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ATOM/455: Grün lackiert - Atomwirtschaft ... (SB)



Wer soviel Geld übrig hat, daß er einen gehörigen Teil davon einem Portfoliomanager anvertrauen kann, damit dieser es in umweltfreundliche Technologien investiert, muß damit rechnen, daß er getäuscht wird. Es bleibt den Geldverwaltern weitgehend selbst überlassen, ob sie Fluggesellschaften, die Atomindustrie, Pestizidhersteller, Erdölkonzerne und andere umweltschädigende Technologien und Unternehmen in ihr Portfolio aufnehmen und ein grünes Etikett draufkleben. Doch im Mai 2018 hat die EU-Kommission in einer neuen Verordnung festgehalten, "in welcher Form Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater, die die Pflicht haben, stets im besten Interesse der Kunden zu handeln, Risiken und Chancen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Faktoren) berücksichtigen müssen". [1]

Ein Anfang war gemacht. Allerdings könnte die EU im Kampf gegen grüne Alibiprojekte nun ihrerseits Greenwashing betreiben. So hat diese Woche der Europäische Rat unter dem Vorsitz Finnlands die Entscheidung, einheitliche Standards der Nachhaltigkeit für den Kapitalmarkt zu erstellen, auf Ende 2022 vertagt. Mit diesem Aufschub um drei Jahre geht die EU offenbar auf die Atomwirtschaft zu. Die versucht schon seit geraumer Zeit, sich als besonders klimafreundlich zu verkaufen. Der Atomindustrie winken letztlich Milliardenbeträge seitens privater Investoren, sollte es ihr gelingen, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen und die oben erwähnten ESG-Kriterien für ethisch saubere Investitionen zu erfüllen. Da die Kosten der gegenwärtigen Neubauprojekte von Atomkraftwerken völlig aus dem Ruder laufen, kämen die hohen Investitionen der Atomwirtschaft gerade recht.

Die Europäische Union hat die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (2012) und das Übereinkommen von Paris (2016) ratifiziert und ist dem Klimaschutz verpflichtet. Danach richtet sie ihre politischen Entscheidungen aus, auch hinsichtlich der Regeln für den Kapitalmarkt. Die europäische Nichtregierungsorganisation Transport & Environment warnt nun, daß die EU trotz "bester Absichten" durch das Hinauszögern einer Festlegung auf klare Definitionen, welche Technologie als ökologisch nachhaltig angesehen wird, die Gefahr eines Rückschlags im Kampf gegen Greenwashing auf den Finanzmärkten heraufbeschwört. Insbesondere kritisiert die Organisation, daß inzwischen beim Europäischen Rat nur noch von "kohlenstoffarmer Energie" die Rede ist. Diese Formulierung könnte zu einem späteren Zeitpunkt dazu führen, daß ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig definiert wird. Deutschland, Österreich und Luxemburg hätten vergeblich versucht, diese unbestimmte Wortwahl aus dem Textentwurf des Rats zu entfernen. [2]

Ein wachsender Teil der Kundschaft möchte nicht, daß seine Gelder in ökologisch zweifelhafte Vorhaben gesteckt werden. Aus dem Grund wird das Bemühen der EU um einheitliche Standards von Nichtregierungsorganisationen wie Transport & Environment unterstützt. Zumal die Vorstellung besteht, daß die EU zum internationalen Vorbild für "nachhaltige Investitionen" werden könnte. So haben über 50 Nichtregierungsorganisationen einen Appell an die EU unterzeichnet, mit dem die von der Technical Expert Group [3] der EU-Kommission erstellte Auflistung umweltfreundlicher, nachhaltiger Aktivitäten unterstützt und mit Verbesserungsvorschlägen versehen wird. [4]

Obgleich die Atomenergie in dem Entwurf der Technischen Expertengruppe nicht auftaucht, lasse der Text des Europäischen Rats die Tür für eine spätere Aufnahme der Atomenergie weit auf, schreibt Transport & Environment. Die Organisation setzt nun ihre Hoffnung auf die Dreiergespäche der finnischen Ratspräsidentschaft mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, so daß das Thema noch in diesem Jahr zu einem Abschluß gebracht werden könnte.

Ob und unter welchen zweifelhaften Voraussetzungen der Akkumulation Finanzinvestitionen überhaupt ethisch sauber sein können, sind Fragen, die von den Nichtregierungsorganisationen nicht aufgeworfen werden. Ihr Anliegen hat seinen Platz da, wo innerhalb des vorgegebenen, nicht hinterfragten Wirtschaftsgeschehens Lohnarbeit verrichtet, Mehrwert generiert und Profite abgeschöpft werden, kurzum, wo des einen Vorteil dem anderen zum Nachteil gereicht. Innerhalb dieses Wertgefüges erfüllt Ethik nicht etwa die Funktion eines Gegenentwurfs, sondern eines Schmieröls, mit dem sichergestellt wird, daß das Getriebe so reibungsarm wie möglich läuft.


Fußnoten:

[1] https://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1571_de.htm

[2] https://www.transportenvironment.org/press/setback-europe´s-fight-against-greenwashing-finance

[3] https://ec.europa.eu/info/publications/sustainable-finance-technical-expert-group_en#taxonomy

[4] https://stopgreenwashing.net/

27. September 2019


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