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ATOM/430: Kanada will Endlager am größten Süßwasserreservoir der Welt einrichten (SB)


Auch in Kanada wächst der radioaktive Müllberg und schafft Zwangslagen

Regierung verschiebt Genehmigung für Endlagerbau bis nach den Wahlen ...


Wohl kaum ein technologischer "Fortschritt" zeigt so deutlich die Zwangslage, in die sich der Mensch manövriert hat, wie die Energieproduktion mittels der Kernspaltung. Diese ist ihrerseits sowohl das Ergebnis als auch der Treibriemen einer generell auf Wachstum und Verbrauch gestützten, gegenüber Mensch und Umwelt destruktiven Produktionsweise. Vor sage und schreibe mehr als 60 Jahren, also vor über zwei Generationen, wurden die ersten zivilen Atomkraftwerke in Betrieb genommen - zunächst 1954 im russischen Obninsk, ein Jahr darauf in Calder Hall, UK - und bis heute existiert nirgendwo auf der Welt ein schlüssiges Endlagerkonzept. Dabei war das Problem schon frühzeitig erkannt worden, doch niemand hat dafür eine Lösung parat, die nicht darauf hinausliefe, über kurz oder lang die Umgebung einem unkalkulierbaren Strahlenrisiko auszusetzen.

Das ehemalige Salzbergwerk Asse steht in Deutschland beispielhaft für das Scheitern dieser Energiegewinnungsform - in das einst als sicher gepriesene Endlager dringt Wasser ein. In den USA ist der Endlagerstandort Yucca Mountain ein treffendes Beispiel. Mehr als zehn Milliarden Dollar wurden in die Erschließung investiert, doch wurde das Vorhaben eingestellt. Der wichtigste Grund: Wasser könnte in die Anlage eindringen.

Das Endlager WIPP, die Waste Isolation Pilot Plant, in der Nähe von Carlsbad im US-Bundesstaat New Mexico, mußte im vergangenen Jahr geschlossen werden und ist bis heute noch nicht wieder geöffnet worden - wegen eines Unfalls mit Strahlenfreisetzung aufgrund von falschem (!) Katzenstreu. [1] 21 Arbeiter hatten Plutonium oder Americium eingeatmet. Die Langzeitfolgen dieser angeblich schwachen Kontamination sind unabsehbar, wenn man bedenkt, daß bereits ein einziges eingeatmetes Radionuklid Krebs auslösen kann.

Solcher Erfahrungen nicht genug will nun die kanadische Regierung ausgerechnet neben dem größten Süßwasserreservoir der Welt ein Endlager für radioaktiven Abfall einrichten. Die voraussichtlich mehr als eine Milliarde kan. Dollar teure Anlage soll bei dem Ort Kincardine, rund einen Kilometer vom Huronsee entfernt, schwach- und mittelradioaktiven Abfall aufnehmen. Der Standort liegt seinerseits im weltgrößten Atomkomplex, dem Bruce Power Complex, in dem mit Hilfe von acht Atommeilern rund 25 Prozent des kanadischen Strombedarfs produziert wird. Es ist vorgesehen, rund 200.000 Kubikmeter an schwach- und mittelstrahlendem Nuklearabfall in einer rund 680 Meter tiefen Kalksteinschicht unterzubringen. Geologen zufolge hat sich die Gesteinsschicht seit Millionen Jahren nicht mehr bewegt.

Der Konzern Ontario Power Generation (OPG), der das Endlager einrichten will, erhält Unterstützung seitens der kanadischen Bundesregierung sowie der Provinzregierung Ontarios, nicht jedoch einer Vielzahl von Kommunen auf kanadischer wie auf US-amerikanischer Seite der Grenze sowie einer wachsenden Zahl von Einzelpersonen und Umweltschutzgruppen, die über 160 Petitionen an die Regierung gesandt haben. [2]

Vor kurzem hat die kanadische Umweltministerin Leona Aglukkaq die Entscheidung über die Genehmigung bis nach den für Ende Oktober anberaumten Parlamentswahlen aufgeschoben. In der Zwischenzeit dürfen die Bürgerinnen und Bürger Kommentare zu den vorgeschlagenen Bedingungen, nach denen das Endlager gebaut werden soll, abgeben, heißt es. Man sei "transparent, genau und konsequent", so Ted Laking, Sprecher der Umweltministerin in einer Email. [3]

Mit diesem durchsichtigen Manöver versucht die Regierung zu vermeiden, daß sie von den Wählerinnen und Wählern die Rechnung für die inoffiziell längst beschlossene Freigabe des Deep Geological Repository (DGR) genannten Endlagers präsentiert bekommt. Politisch zu heiß ist das Thema, das man erst in Angriff nehmen will, wenn man fest im Sattel sitzt. Zumal die konservative Regierung von Premierminister Stephen Harper mit dem geplanten Endlager für Nuklearabfall ein weiteres Faß auf dem umstrittenen Feld der Energieversorgung aufmacht. Denn auch gegen den umweltzerstörenden Abbau von Teersanden, Fracking, den gewaltigen Ausbau des Pipelinenetzes für Erdöl und Erdgas sowie den Bau neuer Terminals an der kanadischen Ostküste regt sich der Widerstand in der Bevölkerung. Auch wenn dieser zur Zeit nicht mehrheitsfähig ist - die Zahl der Protestierenden wächst.

Der Huronsee gehört zu den Großen Seen, die sich die USA und Kanada teilen. Rund 40 Millionen Menschen beziehen ihr Trinkwasser von dort. In einem mehr als 400 Seiten umfassenden Umweltgutachten, das am 8. Mai 2015 vorgestellt wurde, wird behauptet, daß von dem Projekt voraussichtlich keine bedeutenden Umweltschäden ausgehen werden und daß die Verbringung des Nuklearabfalls, der zur Zeit oberirdisch auf dem Bruce-Komplex und weiteren Akw-Standorten Kanadas gelagert wird, in der Kalksteinschicht die sicherste Lösung ist. Außerdem sollte so schnell wie möglich damit begonnen werden, den Nuklearmüll unter der Erde zu lagern, empfiehlt das dreiköpfige Autorenteam. [4]

Es ist ein Fehler, den Strahlenmüll neben dem größten Trinkwasserreservoir des ganzen Planeten zu begraben, sagt dagegen Beverley Fernandez, Sprecherin der Organisation Stop the Great Lakes Nuclear Dump, die eine Kampagne gegen das Vorhaben betreibt. Auch auf US-amerikanischer Seite macht man sich Sorgen. Senatoren des Bundesstaats Michigan, in dem ein Teil des Huronsees liegt, haben das US-Außenministerium gebeten, sich der Sache anzunehmen.

Es bedurfte offenbar des pensionierten OPG-Wissenschaftlers und Chemikers Frank R. Greening, um das Autorenteam des Umweltgutachtens darauf aufmerksam zu machen, daß OPG die Radioaktivität des Strahlenmülls, der eingelagert werden soll, teilweise um den Faktor 100 zu niedrig eingeschätzt hat. Man habe seine Kritik angenommen, aber nach dem Motto reagiert, "ups, da haben wir einen Fehler gemacht, aber das ist kein Problem", berichtete Greening. [5]

Was bedeutet "sicher" im Zusammenhang mit Strahlenmüll? Das Material muß mehr als 100.000 Jahre geschützt werden, schreiben Kritiker und geben zu bedenken, daß die Großen Seen, an deren Ufer das Endlager eingerichtet werden soll, gerade mal 12.000 Jahre alt sind.

Der Konzern OPG hofft, 2018 mit dem Bau zu beginnen und 2025 den Atommüll einbringen zu können. Parallel zu diesen Bemühungen sucht eine von der Bundesregierung in Ottawa gegründete Nuclear Waste Management Organization nach einem geeigneten Endlagerstandort für hochradioaktiven Abfall, der angeblich nicht im DGR eingebracht werden soll.

Auch Kanada hat bereits vor zwei Menschengenerationen begonnen, Atomkraftwerke zu bauen, also "schon mal loszulegen", ohne ein nukleares Gesamtkonzept zu entwickeln. Jetzt müssen die Kriterien der Endlagersuche diesen Bedingungen angepaßt werden - ein hunderttausend Jahre sicheres Endlager gibt es nicht.


Fußnoten:

[1] http://www.world-nuclear-news.org/RS-Wrong-kitty-litter-the-culript-for-WIPP-release-27030151.html

[2] http://www.stopthegreatlakesnucleardump.com/resolutions.php

[3] http://www.theglobeandmail.com/news/national/decision-on-lake-huron-nuclear-waste-facility-delayed-until-after-election/article24838999/

[4] http://www.ceaa-acee.gc.ca/050/documents/p17520/101595E.pdf

[5] http://www.huffingtonpost.ca/david-suzuki/lake-huron-nuclear-waste-_b_5589570.html

30. Juli 2015


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