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KLIMA/402: Machtpoker in Bangkok - Industriestaaten kämpfen um Hegemonie (SB)


Dominanzstreben beherrscht die UN-Klimakonferenz in Bangkok

Äußerst scharfe diplomatische Attacke der Entwicklungs- und Schwellenländer gegen die Industriestaaten


Wer bislang geglaubt hat, bei den sogenannten Klimaschutzverhandlungen im Dezember in Kopenhagen ginge es primär um den Schutz des Klimas, damit die Lebensverhältnisse aller Menschen verbessert und gesichert werden, wird seinen Irrtum spätestens am heutigen Montag einsehen müssen. Im Vordergrund des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs steht der Schutz der eigenen Wirtschaft, die wiederum ein wichtiges Mittel ist, um das eigene hegemoniale Interesse durchzusetzen.

Dabei sind nicht alle Staaten über einen Kamm zu scheren. Die pazifischen Inselstaaten beispielsweise wollen schlicht und ergreifend nicht untergehen, wenn der Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten um - konservativ geschätzt - Dutzende Zentimeter steigt. Die Subsaharastaaten wiederum wären schon froh, wenn sich die Wissenschaftler in ihren Klimaprognosen täuschten und zumindest die Zunahme an Dürren und Überschwemmungen weniger stark ausfällt als befürchtet, sollte es in Kopenhagen zu keiner Einigung der internationalen Staatengemeinschaft über die Reduzierung von Treibhausgasemissionen kommen. Die BRIC-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China) indessen möchten wirtschaftlich mindestens zu den heutigen Industriestaaten aufholen, hinsichtlich des Einflusses auf das Weltgeschehen womöglich sogar an ihre Stelle treten. Umgekehrt wollen die USA, die EU, Japan und andere Industriestaaten ihre Vorteilsposition nicht preisgeben, sondern eher noch ausbauen.

Solche unterschiedlichen Interessen werden in Kopenhagen aufeinandertreffen, wenn über CO2-Obergrenzen, Emissionshandel, flexible Mechanismen und andere Regularien aus dem Jargon der Klimapolitik verhandelt wird. Alle wollen einen Green New Deal, um die wachstumsbasierte Wirtschaftsweise zu retten, keiner will mit einem für sich wirtschaftlich und politisch nachteiligen Ergebnis aus den Klimaverhandlungen hervorgehen. Das zeigt die Halbzeit der zur Zeit in Bangkok veranstalteten vierzehntägigen Vorbereitungskonferenz für den UN-Gipfel im Dezember in Kopenhagen. In außergewöhnlicher Schärfe hat der chinesische Gesandte Yu Qingtai den im "Annex 1" des Kyoto-Protokolls aufgelisteten Industriestaaten vorgeworfen, daß sie versuchten, die Verhandlungen "fundamental zu sabotieren". [1] Mangelnde Fortschritte bei den Verhandlungen führte Yu auf den fehlenden politischen Willen der Industriestaaten zurück. Er empörte sich: "Wir vernehmen hier Stellungnahmen, die zur Beendigung des Protokolls führen würden. Sie bringen neue Regeln ein, neue Formate. Das ist keine Art, wie man Verhandlungen führt."

Der Vorsitzende der G77, der Sudanese Lumumba Di-Aping, stieß ins gleich Horn: "Nun steht fest, daß die reichen Länder einen Vertrag außerhalb der Kyoto-Vereinbarung erreichen wollen. Er würde sich auf eine völlige Zurückweisung ihrer historischen Verantwortung stützen. Das ist ein erschreckender Vorgang. Die Absicht der entwickelten Länder besteht eindeutig darin, das Protokoll zur Strecke zu bringen."

Der chinesische Gesandte spricht für immerhin 1,6 Milliarden Menschen, und der G77-Vorsitzende repräsentiert bei den Verhandlungen 130 Nationen. Die Erklärungen beider Vertreter besitzen somit einiges Gewicht. Sie wollen erreichen, daß die Industriestaaten eine historische Verantwortung für die klimaschädlichen Schadstoffe übernehmen, die maßgeblich von ihnen in die Atmosphäre entlassen wurden, so daß sich diese nun verändert und langwellige Wärmerückstrahlung von der Erdoberfläche aufhält, bevor sie in den Weltraum entweichen kann.

Verantwortung für die Entwicklung zu übernehmen könnte beispielsweise bedeuten, daß die Industriestaaten einen kostenlosen Transfer von Umwelttechnologie in die Schwellen- und armen Länder übernehmen. Außerdem setzt sich China dagegen zur Wehr, daß bei den Klimaverhandlungen die absolute Verschmutzungsmenge eines Staates der CO2-Reduktionspflicht zugrunde gelegt wird - denn darin nimmt China die Spitze ein -, und besteht darauf, daß die Emissionen pro Kopf gerechnet werden. Bei solch einem Maßstab läge China noch weiter hinter den Industriestaaten und müßte folgerichtig geringere Belastungen, die sich aus den Klimaschutzmaßnahmen ergeben, übernehmen.

Der Vorschlag, den die US-Vertreter in Bangkok vorgebracht haben, ist nicht anders zu erwarten für eine hochverschuldete Wirtschaftsmacht, der zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Blockkonfrontation neue Konkurrenten innerhalb des kapitalistischen Verwertungsregimes erwachsen und dessen Währung, der Dollar, beachtlich an Wert verloren hat. Die USA streben nach wie vor eine unumstößlich stabile Position als Weltführungsmacht Nummer eins an. Das hat in den 1990er Jahren die damalige Clinton-Administration bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll bewogen, massiv auf die Einführung von flexiblen Mechanismen zu drängen, mit deren Hilfe sich die größten Emittenten von Treibhausgasen von ihren Verpflichtungen freikaufen können. Und das hat den republikanischen US-Präsidenten George W. Bush nach seiner Amtsübernahme veranlaßt, das Kyoto-Protokoll nicht zu unterzeichnen und statt dessen ein fadenscheiniges Klimaschutzprogramm zu verabschieden, das auf die Freiwilligkeit der Industrie zum Energieeinsparen setzt.

Jetzt hat der Hoffnungsträger der Klimaschützer, Barack Obama, im Weißen Haus das Sagen, und selbstverständlich bedient auch er die Interessen der Wirtschaft, da sie sich mit den strategischen Zielen der US-Administration decken. Der US-Senat blockiert einen von der Regierung vorgelegten Entwurf für Klimaschutzmaßnahmen, während die US-Vertreter in Bangkok einen völlig neuen Verhandlungsansatz vorschlagen, der keine Nation zu Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet, sondern in dem die Staaten individuelle Ziele vorgeben, die sie zu erreichen gedenken.

Laut einer Analyse der Alliance of Small Island States (Allianz der kleinen Inselstaaten) würden auf der Basis des Vorschlags der USA die reichen Staaten ihre CO2-Emissionen bis 2020 nur um 11 - 18 Prozent senken. Dazu bräuchten die Industriestaaten selbst gar keine nennenswerten Emissionen zu reduzieren, sondern könnten dies weitgehend über die flexiblen Mechanismen abwickeln. [1]

Der schleppende oder gar kontra-induzierte Verlauf der Verhandlungen um einen Kyoto-Nachfolgevertrag für den Zeitraum 2012 bis 2020 ergibt keinen Sinn angesichts der von Klimaforschern vorhergesagten Entwicklung einer Erderwärmung um zwei bis vier Grad bis spätestens Ende des Jahrhunderts und einem Meeresspiegelanstieg von womöglich mehreren Metern. Der Verlauf der Verhandlungen macht jedoch sehr viel Sinn angesichts der einander diametral gegenüberstehenden Standpunkte, mit den um ihre Vormachtstellung kämpfenden Industriestaaten auf der einen Seite und allen übrigen Staaten, mit dem neuen Hegemon China als Sprachrohr, auf der anderen.

Die Doha-Runde der Welthandelsorganisation war durch den gleichen Konflikt gescheitert, wie er nun deutlich bei den Klimaschutzverhandlungen hervorbricht. Hinter dem vorgeblichen Ringen um eine "gerechte" Weltordnung oder um effektive Maßnahmen gegen die Erderwärmung verbergen sich nichts anderes als Machtinteressen. Es wird darum gestritten, wer im Zuge der sich laufend vertiefenden Globalisierung die Schalthebel in die Hände bekommt und seine Vorteilsposition nicht mehr hergeben muß.

Hieran zeigt sich kein Kampf der Kulturen, sondern ein Kampf der Eliten - sicherlich auch untereinander, aber vor allem gemeinsam gegen die überwiegende Mehrheit der Menschheit. Daß viele Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen den Preis dafür bezahlen werden, daß aufgrund der Erderwärmung und des Klimawandels der zur Verfügung stehende Lebensraum schrumpfen und darüber hinaus in vielen Regionen vollkommen unwirtlich wird, wird ebenso in Kauf genommen, wie nicht eingeschritten wird, daß bereits heute jährlich rund 35 Millionen Menschen vor Hunger sterben, eine Milliarde Menschen regelmäßig hungern müssen und weitere ein bis zwei Milliarden Menschen verarmt sind.

Solange die Aussicht auf Inseln des Wohlstands innerhalb der sich verschlechternden Verhältnisse besteht, sind die Staats- und Regierungschefs, die sich im Dezember in Kopenhagen Scheindebatten liefern werden, die denkbar ungeeignetste Adresse für Appelle um eine verantwortliche Gestaltung der Zukunft aller Menschen.


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Anmerkungen:

[1] "China leads accusation that rich nations are trying to sabotage climate treaty", The Guardian, 5. Oktober 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/oct/05/climate-change-kyoto

5. Oktober 2009