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ATOM/441: Kostenlose Pflästerchen für strahlengeschädigte Aborigines (SB)


Folgenschwere Kernwaffentests Großbritanniens in der südaustralischen Wüste


Man hat sie vertrieben und getötet, man hat ihnen ihre Kinder geraubt und sie zwangschristianisiert, man hat ihren Lebensraum und ihre Kulturgüter zerstört und man hat sie sterilisiert, doch nun wird vermeintlich alles gut: Die letzten überlebenden Aborigines, die vor 60 Jahren unter den britischen Atomtests gelitten haben, sollen eine Gesundheitskarte ("gold card") erhalten, durch die nahezu alle medizinischen Behandlungskosten abgedeckt werden. Das teilte die australische Regierung am Dienstag mit. [1]


Gewaltige Explosionswolke, die vom Boden aufsteigt - Foto: InnoventionAustralia, freigegeben als CC BY 2.0  [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Kernwaffenexplosion im Maralinga-Testgebiet, 1950er Jahre.
Foto: InnoventionAustralia, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Australiens Commonwealth-Partner Großbritannien hatte zwischen 1952 und 1963 in der Wüste von Maralinga ("Donner") und auf den Monte-Bello-Inseln geheime, oberirdische Kernwaffentests durchgeführt. Dabei wurden die Einwohner und ihre Mit- und Umwelt radioaktiv verseucht. Davon betroffen waren allein in der südaustralischen Maralinga-Wüste schätzungsweise 1200 Aborigines. Sie mußten ihre Heimat und - in der suprematischen westlichen Sichtweise allzu oft vernachlässigt - die Heimat, in der ihre Ahnen bestattet sind, verlassen. Die Verfügungsgewalt über ihren Lebensraum wurde den Aborigines bereits mit der Ausweisung des Gebiets als Woomera Prohibited Area (WPA) geraubt, die Kernwaffentests stellten eine noch drastischere Form des Land-grabbings dar.

Eine sterbende Rasse kann die Verteidigung der westlichen Zivilisation nicht behindern, lautete damals die Einstellung der Verantwortlichen. [2] Abgesehen von zwölf oberirdischen Kernwaffentests wurden im Land der Maralinga Tjarutja an die 700 Versuche mit luft- und landgestützten Raketen durchgeführt. Dabei wurden 100 kg radioaktive und toxische Substanzen freigesetzt. Dazu gehörten allein 22 kg Plutonium.

Der radioaktive Fallout wird "puyu" genannt, schwarzer Nebel. Die Menschen litten unter tränenden Augen, Hautausschlag, Durchfall und Erbrechen. Wer von der ursprünglichen Bevölkerung in seinem Stammesgebiet blieb, wurde noch stärker verstrahlt und starb. Bei medizinischen Untersuchungen in den achtziger Jahren wurden bei den Aborigines erhöhte Krebsraten und vermehrte Atemwegserkrankungen festgestellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Großbritannien gemeinsam mit anderen Commonwealth-Staaten eine Front gegen die Sowjetunion aufgebaut, die ihrerseits auf die Bedrohung mit dem Bau von Kernwaffen geantwortet hat. Dabei wurde hüben wie drüben keine Rücksicht auf die Bevölkerung genommen, wobei Großbritannien schon wußte, warum es die Tests nicht auf der eigenen Insel, sondern im fernen Australien durchführen ließ ...

Die weltweit unter Hochdruck aufgebaute nukleare Abschreckung richtete sich zwar auch gegen die imperialistische Konkurrenz, doch die nukleare Aufrüstung allein als Folge des "Ost-West-Konflikts" zu beschrieben, würde zu kurz greifen. Die atomare Abschreckung richtete sich damals und richtet sich noch heute gegen alle anderen Staaten, die nicht über diese vernichtungsgewaltigste Waffe, die Menschen je gebaut haben, verfügen. Sie richtet sich aber nicht zuletzt nach innen, gegen die eigene Bevölkerung, die sich um so bereitwilliger führen und zu Gehorsamkeit bewegen läßt, je größer die äußere Bedrohung ist. In dieser Hinsicht spielen die Nuklearstaaten ein gemeinsames "Spiel". Dem widerspricht nicht, daß es zu einem nuklearen Schlagabtausch zwischen zwei oder mehr Nationen kommen kann. Vor rund einem Jahr hat die britische Regierung beschlossen, das Atomwaffenprogramm fortzusetzen und die vier atomwaffentragenden U-Boote der Trident-Klasse zu ersetzen. Kosten: 31 Mrd. brit. Pfund (36 Mrd. Euro).

In Maralinga wurden 1967 und 2000 und werden seit 2009 zum dritten Mal Dekontaminationsmaßnahmen durchgeführt, die stellenweise heute noch anhalten. Die meisten Flächen in dem Gebiet wurden inzwischen für die Öffentlichkeit freigegeben. Man kann nicht sagen, daß sich die australische Regierung bei der Finanzierung der Gesundheitskarten für die Aborigines in Unkosten stürzen würde. Sie werden aus einem Topf finanziert, der 133,1 Mio. austral. Dollar (ca. 90,1 Mio. Euro) umfaßt und die Kompensation von Veteranen der australischen Streitkräfte einschließt.

Die kostenlose medizinische Versorgung der letzten Überlebenden der Kernwaffenversuche stellt den Gipfel an Zynismus seitens der Regierung dar. Gewiß, wenn die einzige Alternative darin bestünde, daß die Menschen gar keine Unterstützung erhielten, ist eine medizinische Versorgung für sie von Vorteil. Aber weder kann man erlittene Krankheiten noch den Verlust der Ahnen und kulturellen Gepflogenheiten entschädigen. Hätte man die Bewohner der nuklearen Testgebiete vorher gefragt, ob sie mit den Kernexplosionen einverstanden sind, sie würden sich dadurch Krebs und andere schwere Krankheiten zuziehen, aber, hey, sie erhielten dafür auch irgendwann einmal die Behandlungskosten bezahlt, wäre das Votum sicherlich eindeutig ausgefallen: Niemals!


Roter Sandboden, lockerer Bewuchs bis maximal Buschgröße - Foto: Wayne England, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Wikimedia Commons

Ehemaliges britisches Kernwaffentestgebiet in der Maralinga-Wüste
Foto: Wayne England, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://www.sbs.com.au/nitv/nitv-news/article/2017/05/09/60-years-too-late-yami-lester-gold-card-indigenous-people-victim-nuclear-tests

[2] http://www.news.com.au/technology/innovation/inventions/australian-who-worked-on-atomic-test-program-says-promise-of-a-gold-card-too-bloody-late/news-story/840998045de257f2617055d2f097a75b


12. Mai 2017


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