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KLIMA/448: Mit "Klimagerechtigkeit" die Sozialhierarchie sichern (SB)


Alle Menschen sind gleich ... nur manche sind gleicher

Warum die Vorstellung von Klimagerechtigkeit Gefahr läuft, einer ökofaschistischen Gesellschaft den Weg zu bereiten


Eine für gerecht angesehene Weltordnung hat dazu geführt, daß seit Beginn der industriellen Revolution die globale Durchschnittstemperatur als Folge zunehmender Kohlendioxidemissionen auf gefährliche Weise steigt. Denn die Erderwärmung verändert die klimatischen Verhältnisse, meist zum Nachteil der Menschen insbesondere in den ärmeren Ländern. Aber das geschieht nicht im Namen von Ungerechtigkeit, sondern Gerechtigkeit. Heute noch wird die technologische Entwicklung zwar als korrekturbedürftig, im wesentlichen jedoch als Erfolgsgeschichte verkauft. Das drückt sich in der Begriffsfolge Entwicklungsländer, Schwellenländer und Industriestaaten aus, mit denen eine für alle Menschen wünschenswerte Entwicklung beschrieben werden soll.

Wenn heute Klimagerechtigkeit eingefordert wird, dann wird damit keine fundamentale Abkehr von der exergiegetriebenen Technologie propagiert, sondern eine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Deshalb trifft der Begriff "Klimagerechtigkeit" auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Neben zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die im Umwelt- oder Klimaschutz tätig sind, befürworten auch Forscher wie Ernst-Ulrich von Weizsäcker und selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel die unter dem Stichwort Klimagerechtigkeit verbreiteten Ideen. Die besagen im Kern, daß die Industriestaaten ihren Fortschritt auf Kosten des Weltklimas errungen haben und deshalb die Hauptverantwortung dafür tragen, die angerichteten Schäden zu beheben. Sie müßten die Hauptlast für weltweite Klimaschutzmaßnahmen tragen und einen Technologietransfer in die Entwicklungsländer leisten, damit diese besser mit den Folgen der Klimaveränderung zurechtkommen.

Es versteht sich von selbst, daß die Vorstellungen, was Klimagerechtigkeit sei, voneinander abweichen. Eine im Mittelpunkt vieler Konzepte stehende Forderung lautet, daß alle Menschen für die gleiche Menge an Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind und auch nicht mehr produzieren dürfen. Für Deutschland und andere EU-Staaten bedeutete das eine Reduzierung der Pro-Kopf-Emissionen um 80 Prozent gegenüber 1990, zu verwirklichen innerhalb der nächsten 40 Jahre.

Bei solch einem Gerechtigkeitsbegriff, der auf einer angenommenen Gleichheit aller Menschen beruht, bleibt vollkommen unreflektiert, daß der Gleichheit eine Ungleichheit ganz anderer Art zugrundeliegt: Wenn ein Banker und Börsenspekulant Millionen verdient und, falls er seine Wette verliert, ihm vom Staat aus der Patsche geholfen wird, auf der anderen Seite aber ein Arbeiter, der für einen kargen Lohn jahrzehntelang geschuftet hat, am Ende noch einen Tritt in den Hintern bekommt, dann kann von Gleichheit keine Rede sein. Dann ist Ungleichheit die Voraussetzung, um ein System zu etablieren, bei dem vielleicht jeder Bürger die gleiche Menge an CO2-Emissionsrechten auf seinem Klima-Konto hat, aber in dem der Besserverdienende einen erhöhten CO2-Output, der mit seinem Mehrkonsum einhergeht, locker bezahlen kann, wohingegen die Geringverdienenden ihren Konsum tatsächlich einschränken müssen.

Eine klimagerechte Welt, in der alle Menschen gleich sind, da ihnen die gleiche Menge an CO2-Emissionen zugestanden wird, kann es nicht geben, solange es eine ungleiche Einkommensverteilung gibt. Nach heutigem Rechtsempfinden ist solch eine Verteilung gerecht, vielleicht nicht anders als vor wenigen Jahrzehnten die Tatsache als recht und billig angesehen wurde, daß die Industriestaaten hemmungs- und rücksichtslos Kohlendioxidemissionen produziert haben und dadurch die Erdatmosphäre aufgeheizt wurde.

Wenn bei der Forderung nach Klimagerechtigkeit und einer gleichen CO2-Emissionszuteilung nicht zugleich die Forderung nach gleichen Einkommen erhoben wird, würde damit die bestehende Verwertungsordnung fortgetragen in gesellschaftliche Verhältnisse, die mehr als je zuvor im Zeichen des Mangels an Ressourcen von Nahrung, sauberem Trinkwasser, Energie, etc. stehen und mit Sicherheit den Ruf nach einer globalen Verteilungsordnung provozieren. Unter den gegebenen Voraussetzungen trüge diese dann einen ökofaschistischen Charakter.

Diese Annahme stützt sich auf zwei Faktoren: Erstens wird im Klimagerechtigkeitsdiskurs irrtümlicherweise unterstellt, daß alle Menschen gleich sind, wenn sie die gleiche Menge CO2 emittieren dürfen. Zweitens werden im Zuge des Klimawandels existentiell wichtige Dinge einem direkten administrativen Zugriff und einer Verteilungsordnung unterworfen, die den Mangel auf die soziale Unterschicht abwälzen wird. Diese Annahme wiederum ist mit dem Produkt der heutigen Weltordnung zu begründen. Sie sorgt dafür, daß jeder sechste Mensch regelmäßig Hunger leidet und jeder dritte Mensch arm ist. Wenn also in einem solchen System die Vorstellung von Klimagerechtigkeit etabliert wird, ohne die Grundlage der vorherrschenden Verteilungsordnung in Frage zu stellen, kann das nur auf ihre Bestätigung und folglich ihre Qualifizierung unter den Anforderungen der neuen Mangelverwaltung dieses Jahrhunderts hinauslaufen.

Sollte man deshalb keinen Klimaschutz betreiben, wie es manche Zeitgenossen fordern, die sich Klimaskeptiker nennen oder einer libertären Ideologie anhängen? Nein, denn auch sie bestätigen mit ihrer Einstellung das gegenwärtige Gesellschaftssystem. Die Debatte um Klimagerechtigkeit kann ihren Nutzen haben, weil durch sie vorhandene gesellschaftliche Widersprüche benannt werden. Selbstverständlich ist es nicht hinnehmbar, daß sich die Lebensverhältnisse in den ärmeren Ländern als Folge des Klimawandels verschlechtern, weil die Industriestaaten auf ihrem Rücken einen technologischen Fortschritt vollzogen haben und ihn nun abzusichern bemüht sind. Die Debatte um Klimagerechtigkeit dürfte sich aber nicht absorbieren und instrumentalisieren lassen.

Es klingt auf den ersten Blick paradox: Die Frage nach Klimagerechtigkeit sollte gestellt, aber nicht beantwortet werden. Nur so würde sie aufrechterhalten und könnte weitergeführt werden. Das böte die Chance, die Voraussetzungen von Gerechtigkeit in Frage zu stellen und eine gesellschaftliche Entwicklung zu vermeiden, in der die Menschen mehr noch als selbst in der kapitalistischen Verwertungsordnung in der neuen, "grünen" Sozialhierarchie fremdnützigen Interessen zum Opfer fallen.

28. Mai 2010