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KLIMA/311: FAO warnt vor akut bevorstehendem globalen Hunger (SB)


Food Outlook November 2007

Weltweit steigen die Getreidepreise rasant an

Der globale Hunger setzt bei den ärmsten der Armen zuerst an


Zum Abschluß dieses Jahres zeigt sich, daß das Thema "Klimawandel" aufs engste mit der Frage der Verfügbarkeit von Wasser und Nahrung verknüpft ist. In einer Reihe von Berichten und Studien wird mit Nachdruck davor gewarnt, daß ein beträchtlicher Teil der Menschheit in unmittelbare Existenznot geraten wird, sofern nicht entscheidende Maßnahmen getroffen werden, um die Erderwärmung zu stoppen, den Energieverbrauch zu senken und für eine bessere Verteilung der vorhandenen Ressourcen zu sorgen. Manche Analysten folgen der Vorstellung, daß da, wo die Gefahr wächst, auch das Rettende naht, und sehen in dem Paradigmenwechsel von der heutigen Kohlenstoff-Technologie zu einer ressourcenschonenden, auf regenerative Energien setzende Technologie eine Chance.

Einiges deutet darauf hin, daß die Entwicklung bereits so rasant voranschreitet beziehungsweise vorangeschritten ist, daß die erhoffte Kurskorrektur, selbst wenn sie in wenigen Jahren gelänge, nicht ausreichte, um den Zug noch aufzuhalten. Die Weltmarktpreise für Getreide steigen zur Zeit rasant an, was unter anderem auf klimatische Veränderungen zurückgeführt wird. An der Börse von Chicago kletterte der Handelspreis für den Scheffel Weizen am 17. Dezember 2007 erstmals über die psychologische Schwelle von zehn Dollar. Der "International Herald Tribune" (17. Dezember 2007) verglich die Bedeutung dieses Schritts mit dem, wenn der Ölpreis auf über 100 Dollar pro Faß gestiegen wäre.

Die hohen Getreidepreise schlagen sich inzwischen auf die Lebensmittelpreise, die von den Verbrauchern aller Kontinente bezahlt werden, durch. Das merken zwar auch die Bundesbürger, aber unter ihnen sind es wiederum die Menschen, die am wenigsten Geld haben, die ihre Gürtel enger schnallen müssen. Für die Armen in den sogenannten Entwicklungsländern geht es bereits um die Existenz und die ihrer Familie. Um im Bild zu bleiben: Sie haben nicht einmal eine Hose, die durch einen Gürtel gehalten werden könnte.

In dem durch global erhobene Daten abgestützten Report "Food Outlook" der FAO (Food and Agriculture Organization) für November 2007 wird berichtet, daß in diesem Jahr die Lebensmittel-Importkosten für arme Länder um 25 Prozent höher lagen als 2006. FAO-Direktor Jacques Diouf mahnte deshalb bei der Vorstellung des Berichts gegenüber Journalisten in Rom an:

"Es müssen dringende und neue Schritte unternommen werden, um die negativen Folgen steigender Nahrungsmittelpreise aufgrund der weiteren Eskalation zu verhindern und rasch die Getreideproduktion in den am stärksten betroffenen Ländern anregen."
(Übersetzt nach: UN-News, 17. Dezember 2007)

Die 40 Länder, von denen die Rede war, sind Netto-Importländer für Lebensmittel, was bedeutet, daß ihre Landwirtschaft bis heute nicht zur Selbstversorgung gereicht hat. Man kann deshalb davon ausgehen, daß deren Regierungen auch in der Vergangenheit bereits einige Anstrengungen unternommen haben, die heikle Versorgungslage ihrer Bevölkerung zu beheben. Das dürfte in Zukunft nicht einfacher sein als in der Vergangenheit, es wären folglich sehr viel größerer Anstrengungen als bisher erforderlich.

Diouf forderte neben kurzfristigen Investitionen in die ärmsten der armen Länder weitere, ebenfalls unverzüglich zu ergreifende Maßnahmen zur Verbesserung der ländlichen Infrastruktur und Bodenfruchtbarkeit sowie zur Sicherstellung einer langfristig nachhaltigen Nahrungsproduktion.

Da aber die relativ reichen Länder mit dem gleichen Problem der Lebensmittelverteuerung konfrontiert sind, ist es fraglich, ob von ihnen die erforderliche Unterstützung erwartet werden sollte. Die Europäische Union beispielsweise hat bereits ihre Importzölle für fast alle Getreidesorten aufgehoben, um deren Einfuhr zu erleichtern. Diese Maßnahme richtet sich laut der FAO direkt gegen die ärmeren Länder. Die UN-Organisation warnt, daß die Lebensmittel für die Armen schon jetzt zu teuer werden. Es fände zur Zeit eine einzigartige Entwicklung statt:

"Für den Preisanstieg sorgten primär Milchprodukte und Getreide. Aber auch andere Lebensmittel, mit Ausnahme von Zucker, sind bedeutend teurer geworden. Hoch-Preis-Ereignisse ereignen sich, ebenso wie Niedrig-Preis-Ereignisse, nicht selten auf den landwirtschaftlichen Märkten, obgleich hohe Preise verglichen mit niedrigeren, die sich über längere Perioden halten, eher kurzlebig sind. Was aber den gegenwärtigen Zustand der Agrarmärkte bestimmt, ist weniger ein Anstieg der Weltmarktpreise einiger ausgewählter, sondern fast aller Nahrungs- und Futtererzeugnisse."
(Übersetzt nach: Food Outlook der FAO für November 2007)

Selten habe die Welt eine so weit verbreitete und von armen und reichen Ländern gleichermaßen geteilte Sorge über die Preisinflation von Lebensmitteln erlebt wie gegenwärtig, resümiert die FAO.

Ebenfalls in diesem Monat haben die drei in Rom ansässigen UN- Organisationen FAO, WFP (World Food Programme) und IFAD (International Fund for Agricultural Development) am Rande der Klimakonferenz auf Bali ihre "tiefste Besorgnis" darüber zum Ausdruck gebracht, daß der Klimawandel die Welternährungslage beeinträchtigt und Hunger und Unterernährung fördert, sofern nicht "unverzüglich" gehandelt werde (UN-News, 12. Dezember 2007). Diouf sagte im Namen der drei Organisationen, daß von dieser Entwicklung die "verletzlichsten Menschen und Nahrungssysteme" in besonderer Weise betroffen sein werden.

Die von den UN-Organisationen verbreiteten Angaben zur Zahl der Notleidenden bewegen sich nicht im Millionen-, sondern im Milliardenbereich. So heißt es in dem UN-Bericht vom 12. Dezember, daß dreiviertel von einer Milliarde der ärmsten Menschen im ländlichen Raum von Entwicklungsländern lebten und einer "sofortigen Gefahr" aufgrund Mißernten und Verlust des Viehs ausgesetzt seien. Ebenfalls "hochgradig verletzlich" seien über 1,5 Milliarden arme Menschen, die sich von den Früchten des Waldes ernährten, sowie 200 Millionen Menschen, die vom Fischfang lebten.

Zusammengenommen befinden sich also fast 2,5 Milliarden Menschen so nahe an der Grenze zur unmittelbaren Existenznot, daß sie im Falle von Dürre, Überschwemmungen, Pflanzen- oder Tierseuchen oder auch einer weiteren Verteuerung der Lebensmittelpreise nichts mehr zu essen hätten.

In der Vergangenheit wurde gegen Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen schon mal der Vorwurf des Alarmismus erhoben. Sie stellten die Notlage der Menschen übertrieben dar und dramatisierten im Vorwege, um die internationale Gemeinschaft zum Spenden zu bewegen, lautete die Kritik.

Bei genauerer Betrachtung der jeweiligen Umstände hat sich jedoch erwiesen, daß die Spendenaufrufe eher unter- als übertrieben waren, denn die UN-Organisationen hatten sich mit ihren Forderungen bereits nach "realistischen" Einschätzungen, was überhaupt an Spenden aufgebracht werden könnte, gerichtet. Es kam und kommt nicht selten vor, daß Menschen in Flüchtlingslagern von den Hilfsorganisationen auf eine reduzierte und damit tendenziell gesundheitsgefährdende Kalorienzahl gesetzt wurden, da die Spenden nicht ausreichten.

Das spricht dafür, daß auch die obige Warnung keinesfalls übertrieben ist. Im übrigen wird im "Food Outlook" der FAO sehr detailliert aufgeführt, welchen Versorgungsproblemen einzelne Länder ausgesetzt sind und welche Getreidesorten knapp und teurer werden. So erfährt man, daß die weltweiten Weizenbestände gegenüber dem Vorjahr um elf Prozent zurückgegangen sind und den niedrigsten Stand seit 1980 erreicht haben. Würde von einem Tag auf den anderen kein Weizen mehr produziert werden und der Verbrauch gleichbleiben, so wäre der globale Weizenbestand nach lediglich zwölf Wochen aufgebraucht. Im Zeitraum von 2000 bis 2005 waren es noch 18 Wochen. Mais wäre in acht Wochen verzehrt (gegenüber elf Wochen im Zeitraum 2000 bis 2005).

Wir sind in Sorge, daß wir einem "perfekten Sturm" der Hungernden der Welt entgegensehen, schätzte WFP-Direktorin Josette Sheeran die generelle Ernährungslage ein (New York Times, 18. Dezember 2007). Die Beschaffungskosten ihrer Organisation sei in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen. Einige arme Menschen wurden bereits "priced out of the food market", so Sheeran in einem Telefoninterview mit der US-Zeitung. Das heißt, die Menschen können sich die hohen Lebensmittelpreise nicht mehr leisten und werden von der Versorgung abgeschnitten.

Die Höhe der Future-Bonds für Weizen an der Börse von Chicago zeigt, daß die Spekulanten mit weiteren Verknappungen von Lebensmitteln rechnen. Vollauf bestätigt wird dies von Sudakshina Unnikrishnan, Analystin bei Barclays Capital. Man erwarte eine fortgesetzte Preisentwicklung "vor dem Hintergrund eines robusten chinesischen Bedarfs, zunehmender Biospritproduktion und niedriger globaler Getreidebestände", faßte sie die für Makler frohe Kunde vom Mangel an Getreide zusammen (The Financial Times, 6. Dezember 2007).

Abgesehen von klimatisch bedingten Mißernten in Ländern wie Australien und Ukraine trägt auch die Subvention von Biotreibstoffen in den USA und der EU, die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten in aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie China sowie die gestiegenen Erdölpreise, die sich wiederum in den Transportkosten für Nahrung niederschlagen, zum weltweiten Preisanstieg der Lebensmittel bei.

Vor diesem Hintergrund sei die Frage erlaubt: Worum geht es eigentlich in der heutigen Klimadebatte? Wollen die Regierungen die gesamte Menschheit vor dem Hungertod retten? Dem müßte man eigentlich zustimmen, doch wurde das ja nicht einmal in den letzten Jahrzehnten mit relativ ausgeglichenem Klima erreicht, obschon noch in den siebziger Jahren mit einigem Optimismus aufgrund der Grünen Revolution die Absicht formuliert worden war, daß der Hunger bis zum Jahr 2000 vollständig aus der Welt geschafft werden könnte. Von diesem Ziel wurde um so weiter abgerückt, je näher der Zeitpunkt nahte und sich abzeichnete, daß das Ziel weit verfehlt wird und der Trend sogar in die Gegenrichtung weist. Inzwischen lautet das von Industriestaaten und Entwicklungsländern gemeinsam beschlossene "Millenniums-Ziel", den Hunger bis zum Jahre 2015 halbieren zu wollen - womit logischerweise umgekehrt die andere Hälfte der Hungernden von vornherein dem Hungertod zugeordnet wurde. (Ein solches Ziel soll man vermutlich unter der Rubrik "Realpolitik" abheften, ein typisches Wort, um das eigene Interesse beziehungsweise Desinteresse zu verschleiern.)

Aber auch das den neuen Gegebenheiten angepaßte Millenniums-Ziel wird, wenn nicht ein Wunder geschieht, weit verfehlt. Die Zahl der Hungernden wächst und liegt laut den letzten Angaben der FAO gegenwärtig bei 854 Millionen Menschen. Wenn über eine zukünftige "Rettung der Menschheit" diskutiert wird, müßten selbstverständlich auch diese Menschen ausreichend Zugang zu Nahrung erhalten. Es dürfte demnach nicht nur darum gehen, einen von verschiedenen und starken Kräften angetriebenen Trend zur Verteuerung der Lebensmittel aufzuhalten, um lediglich auf den heutigen Stand zurückzukehren, sondern es müßten weit darüber hinaus auch jene Menschen versorgt werden, die bereits aus der Rechnung herausgestrichen wurden. Wer diese Menschen nicht einkalkuliert, kalkuliert den Hungertod eines beträchtlichen Teils der Menschheit ein.

19. November 2007