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KLIMA/319: EU-Report warnt vor künftigen Konflikten (SB)


"Klimawandel und internationale Sicherheit"

EU-Strategen konstatieren in einem neuen Report ein Konfliktpotential über die Nutzung der Arktis


Der diese Woche beim Europäischen Rat vorgelegte Report zum Thema "Klimawandel und internationale Sicherheit" ist der aktuellste aus einer immer länger werdenden Folge von Mahnungen und Warnungen, wonach die Folgen der Erderwärmung eine Gefahr für die staatliche Ordnung und das Leben und Wohlbefinden vieler hundert Millionen Menschen bilden. Die Eckpunkte der kommenden Veränderungen, wie sie jetzt von EU-Chefdiplomat Javier Solana und EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und in den meisten früheren Berichten zu diesem Thema genannt wurden, sind schnell markiert: Gletscherschmelze und Anstieg des Meeresspiegels, mehr Dürren, Überschwemmungen und Stürme, Ausbreitung von tropischen Krankheiten und Tierparasiten, Ausdehnung der Wüsten und Auftauen der Permafrostböden.

Da der Mensch nahezu jeden Flecken der Erde besiedelt hat, betreffen ihn sämtliche natürlichen Veränderungen unmittelbar. In der Regel werden die Folgen negativ sein. Das läßt sich aus vielen wissenschaftlichen Studien und politischen Einschätzungen der letzten Jahre unmißverständlich herauslesen. Der Europäische Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer versammelt sind, hatte im Juni 2007 das Erstellen eines Reports zum Klimawandel und internationale Sicherheit in Auftrag gegeben. Offenbar drängt die Zeit.

Im vergangenen Jahr nahm auch erstmals der UN-Sicherheitsrat den Klimawandel auf seine Agenda, was gleichfalls als Hinweis darauf zu verstehen ist, daß dieses Thema von den Regierungen ernst genommen wird - welche Antworten sie geben, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Hypothekenkrise in den USA, der starke Preisanstieg für Rohöl, Dünger, Getreide und Lebensmittel sowie apokalyptisch anmutende Hungerprognosen von Vertretern der UN-Organisationen FAO und WFP dürften dazu beigetragen haben, daß sich innerhalb der Regierungen wie auch in trans- und internationalen Institutionen intensiv mit der Frage befaßt wird, welche Folgen der Klimawandel haben wird und wie man damit umgehen sollte.

Der Report von Solana und Ferrero-Waldner hält sich mit konkreten Vorschlägen zurück und stellt eher Forderungen allgemeiner Art auf. Aber allein die Benennung künftiger Konfliktgebiete läßt ahnen, daß da Entwicklungen eingeleitet werden oder bereits laufen, die ein konfliktträchtiges Potential haben, das sich durchaus in größeren Kriegen um Land und Ressourcen entladen kann. Denn nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zu Beginn der neunziger Jahre wurde die weltpolitische Lage keineswegs sicherer. Die NATO hat sich neue Aufgaben gesucht und schnell gefunden. Der Umbau der Bundeswehr von einer Armee der reinen Landesverteidigung hin zu einer weltweit operierenden Interventionsarmee spiegelt den neuen Trend treffend wider.

Allerdings wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß die Vorbereitung der NATO auf asymmetrische Kriege - also auf waffentechnisch weit unterlegene Gegner, die sich Guerillataktiken bedienen -, Kriege gegen andere Staaten ausschließt. Und damit ist nicht Jugoslawien, Afghanistan oder Irak gemeint. Niemand anderes als Paul Wolfowitz, der Architekt des Irakkriegs, gelangte einst in einer geostrategischen Studie zu dem Schluß, daß ein Krieg der USA gegen China unausweichlich ist und daß es besser wäre, ihn frühzeitig zu führen. Je mehr Zeit verstreiche, desto schwieriger würde die Aufgabe.

Selbstverständlich befindet sich auch Rußland nach wie vor im Visier der NATO-Strategen. Das läßt sich ohne weiteres aus dem neuen EU-Report herauslesen. Zu den sechs eigens erwähnten Weltregionen, über die im Zusammenhang mit Klima- und Sicherheitsfragen berichtet wird, zählt die Arktis. Während des Kalten Kriegs haben sich dort die Supermächte gegenseitig belauert. Das Nordmeer ist hochgradig militarisiert. Hier geraten die Kriegsmaschinerien aus Ost und West beinahe auf Tuchfühlung. Solana und Ferrero-Waldner schrieben nun, daß sich durch die rasche Eisschmelze in der Arktis neue Seewege und Handelsverbindungen auftun. Zudem würden die enormen Kohlenwasserstoffressourcen "geostrategische Dynamiken" in der Region in Gang setzen, die "potentiell Folgen für die internationale Stabilität und europäischen Sicherheitsinteressen" besäßen.

Wer die "internationale Stabilität" gefährdet sieht, geht logischerweise davon aus, daß es zu Konflikten zwischen Nationen kommt, und zwar schwerwiegenden Konflikten, denn kleinere Streitigkeiten bilden noch keine Gefahr für die "Stabilität". Das Aufstellen der russischen Flagge auf dem Meeresboden des Nordpols im vergangenen Jahr wird von Solana und Ferrero-Waldner als Sinnbild für die "neuen strategischen Interessen" angesehen, und sie stellen fest, daß die Notwendigkeit wächst, die entstandene Debatte über territoriale Ansprüche und den Zugang zu neuen Handelsrouten verschiedener Länder, durch die Europas Fähigkeit gefragt sei, seine Handels- und Ressourceninteressen in der Region wirksam zu sichern, in Angriff zu nehmen. Das könne die Beziehungen zu den "Hauptpartnern" unter Druck setzen, wird gewarnt.

Ohne die Länder namentlich zu erwähnen, muß man annehmen, daß damit die USA, Kanada oder Norwegen gemeint sind, denn Rußland gilt zwar als wirtschaftlicher Partner der EU, aber sicherlich nicht als "Hauptpartner". Tatsächlich erhebt das EU-Mitgliedsland Dänemark Gebietsansprüche an den untermeerischen Lomonossow-Rücken, der sich von Grönland über den Nordpol bis nach Rußland erstreckt. Dänische Interessen kreuzen sich in dieser Frage sowohl mit kanadischen und norwegischen als auch russischen. Welch ein Zufall, daß russische, dänische und US-amerikanische Geoforscher im vergangenen Jahr, in dem eine Rekordschmelze in der Arktis verzeichnet wurde, entdeckt haben wollen, daß ihre Länder größere Gebiete beanspruchen dürfen als angenommen, da sich die Festlandsockel ihrer Staaten weiter ins Nordmeer erstrecken, beziehungsweise da es eine kontinentale Verbindung zum Nordpol gibt (Rußland).

Kanada investiert Milliarden in den Ausbau seiner militärischen Präsenz in der Arktis, und die USA zeigen in Seegebieten Flagge, die Kanada beansprucht. Beide Länder scheinen noch weit entfernt von einer Einigung über die Nutzung der künftig vermutlich mehrere Monate lang eisfreien Nordwestpassage. Die Seestreitkräfte der USA - Navy, Marine Corps und Coast Guard - haben am 17. Oktober 2007 auf dem International Seapower Symposium in Newport, Rhode Island, nach rund zwei Jahrzehnten erstmals wieder eine Neue Maritime Strategie vorgestellt. Sie trägt den Titel "A Cooperative Strategy for 21st Century Seapower". Damit wollen sich die Seestreitkräfte der USA auf die neuen Bedingungen der globalisierten Erde einstellen. Zu den genannten Faktoren, die eine Antwort des Militärs erforderlich macht, wurde der Klimawandel genannt.

Noch vor der Veröffentlichung dieser Strategie hatte Navy-Vizeadmiral John G. Morgan das Aufstellen der Flagge Rußlands am Nordpol und die Öffnung der Nordwestpassage als Herausforderungen bezeichnet (American Forces Press Service, 26.9.2007, ins Netz gestellt von: GlobalSecurity.org). Das amerikanische Volk erwarte von unseren Streitkräften, daß sie sein Territorium verteidigen und in der Lage sind, die Bürger zu schützen, sagte Admiral Gary Roughead bei der Vorstellung der neuen Strategie. Aber er versicherte auch etwas versöhnlicher, daß das amerikanische Volk ebenfalls eine Zusammenarbeit mit den Seestreitkräften anderer Nationen erwarte (American Forces Press Service, 17.10.2007, ins Netz gestellt von: GlobalSecurity.org). Dennoch unterstrich Roughead einmal mehr, was ranghohe US-Militärs nie müde werden zu betonen, nämlich daß sie einen globalen Machtanspruch erheben.

Die Zeit, in der über den Klimawandel lamentiert wurde, neigt sich zu Ende. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Prognosen der Klimaforscher und Sicherheitsexperten ebenfalls. Wenn die Bevölkerung, über deren Köpfe hinweg die meisten Entscheidungen gefällt werden, nicht zur bloßen Manövriermasse verkommen will, die allenfalls dazu taugt, Gewehre und andere Waffensysteme auf die Bevölkerung anderer Länder zu richten und abzufeuern, sollte sie alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, eine womöglich in ihre eigene Vernichtung mündende Eskalation der bereits angelaufenen Konflikte, die eine Folge der globalen Ressourcenverknappung sind, zu verhindern. Wenn zum Beispiel an den EU-Außengrenzen Flüchtlinge in ihre meist klimatisch benachteiligten Länder zurückgedrängt werden, dann ist das selbstverständlich ein Hinweis darauf, wie im Zweifelsfall auch innerhalb der EU mit den Einwohnern umgegangen werden wird. Somit stellt sich jetzt die Frage, welche Konsequenzen die Mitglieder des Europäischen Rats aus dem Report von Solana und Ferrero-Waldner ziehen.

14. März 2008