Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


GENTECHNIK/308: Europäische Bürgerinitiative erfolgreich - Thema Glyphosat wieder auf dem Tisch (SB)


EU-Kommission muß sich mit dem Thema Glyphosat befassen (was immer das bedeutet ...)


Beinahe im Sekundentakt schließen sich EU-Bürgerinnen und -Bürger dem Aufruf der Europäischen Bürgerinitiative gegen Glyphosat an. Nach nur vier Monaten war bereits die erforderliche eine Million Unterschriften zusammengekommen, so daß die Aktion Ende Juni abgeschlossen werden kann. [1] Mit offenkundig breiter Unterstützung der Bevölkerung fordert die Initiative von der EU-Kommission ein Verbot des umstrittenen Breitbandherbizids Glyphosat, strengere Regeln für die Zulassung von Pestiziden und strikte Reduktionsziele für ihren Einsatz. [2]

Mit der Unterschriftensammlung wurden die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt, daß sich die EU-Kommission erneut mit der Frage der Zulassung von Glyphosat beschäftigen muß. Was dabei herauskommt, bleibt der Kommission überlassen. Diese mangelnde Verbindlichkeit ist zugleich eine Schwäche des direktdemokratischen Verfahrens. Erst im Mai hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Zulassung für Glyphosat um zehn Jahre zu verlängern. Das heißt, die von Campact, BUND, NaturFreunde, AgrarKoordination und vielen weiteren Nichtregierungsorganisationen unterstützte Initiative setzt ausgerechnet auf eine Institution, die bereits eine Einschätzung zu Glyphosat abgegeben und somit eine vorgefaßte Meinung hat: bei sachgerechter Handhabung sind keine negativen Effekte des Mittels auf Mensch und Umwelt nachgewiesen worden.

Die EU-Kommission beruft sich hierbei unter anderem auf die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und nicht etwa beispielsweise auf die Internationale Agentur für Krebsforschung, die im März 2015 Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat. Seitdem hat die seit vielen Jahren anhaltende Debatte um die Gesundheits- und Umweltrisiken von Glyphosat, das unter anderem im gentechnischen Anbau verwendet wird, nochmals an Intensität zugenommen.

Auch wenn jede der zur Bewertung herangezogenen Studien in sich schlüssig sein sollte und sich somit ein gemischtes Bild hinsichtlich der Risiken von Glyphosat ergibt, besteht in der Europäischen Union das Vorsorgeprinzip. Und das könnte so ausgelegt werden, daß dabei ein Verbot des Wirkstoffs herauskommt.

Das Vorsorgeprinzip wurde auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio in Kapitel 35 Absatz 3 der Agenda 21 so formuliert:

"Angesichts der Gefahr irreversibler Umweltschäden soll ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewißheit nicht als Entschuldigung dafür dienen, Maßnahmen hinauszuzögern, die in sich selbst gerechtfertigt sind. Bei Maßnahmen, die sich auf komplexe Systeme beziehen, die noch nicht voll verstanden worden sind und bei denen die Folgewirkungen von Störungen noch nicht vorausgesagt werden können, könnte der Vorsorgeansatz als Ausgangsbasis dienen." [3]

In diesem Zitat ist zwar von "Umweltschäden" und nicht von Schäden der Gesundheit die Rede, aber dennoch geht es in den meisten Fällen letztlich um die Gesundheit, wenn von Umweltschäden die Rede ist. Ein "Schaden" an der Umwelt wird nur dann als Schaden wahrgenommen, wenn menschliche Belange berührt werden. Was das Vorsorgeprinzip angeht, könnte Glyphosat ein Paradebeispiel für dessen Umsetzung sein. Selbst Befürworter dieses weltweit am meisten eingesetzten Herbizids kamen angesichts der Argumente der "Gegenseite" nicht umhin anzuerkennen, daß zumindest ein hinreichender Anfangsverdacht auf eine mögliche Schädlichkeit von Glyphosat besteht.

Viel schwieriger wird es nun sein, die EU-Kommission davon zu überzeugen, daß diese Verdachtsmomente bis jetzt nicht ausgeräumt wurden. So hat das Bundesamt für Risikoforschung, auf dessen Einschätzung die Neubewertung von Glyphosat durch die EU erfolgt, im Mai dieses Jahres unter der Überschrift "Keine neuen Erkenntnisse bei der Risikobewertung von Glyphosat" [4] sich zu Hinweisen von Prof. Christopher Portier, ehemaliger Direktor des National Institute of Environmental Health Sciences der USA, auf Lücken in früheren Studien geäußert. [5]

Portiers Einwände wurden rundheraus verworfen. Ist es da nicht absehbar, daß die EU-Kommission, die sich aufgrund der Europäischen Bürgerinitiative von neuem mit Glyphosat befassen muß, zu keinem grundsätzlich anderen Urteil gelangt als bisher? Damit soll nicht behauptet werden, daß die Initiative nutzlos ist. Sie rührt an eine Reihe von Widersprüchen, angefangen von den Lücken in wissenschaftlichen Untersuchungen über die umstrittenen Bewertungsmethoden von Institutionen wie BfS und EFSA bis zu möglichen Interessenkonflikten von Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die zuvor in der Industrie gearbeitet haben oder im Anschluß an ihren Behördenjob (wieder) in der Industrie unterkommen.

Möglicherweise wird die EU-Kommission die Europäische Bürgerinitiative nicht komplett ignorieren, sondern den Anschein von Entgegenkommen zeigen. Allerdings nicht deshalb, weil sie die Argumente gegen Glyphosat plötzlich anerkennt, sondern weil sie es vermeiden möchte, daß der Ruf der Europäischen Union als unnahbarer, administrativer Überbau sich noch mehr verschlechtert und die EU weiter auseinanderbricht, sollte "Volkes Stimme" nicht gewürdigt werden.

Nachdem noch vor einigen Jahren dieselben Behörden auf der Basis erschreckend beschränkter Untersuchungen zum Schadstoffpotential von Sikkationsmitteln wie Glyphosat diesem ihre Genehmigung erteilt haben [6], reklamieren sie nun für sich wissenschaftlich begründeten Sachverstand und verwerfen unbequeme Einwände.

Natürlich hätten nicht so sehr der Privatverbrauch und städtische Gärtnereien, wohl aber Industrie und Landwirtschaft ein Problem, wenn Glyphosat EU-weit plötzlich verboten würde. Unter der Voraussetzung bestehender agrarindustrieller Produktionsmethoden wäre dies ein so radikaler Bruch, daß er vermutlich nicht ohne Schäden vollzogen werden könnte. Aber so ein Umbruch im landwirtschaftlichen Anbau, weg von dem Einsatz von Glyphosat und anderen Pestiziden, hätte längst eingeleitet werden können und er könnte es auch heute noch, jederzeit. Darauf hebt die Europäische Bürgerinitiative ebenfalls ab.

Ein Landwirt würde an dieser Stelle womöglich einwenden, daß sich der Einsatz von Pestiziden für ihn rechnet und er allein aus Kostengründen sowieso nicht mehr Pflanzenschutzmittel als unbedingt nötig verwendet. Würde er darauf verzichten, müßte er Ernteeinbußen verzeichnen, die ihn viel teurer zu stehen kämen. Das gelte auch für das Sikkieren von Getreide oder Hülsenfrüchten mit Glyphosat kurz vor der Ernte, um den Reifeprozeß zu beschleunigen. Ein Argument, das schon oftmals widerlegt wurde, wie von Umsteigern beispielsweise auf biologischen Anbau berichtet wird. Die sich aus einem Glyphosatverbot ergebenden Probleme sollten kein Argument sein, das Herbizid immer weiter zu verwenden.

Wenn aber die Forderung nach einem Glyphosatverbot nicht mit der auch von vielen NGOs vermiedenen Frage nach der gesellschaftlichen, eigentumsgestützten Voraussetzung fortentwicklungsfähig verknüpft wird, könnte ein Erfolg der Europäischen Bürgerinitiative auf Scheinlösungen hinauslaufen wie, daß eine toxische Substanz lediglich durch eine andere Substanz, deren Folgen man noch nicht kennt, ersetzt wird. In so einer Zukunft würde sich der Monokulturanbau irgendwann mit einem Bio-Siegel schmücken und die physisch und psychisch ruinöse Lohnsklavenarbeit auf den Plantagen des Globalen Südens erhielte gar das Prädikat "nachhaltig", weil die Bäume den Kohlenstoff binden, den der wohlhabendere Teil der Menschheit durch seinen Hochkonsumlebensstil emittiert.


Fußnoten:

[1] https://aktion.bund.net/europäische-bürgerinitiative-gegen-glyphosat

[2] Wörtlich fordert die Europäische Bürgerinitiative die Europäische Kommission dazu auf, "die EU-Mitgliedstaaten zu ersuchen,

- Glyphosat-haltige Herbizide zu verbieten. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit Krebserkrankungen beim Menschen und schädigen die Ökosysteme.
- Sicherzustellen, dass die für die offizielle EU-Genehmigung notwendige Beurteilung von Pestiziden ausschließlich auf publizierten Studien basiert, welche von zuständigen Behörden in Auftrag gegeben wurden und nicht von der Pestizidindustrie.
- EU-weite, obligatorische Reduktionsziele für den Einsatz von Pestiziden festzulegen, um das mittelfristige Ziel einer pestizidfreien Zukunft zu erreichen."

[3] http://www.agenda21-treffpunkt.de/archiv/ag21dok/kap35.htm

[4] http://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-neuen-erkenntnisse-bei-der-risikobewertung-von-glyphosat.pdf

[5] http://blog.pan-germany.org/wp-content/uploads/2017/05/PI-Glyphosat-29-Mai-2017.pdf

[6] Nachzulesen in einer umfangreichen Untersuchung des Schattenblick aus dem Jahre 2010:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umko0005.html

20. Juni 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang