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KLIMA/286: Eispanzer Grönlands vor der Desintegration (SB)


IPCC-Forscher schließt sich Prognose zum rascheren Abschmelzen der grönländischen Eismasse an


Der Meeresspiegel werde in diesem Jahrhundert um bis zu 79 Zentimeter steigen und die Eismasse Grönlands in einigen tausend Jahren abschmelzen, warnten Forscher des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in ihren drei Berichten, die sie mit gewissen Abständen im Laufe dieses Jahres veröffentlicht haben. Dem IPCC, das von den Vereinten Nationen eingerichtet wurde, arbeiten weltweit mehrere tausend Wissenschaftler zu. Es handelt sich also um das renommierteste Gremium für Fragen des Klimawandels.

Vor kurzem jedoch wurde der IPCC-Bericht in Frage gestellt. Sechs Experten, unter ihnen der führende Klimaforscher der USA, James E. Hansen, schrieben, daß ihre Kollegen nicht-lineare Prozesse nicht angemessen berücksichtigt hätten und daß jüngere Forschungsergebnisse zeigten, daß die Eismasse Grönlands früher abschmelzen könnte als vermutet. Die sechs Klimaforscher warnten vor einem dramatischen globalen Klimawandel, der nicht in Jahrtausenden, sondern in Jahrhunderten einträte, falls keine drastischen Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen würden (Näheres dazu unter dem Index KLIMA/284).

Diese Woche räumte Bert Metz, Klimaforscher des IPCC und Co-Autor des dritten in diesem Jahr herausgegebenen IPCC-Reports, ein, daß die Prognosen des Ausschusses tendenziell milde ausgefallen und tatsächlich jüngere Studien zur Eisentwicklung Grönlands noch nicht berücksichtigt worden seien. Am Montag sagte er am Rande einer Klimawandel-Konferenz in Chatham House, London, gegenüber Reuters, es sei plausibel, daß sich die grönländische Eisfläche in Hunderten von Jahren auflösen könnte. Das sei eine Größenordnung schneller, als in den Klimamodellen des IPCC zuvor beschrieben.

Bei jüngeren Expeditionen auf das grönländische Eis war festgestellt worden, daß das Schmelzwasser durch riesige Risse im Eis nach unten abfließt und verschwindet. Deshalb befürchten die Forscher, daß das Wasser den Untergrund aufweicht und rutschig macht. Ob die beobachtete enorm gestiegene Fließgeschwindigkeit einiger Gletscher bereits eine Folge solchen Aufweichens ist, weiß man nicht, aber es wäre ein typischer Effekt, wie er bereits an Hochgebirgsgletschern erforscht wurde.

Sollte sich die Eismasse Grönlands schneller auflösen, als bislang angenommen, dann wären die Folgen schon in Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahren festzustellen. Eine Totalschmelze des mehrere Kilometer dicken Eisschilds ließe den Meeresspiegel weltweit um schätzungsweise sieben Meter steigen. Es dürfte nahezu unmöglich sein, das Meer mit Hilfe von Deichen davon abzuhalten, die niedrig gelegenen Küstenbereiche zu überspülen. Das heißt, die Niederlande gäbe es nicht mehr in ihrer heutigen Form, und die norddeutsche Tiefebene samt den Marschen Schleswig-Holsteins wandelten sich zu Meeresboden.

Da sich die Menschen nur schwerlich in Fische, aus denen sie irgendwann einmal hervorgegangen sein sollen, zurückverwandeln können, um unter den neuen Bedingungen ihren früheren geographischen Standort zu bewahren, muß mit großen Migrationsströmen gerechnet werden. Die Küstenbewohner werden versuchen, sich in höhere Lagen zu retten. Diese Entwicklung wird nicht erst in Jahrhunderten einsetzen.

Darüber hinaus ist der Meeresspiegelanstieg selbstverständlich nicht die einzige Folge des Klimawandels. Sobald die subtropische Klimazone Afrikas weiter nach Norden vordringt und den mediterranen Raum verdrängt, werden dessen Bewohner aufbrechen und weniger heiße Gefilde aufsuchen. Das heißt, sie werden sich tendenziell nach Norden wenden. Damit ist bereits in den nächsten Jahrzehnten verstärkt zu rechnen.

Wenn beim oben erwähnten Wert des Meeresspiegelanstiegs von 79 Zentimeter bis zum Jahr 2100 noch nicht die rasche Auflösung Grönlands berücksichtigt wurde, so wird den jüngeren Meßergebnissen zufolge das Meer bis dahin um mehrere Meter steigen.

28. Juni 2007