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GENTECHNIK/298: Glyphosat global - Landwirtschaft in der Sackgasse? (SB)


Glyphosatresistente Pflanzen auf dem Vormarsch

"Sie sollten sie fürchten und respektieren, denn wenn Sie nur ein einziges Mittel gegen sie einsetzen, werden Sie bezwungen."
(Empfehlung des australischen Biologen Prof. Powles an US-Farmer zur Vermeidung der Entstehung von herbizidresistenten Pflanzen)



Die Vorstellung, daß der Mensch aus der Geschichte lernt, ist doch wohl sehr in Frage zu stellen. Was als "technologischer Fortschritt" gehandelt wird, erweist sich mitunter als Maskerade des Rückschritts. Zum Beispiel die Landwirtschaft. Forschern ist es gelungen, Teile tierischer Zellen in Pflanzen einzuzüchten, so daß diese vermeintlich neue Eigenschaften zeigen. Diese "Tierpflanzen" können zum Beispiel einen Guß mit einem Unkrautvernichtungsmittel schadlos überstehen, der alle anderen Pflanzen in ihrem Umfeld innerhalb weniger Tage verkümmern und verenden ließe. Hat man es hier demnach mit einem Fortschritt der Agrotechnologie zu tun?

Nicht unbedingt, denn aufgrund des anfänglichen Erfolgs, bei dem den "Tierpflanzen" zu einem beeindruckenden Konkurrenzvorteil im ständigen Ringen um Licht und Nährstoffen verholfen wird, werden sie weltweit auf einer immer größeren Fläche angebaut, was mit einem vermehrten Einsatz von Herbiziden einhergeht. Das führte dazu, daß einige besonders wehrhafte, zu Unkräutern abgestempelte Pflanzen die Fähigkeit entwickelten, den Chemie-Regen ebenfalls schadlos zu überstehen und diese Eigenschaft an ihre Nachkommen weiterzugeben.

Von solchen wehrhaften, herbizidresistenten Un- oder Beikräutern existieren inzwischen 63 Arten, die in 61 Ländern vorkommen. Besonders betroffen sind die Vereinigten Staaten von Amerika, das Mutterland der sogenannten grünen Gentechnik, bei der unter anderem tierische Bestandteile in Pflanzen implementiert werden. Der Pflanzenforscher Dr. Jason Norsworthy von der Universität von Arkansas stellt fest, daß Glyphosat - so der Name des weltweit mit Abstand wichtigsten Herbizidwirkstoffs - für die USA "verloren" ist. [1]

Die glyphosatresistente Pflanze Palmer Fuchsschwanz (Palmer amaranthi) tritt bereits auf der Hälfte der Getreideanbauflächen der USA auf. Vor dreißig Jahren sei Herbizidresistenz noch als akademische Kuriosität angesehen worden, schreibt die Grains Research and Development Corporation (GRDC), eine Einrichtung der australischen Regierung. Vor der Einführung der grünen Gentechnik in den USA wurde Soja mit 19 verschiedenen Herbiziden behandelt. Inzwischen verwenden nicht einmal fünf Prozent der Farmer ein anderes Herbizid als eines mit Glyphosat. Eine ähnliche Entwicklung ist bei Gen-Raps und -Baumwolle zu beobachten.

Ist das wirklich ein Fortschritt? Warum wird in der Landwirtschaft nicht eine Grundregel der medizinischen, antibakteriellen Behandlung befolgt, nämlich nicht von Anfang an immer und überall das gleiche und stärkste Mittel zu verwenden? Nur so kann das Problem der Resistenzentwicklung - in diesem Fall bei Krankheitserregern - drastisch verringert werden. In der Landwirtschaft weiß man anscheinend nichts von dieser Regel, wobei das keineswegs allein in der Verantwortung des einzelnen Bauern liegt, sondern bereits in dem Zwang, ökonomisch zu arbeiten, angelegt ist.

In den USA sind bereits 25 Millionen Hektar - das entspricht nahezu der gesamten Getreideanbaufläche Australiens - von glyphosatresistenten Pflanzen befallen. Unter den widerständigen Vertretern ist der Palmer Fuchsschwanz die verbreitetste. Sie entwickelt ein enormes Wachstum von drei bis zehn Zentimetern pro Tag und kann bis zu eine Million Samenkörner ausbilden. Das Blattwerk ist relativ dicht, so daß die Pflanze ihre Konkurrenten sprichwörtlich in den Schatten stellt.

Auch Australien muß erleben, daß "die Natur" zurückschlägt, was bedeutet, daß sich bestimmte Pflanzenarten nicht dem ihnen zugedachten Los fügen und statt dessen - ohne jede labortechnische Ausrüstung, die der Mensch für seine Pflanzenzüchtungen benötigen würde - herbizidresistente Nachkommen in die Welt setzen. In Down Under sind bislang sechs resistente Arten bekannt. So wuchert inzwischen das Weidelgras und das Wildradieschen entlang von Bahntrassen und Weidezäunen, von denen sie jahrzehntelang durch Glyphosat verbannt worden waren. Die Forscher der australischen Regierung befürchten, daß die resistenten Gräser irgendwann in solchen Mengen auf die Felder überspringen könnten, daß die Farmer das dann nicht mehr in den Griff bekommen.

"Der Herbizidgebrauch, wie wir ihn kennen, ist gefährdet", schreibt die Initiative WeedSmart, die den langfristigen, nachhaltigen Einsatz von Herbiziden in Australien fördern will. Die Bedrohung gehe vom sogenannten No-till-Farming, dem Getreideanbau ohne Pflügen, aus. "Wir haben uns zu sehr auf Herbizide verlassen", schreibt die Initiative. Resistente Pflanzen drohen die Produktivitätsgewinne der letzten zwanzig Jahre zunichte zu machen. Nun werde eine breite Palette an Taktiken gebraucht, mit und ohne den Einsatz von Herbiziden, wobei der Schwerpunkt darauf liegen sollte, zu verhindern, daß die Unkrautsamen aufs Saatbett gelangen. "Es ist Zeit zu handeln." [2]

Der Pflanzenbiologe Prof. Stephen Powles von der University of Western Australia und Direktor der Australian Herbicide Resistance Initiative sprach kürzlich in den USA in der Zentrale des Chemiekonzerns Syngenta über Pflanzenschutz. In Australien habe die Transformation von Schafzucht auf Getreideanbau zu Beginn der 1990er Jahre das Problem mit sich gebracht, daß das weit verbreitete Weidelgras, das bis dahin von den Schafen gefressen wurde, inzwischen als Störfaktor angesehen wird, da es aufgrund der ständigen Herbizidbehandlung Resistenz gegenüber mehreren Mitteln entwickelt hat.

Herbizide seien noch immer die erste Wahl, so Powles in einem Interview mit AgriNews, aber man könne sich nicht einfach darauf verlassen, sondern müsse sein System diversifizieren. Es dürften nicht immer die gleichen Chemikalien verwendet werden, man müsse Fruchtfolgen einhalten, und es müßten einige "nicht-chemische Werkzeuge" zum Einsatz kommen, empfahl er den US-Farmern.

Noch vor fünf Jahren haben fast alle Getreidebauern im US-Bundesstaat Tennessee nicht mehr gepflügt. Das brauchten sie nicht, weil sie ihre Felder nach der Ernte mit Glyphosat behandelten, so daß alle grünen Pflanzen abgestorben sind. Inzwischen sei mehr als die Hälfte der Bauern wieder zum tiefen Pflügen übergegangen, um die herbizidresistenten Pflanzen zu begraben, berichtete GRDC im Mai dieses Jahres. [1]

Zu den anscheinend heiß gehandelten Empfehlungen des australischen Biologen Powels gehört eine uralte agrarische Kulturtechnik: Unkraut zupfen. Mit diesem Vorschlag scheint der australische Pflanzenbiologe allerdings in den USA offene Türen, wenn nicht gar Scheunentore einzurennen. Immer mehr Farmer werden inzwischen "handgreiflich". Powles selbst hat bei seinem Besuch im Bundesstaat Illinois von regelrechten Mannschaften gehört, die durch die Felder ziehen und für 30 bis 100 US-Dollar (22 bis 74 Euro) pro Acre (1 Acre = 0,4 Hektar) Unkräuter ausrupfen.

Dieses Aufkommen eines neuen Geschäftsfelds in den USA führt wohl noch plastischer, als es Zahlen zur Ausbreitung der Herbizidresistenz jemals vermitteln könnten, vor Augen, daß keine zwei Jahrzehnte nach der Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen und dem damit einhergehenden vermehrten Einsatz von Glyphosat dieses Bewirtschaftungsmodell offenbar in ernsthafte Schwierigkeiten gerät. Die Widerständigkeit unerwünschter Pflanzen auf dem Acker gegenüber einer Dauerbehandlung mit bestimmten Herbiziden vor allem in der industriellen Monokulturlandwirtschaft hat sich mittlerweile zu einem nicht zu unterschätzenden ökonomischen Faktor mit Verlusten von Hunderten Millionen Euro entwickelt.


Fußnoten:

[1] http://www.grdc.com.au/Media-Centre/Ground-Cover-Supplements/GCS104/Glyphosate-lost-to-the-US

[2] http://www.weedsmart.org.au/app/

4. Oktober 2013