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KLIMA/369: Treffen indigener Völker zum Klimawandel in Alaska (SB)


Indigenous Peoples' Global Summit on Climate Change in Anchorage

Indigene Völker im besonderen Ausmaß vom Klimawandel betroffen


Indigene Gruppen aus verschiedenen Weltregionen haben sich am Montag in Anchorage, Alaska, zu einer mehrtägigen Konferenz zum Thema Klimawandel getroffen. Wissenschaftler sind sich einig, daß die indigenen Völker von der Veränderung des Erdklimas am stärksten betroffen sind und daß von diesen wiederum die rund 3,8 Millionen Menschen, die in den hohen Breiten nördlich des Polarkreises leben, heute schon die Folgen der globalen Erwärmung deutlich zu spüren bekommen. Eine der Organisatorinnen des Treffens, Patricia Cochran, Vorsitzende der Vereinigung Indigenous Peoples' Global Summit on Climate Change, erklärte im Vorwege der Veranstaltung: "Indigene Völker sind an vorderster Front dieses globalen Problems, und das in einer Zeit, in der ihre Kultur und Lebensweise in den traditionellen Gebieten ohnehin bedroht sind." [1]

Cochran spielt hier auf die fortgesetzte Zerrüttung ursprünglicher Lebens- und Produktionsformen an. Mit der fortgesetzten Assimilierung in eine globalisierte Kultur geht mehr verloren als Sitten und Gebräuche und der soziale Zusammenhalt. Auch die Bereitschaft und Fähigkeit, Probleme in oftmals unwirtlichen Regionen in Angriff zu nehmen und zu lösen, auch die Art zu denken, verschwinden und werden durch etwas anderes ersetzt, das die Menschen von den Tropen bis zu den hohen Breiten fast schon zu urbanen Wesen macht, auch wenn sie nicht in Städten leben. Doch worin unterscheiden sich Menschen, die in New York, London oder Berlin im Internet surfen, von Menschen, die bei der gleichen Tätigkeit in Qaanaaq in einer Blockhütte leben? Und die, wenn sie ihre Wohnung verlassen, im Supermarktregal auf die gleichen Produkte treffen?

Die Folgen des Klimawandels kommen zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die vereinfacht als Globalisierung zusammengefaßt werden können, hinzu. Das heißt, die Indigenen beispielsweise aus der Arktisregion sehen sich genötigt, schneller denn je ihre frühere Lebensweise aufzugeben und sich an Verhältnisse anzupassen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Der zu beobachtende wachsende Konsum von Alkohol und anderen fluchtverheißenden Rauschmitteln hat allerdings nicht erst in den letzten Jahren eingesetzt, sondern bereits in Folge der ersten Begegnungen mit weißen Trappern, Händlern und Siedlern.

Auch wenn die Chance der indigenen Völker, mit Appellen und Forderungen an die sogenannte internationale Staatengemeinschaft etwas bewirken zu können, damit der menschliche Anteil an der Erderwärmung - die Emission von Treibhausgasen - drastisch reduziert wird, als gering bis kaum vorhanden eingeschätzt werden muß, stellt sich die Frage, was die Betroffenen anderes machen sollen, als alle Kräfte zu mobilisieren, um ihr Anliegen durchzusetzen.

Eine wichtige Aufgabe des Kongresses besteht laut Cochran darin, über mögliche Lösungen, wie mit dem Klimawandel umgegangen werden kann, zu diskutieren. Ob die Bewohner der nordpolaren Regionen weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffen sind oder nicht, braucht allerdings nicht diskutiert zu werden. Auch den Bewohnern subtropischer, semiarider Gebiete wird die Lebensgrundlage entzogen, wenn die Niederschläge plötzlich ausbleiben, Weidegründe verdorren und Wasserstellen trockenfallen. Für die Bewohner der Arktis kommt der besondere Umstand hinzu, daß sie in einer Weltregion leben, in denen sich die physikalischen Verhältnisse in ihrer Umwelt immer dann radikal ändern, wenn die Temperaturen die Null-Grad-Grenze überschreiten und Wasser von einem festen in einen flüssigen Aggregatzustand übergeht beziehungsweise umgekehrt, wenn Wasser gefriert.

Die 320 Einwohner des Städtchens Newtok, Alaska, mußten bereits ihre Häuser aufgeben, weil der Permafrostboden, der den Gebäuden und Straßen als Fundament diente, auftaute und sie dadurch den festen Boden unter ihren Füßen verloren - für viele Einwohner galt dies auch im übertragenen Sinne. Newtok ist keine Ausnahme, auch andere Siedlungen müssen aufgegeben werden, wobei die Einwohner meist weiter nach Norden ziehen, wo die Erderwärmung noch nicht diese fundamentalen Auswirkungen zeigt. Die Kosten der Umsiedlung haben bereits Dutzende Millionen Dollar verschlungen.

Die Konferenzteilnehmer von Anchorage wollen am Freitag zum Abschluß des Treffens eine Deklaration verabschieden und einen Maßnahmenkatalog vorlegen, welcher im kommenden Dezember auf der großen UN-Klimakonferenz in Kopenhagen eingebracht werden soll. Zu den Forderungen gehört unter anderem, daß den Indigenen bei künftigen Klimaschutzverhandlungen mehr Einflußmöglichkeiten zugestanden wird und ihre Ansichten und Erfahrungen bei Vereinbarungen mehr Gewicht erhalten. [2]

Indigene Völker leben heute in den unwirtlichsten Regionen der Welt. Das hat sie gewissermaßen vor der vollständigen Vereinnahmung durch die "Weltgemeinschaft" geschützt. Alle anderen indigenen Völker wurden im Zuge der globalen Vergesellschaftung weitgehend assimiliert. Ob in der nordamerikanischen Arktis, im Hochgebirge Nepals oder im feuchtheißen Regenwald Borneos, wer dort überlebt hat, muß über spezifisches Wissen und entsprechende Überlebenstechniken verfügen, von denen man erwarten kann, daß sie heute genau nicht in folkloristischen Ritualen und musealen Fragmenten anzutreffen sind. Die Vermutung liegt nahe, daß Menschen, die in extremen Verhältnissen überleben können, der Weltgemeinschaft etwas zu diesem Thema zu sagen haben. Eine Nutzbarmachung der Überlebenstechniken und des -wissens der Indigenen für die globalisierte Gesellschaft könnte allerdings bedeuten, daß letztere ihre Gewohnheiten und Ansprüche in Frage stellen müssen. Ungeachtet dessen darf man annehmen, daß die Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawandels auch für die indigenen Völker selbst eine Chance bietet, sich auf Erfahrungen zu besinnen, die in Zeiten des Klimawandels und der allgemeinen Ressourcenverknappung an Wichtigkeit gewinnen können.


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Anmerkungen:

[1] "Indigenous groups hold Alaska climate change talks", AFP, 20. April 2009
http://www.spacedaily.com/2006/090420160049.8b01tf90.html

[2] "Leading the Way: Indigenous Peoples' Global Summit on Climate Change", 21. April 2009
http://nativetimes.com/index.php?option=com_content&task=view&id=1077&Itemid=55

21. April 2009