem Schattenblick ihre Verwunderung über das Verschwinden der breiten Anti-Akw-Bewegung bzw. den Ausgang der Wahlen 2012 zum Ausdruck:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0068.html
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0065.html

9. Februar 2014