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GENTECHNIK/309: Der grüne Ruf - Expertenbashing ... (SB)



Läßt sich Propaganda aus der Welt schaffen, indem man ebenfalls Propaganda einsetzt? Sicher nicht. Man treibt damit den propagandistischen "Rüstungswettlauf" weiter voran. Ein Beispiel: Eine Studie, die bis jetzt noch nicht einmal das wissenschaftliche Überprüfungsverfahren (Peer review) durchlaufen hat, wird erstens zur Diskreditierung der Menschen eingesetzt, die gegen gentechnisch manipulierte Organismen (GMO) in der Nahrung und Landwirtschaft sind, und zweitens zur Zementierung des westlichen Feindbilds Nummer 1, Rußland, bemüht.

Der US-Soziologe Shawn Dorius und die Biologin Carolyn Lawrence-Dill, beide Mitglied des Crop Bioengineering Center der Staatsuniversität von Iowa, haben eine Medienanalyse durchgeführt und festgestellt, daß im Jahr 2016 die zwei englischsprachigen, von der russischen Regierung finanzierten Medien RT und Sputnik häufiger über GMOs berichtet haben als die fünf US-amerikanischen Nachrichten-Websites Huffington Post, Fox News, CNN, Breitbart News und MSNBC zusammengenommen. In den meisten Fällen ließen die russischen Medien die GMOs in einem schlechten Licht erscheinen oder nutzten GMOs lediglich als Köder (Click-Bait), um auf andere Artikel zu verweisen, die nichts mit GMOs zu tun hatten, heißt es in der Studie. Die russischen, gentechnikfreien Agrarerzeugnisse hingegen würden positiv dargestellt. [1]

Wenngleich an dieser Stelle gar nicht abgestritten werden soll, daß RT und Sputnik als regierungsnah gelten, und auch nicht, daß Rußland Propaganda betreibt, muß doch konstatiert werden, daß auch die Staatsuniversität von Iowa nicht unvoreingenommen ist, da sie nicht nur eine große Nähe zum Agrobusiness und damit zu GMO-Produzenten aufweist, sondern daß dessen Crop Bioengineering Center erklärtermaßen die Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen propagiert. [2]

Somit besteht der naheliegende Verdacht, daß Dorius und Lawrence-Dill Eigeninteressen verfolgen, die nicht mit einer wissenschaftlichen Fragestellung verbunden werden sollten, wollte man nicht an der Seriosität der Studie zweifeln. Darin wird stellenweise eine Sprache verwendet, die in wissenschaftlichen Publikationen eher nicht üblich ist. Auch methodisch und von der Ausgangsfragestellung her wirkt der Text wie ein Produkt aus der PR-Abteilung der US-Agroindustrie, die jetzt als Trittbrettfahrer auf den Anti-Rußland-Zug aufgesprungen ist.

So heißt es gleich zu Beginn des Abstract, daß die Biotech-Berichterstattung in englischsprachigen russischen Medien "dem Profil der russischen Informationskriegsstrategie entspricht, wie sie in jüngsten Militärberichten beschrieben wurde". Allein mit dieser Formulierung werden die Bezichtigungen Rußlands durch das US-Militär zum unhinterfragten Maßstab einer wissenschaftlichen Publikation erkoren, ohne die Absichten und Interessen der amerikanischen Seite zu benennen oder kritisch einzuordnen.

Was im nächsten Satz zumindest noch als Frage formuliert ist - "Das wirft die Frage auf, ob Rußland die Verbreitung von Anti-GMO-Informationen nur als eines von vielen kontroversen Themen betrachtet, die es als Bestandteil seines Informationskriegs ausbeuten kann, oder ob GMOs noch weitreichenderen, zersetzenderen Zwecken dienen" -, verkommt im Laufe der Studie selbst zu purer Propagandasprache. Da werden plötzlich "Angriffe" mit russischen "Falschinformationen" fabuliert, ohne den geringsten Beweis für diese krasse Bezichtigung zu liefern. Eigentlich sollte durch die Studie erst herausgefunden werden, ob Anti-GMO-Berichte Teil der russischen Propaganda sind. Plötzlich wird so getan, als sei der Beweis erbracht.

Die sich hier offenbarende Methode ist zirkelschlüssig: Weil die Berichte aus Rußland kommen, müssen sie Propaganda sein. Weil sie Propaganda sind, sind sie unwissenschaftlich. Unwissenschaftlich ist jede Person oder Organisation, die gegen GMO-Produkte eingestellt ist. Von daher kann sie nur von Rußland gesteuert sein ... Namentlich genannt werden als Einzelperson Dr. Oz und als Organisationen das Center for Food Safety, Right to Know, Greenpeace und die Organic Consumers Association.

Aus der Studie geht nicht hervor, wie das Autorengespann überhaupt zu seiner Einschätzung gelangt ist. Es hält damit hinter dem Berg, nach welchen Kriterien es die untersuchten Artikel bewertet hat. Denn hinter den verwendeten vier Kategorien (Click-Köder, Anti, neutral, pro) zur Bewertung einer Quelle steht eine Person, die diese Einteilung vorgenommen hat. Und wenn nun zwei Personen, die wegen ihrer großen Nähe zur Biotechindustrie einem offenkundigen Interessenkonflikt unterliegen, einen Artikel von RT oder Sputnik beurteilen, möchte man als sachinteressierter Leser schon gerne wissen, wie sie auf ihre Einschätzung gekommen sind, um die Bewertung nachvollziehen zu können. Wird das nicht publiziert, nährt das den Verdacht, daß hier nicht einmal mehr ein Interessen"konflikt" besteht, sondern daß mit der Studie reine Lobbyinteressen verfolgt werden.

Dazu paßt auch ein weiteres, krasses Manko, wird doch in der Studie ohne die geringste übergreifende historische Einordnung geschrieben: "Im Jahr 2015 hat der russische Präsident Wladimir Putin eine neue nationale Sicherheitsstrategie unterzeichnet, in der Nahrungssicherheit und Nahrungsunabhängigkeit als nationale Prioritäten betont werden. Hierzu beabsichtigt Rußland seine Agroindustrie auszubauen, indem es die inländische Agrarwirtschaft unterstützt, "Lebensmittelhandel" vermeidet und heimische Landwirtschaftsspezialisten ausbildet. Diese Bemühungen fallen mit einem Verbot der Produktion und des Imports von GMOs und einem Rebranding der russischen Landwirtschaft als "ökologisch sauber" zusammen (RT, 3. Dez. 2015)."

Mit keinem Wort wird in der Studie erwähnt, daß ein Jahr vor Putins Entscheidung die Europäische Union und die USA Sanktionen gegen Rußland verhängt haben (als Antwort auf die Krimkrise), zu denen massive Einschränkungen des Agrarhandels mit Rußland gehörten! Daher war das Land zwingend darauf angewiesen, sich auf seine Kapazitäten als landwirtschaftlicher Großraum zu besinnen.

Wäre es nicht genau das, was man von Propaganda erwarten würde, einen so wichtigen Aspekt vollkommen unter den Tisch fallen zu lassen?

Abgesehen davon ist das wissenschaftliche Niveau der Studie ausgesprochen niedrig. Es gibt zwar die ironisch gemeinte Definition, daß Wissenschaft das ist, was halt Wissenschaftler so tun. Doch wenn, wie in diesem Fall, ausgerechnet die von Beliebigkeit und Gefühlsaufwallungen bestimmten Kommentarspalten unter den Artikeln, in denen das Akronym GMO vorkommt, mit in die Untersuchung einbezogen werden, ist die Methode doch sehr, sehr kritisch zu sehen. Solche Kommentarspalten sind geradezu Schlachtfelder, auf denen sich die unterschiedlichsten Interessen bekriegen. Da kreuzen die Geheimdienste aller möglichen Länder und PR-Abteilungen der Wirtschaft ihre Klingen.

Jede Website hat eine eigene, sehr spezifische Kultur der Kommentierung, auch abhängig von der Leserschaft. Dies nun über die sieben untersuchten News-Websites hinweg miteinander zu vergleichen, kann zwar für den Sozialwissenschaftler und Statistiker Dorius eine interessante Aufgabe sein, aber man erfährt nicht, ob und inwiefern die Studie das Problem dieses höchst differenzierten Datenpools berücksichtigt oder bewertet hat.

Man kann sich nur wünschen, daß die Studie niemals von irgendeinem seriösen Journal publiziert wird und nicht noch mehr Verbreitung erfährt. Falls aber doch, so wäre das ein (allerdings wenig überraschendes) Zeichen für den Einfluß der Agrowirtschaft auf den universitären Bereich. Vor allem aber würde es den Eindruck verstärken, daß sich Wissenschaft weitgehend den vorherrschenden Kräften unterwirft und bereitwillig vor den Karren spannen läßt, um nun auch an vorderster Propagandafront gegen Rußland zu Felde zu ziehen. Ob die Untersuchung das Peer-Review-Verfahren erfolgreich übersteht oder nicht, ist inzwischen gar nicht mehr so wichtig, denn sie hat ihren Zweck erfüllt, nämlich das Feindbild Rußland zu bedienen.

Bleibt zuallerletzt noch zu wünschen, daß die vorliegende Studie kein typisches Beispiel für die auf der gemeinnützigen Plattform SocArXiv.org vorab veröffentlichen sozialwissenschaftlichen Beiträge ist, geht es den Urhebern dieser Plattform doch um ein Gegenmodell zum etablierten und privatisierten Publikationsmodell in der digitalen Welt. Damit hätte es natürlicherseits eine größere Nähe zu der gegen die Macht der Konzerne gerichteten Anti-Gentechnikbewegung als zu den transnationalen Konzernen, die ihr Geschäftsmodell gesellschaftlich durchdrücken wollen, obschon es zur Schädigung der Umwelt und der Ernährungssouveränität des Menschen beiträgt.


Fußnoten:

[1] https://osf.io/preprints/socarxiv/26ubf/

[2] http://cropbioengineering.iastate.edu/about/

5. März 2018


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