Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

KLIMA/471: EU-Emissionshandel treibt Produktion von klimaschädlichen Industriegasen an (SB)


Klimaschutzmaßnahme ging nach hinten los

In China werden Kältemittel nur deshalb produziert, weil die EU für die Zerstörung eines Beiprodukts Emissionsgutschriften ausgibt


Da hat sich das profitgetriebene Wesen des Green New Deal wohl etwas zu auffällig verhalten, werden doch in China klimaschädliche Industriegase allein zu dem Zweck hergestellt, weil auf diese Weise Emissionsgutschriften zur Zerstörung von Klimagasen verkauft werden können. Da soll noch jemand behaupten, ein staatlich gelenkter Kapitalismus bremse die Innovationsfreudigkeit des Unternehmertums! Das blüht geradezu, um nicht zu sagen, es treibt die buntesten Blüten.

Im Juni hatte die in London ansässige Environmental Investigation Agency berichtet, daß zahlreiche chinesische Chemieunternehmen nur deshalb das Kältemittel HCFC-22 herstellen, weil sie dann für die Zerstörung des extrem klimaschädlichen Beiprodukts HFC-23 Geld im Rahmen des CO2-Emissionsrechtehandels der Europäischen Union erhalten. Mit der Zerstörung von HFC-23 könne bis zu fünfmal so viel verdient werden wie durch die Herstellung von HCFC-22, berichtete der britische "Guardian" diese Woche [1]. Auf Nachfrage der Zeitung sagte die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard, daß möglicherweise demnächst die Emissionsgutschriften für Industriegase aus dem Kohlenstoff-Zertifikathandel herausgenommen werden. Denn wenn man etwas tiefer grabe, stelle man fest, daß zu viele Projekte insbesondere zur Herstellung des Industriegases HFC-23 existierten, denen es an "völliger Umweltintegrität" mangele.

Die frühere dänische Umweltministerin zählt zu den Mitverantwortlichen, welche durch ihre Art der Organisation der Weltklimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen zum Scheitern brachten. Nicht nur die zivilgesellschaftlichen Kräfte waren massiven Repressionen ausgesetzt, selbst Delegationsmitglieder wie die Präsidenten von Venezuela und Bolivien, die erfolgreich an Gegenkonzepten zur kapitalistischen Vollverwertung arbeiten und in den westlichen Metropolen nicht wohlgelitten sind, wurden Schikanen ausgesetzt und in ihrer Arbeit behindert. Darüber hinaus kursierte schon zu Beginn der Verhandlungen ein Entwurf der dänischen Konferenzorganisatoren, demzufolge das Kyoto-Protokoll gekippt und ein gänzlicher neues Abkommen verabschiedet werden sollte, das sehr viel vorteilhafter für die Industriestaaten ausgefallen wäre. Hedegaard wurde während der laufenden Konferenz von ihrem Job als Leiterin abberufen. Es wird niemanden überraschen, daß die zur EU-Kommissarin aufgestiegene Dänin keine prinzipiellen Einwände gegen den Kohlenstoffhandel als Klimaschutzmaßnahme hegt, sondern nur die Auswüchse korrigieren will.

Mit dem CO2-Zertifikathandel der Europäischen Union soll erreicht werden, daß bestimmte Branchen ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. Einen kostenintensiven Umbau ihrer Produktionsanlagen können die Unternehmen jedoch dank der Regelung des Clean Development Mechanism (CDM) vermeiden, wenn sie Emissionsgutschriften erwerben, die belegen, daß andernorts die gleiche Menge an CO2 eingespart wird, welche das Unternehmen hätte einsparen müssen. Hier kommen auch außereuropäische Unternehmen ins Spiel. Sie sagen: Investiert in unsere Produktionsanlagen, baut für uns Abgasfilter in die Schlote und ähnliche Umweltschutzmaßnahmen, dann könnt ihr euch freikaufen, während wir gleichzeitig unsere Fabriken modernisieren. Voraussetzung dieses Geschäfts zum beiderseitigen Vorteil ist, daß die Europäische Union die Vergabe der Emissionsgutschriften absegnet.

134 Millionen beziehungsweise 84 Prozent der in den Jahren 2008, 2009 im Rahmen des EU-Zertifikathandelssystem (EU ETS) ausgegebenen Offsets (Gutschriften) galten Industriegasprojekten in China und Indien, schrieb der "Guardian" nach Angaben des mit dem Kohlenstoffhandel befaßten Thinktanks Sandbag. Nach heutigen Preisen haben diese Offsets einen Wert von rund zwei Milliarden Euro.

Die Europäische Union gibt sich gern als Vorreiter des Klimaschutzes aus und ist um den Eindruck bemüht, sie würde noch sehr viel weitreichendere Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen unternehmen, wenn nur andere Staaten mitzögen. Dazu gehört, daß diese in das EU ETS einsteigen sollen. Da macht es sich schlecht, wenn eben dieses System, das den Anspruch vorhält, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, das Gegenteil bewirkt und die Herstellung von Industriegasen fördert. Zumal das Kältegas HCFC-22, das nun in Mengen hergestellt wird, ein Ozonkiller ist. Darin ist das Gas lange nicht so wirksam wie FCWS, aber auch HCFC-22 trägt zum Abbau der Ozonschicht bei und soll seinerseits ersetzt werden [2].

"Meines Erachtens ist es ganz entscheidend für den gesamten Kohlenstoffmarkt und den CDM in den nächsten Jahren, daß unsere Maßnahmen mittels dieses Mechanismus echte Wirkung zeigt." [3]

Tatsächlich hat der Kohlenstoffhandel schon einige klimaschädliche Entwicklungen gefördert. Teils wurden Gutschriften für bereits bestehende Anlagen ausgegeben, so daß kein zusätzlicher Klimaschutzeffekt erzielt wurde. Außerdem hat die Wirtschaftskrise 2008, 2009 einen Produktionsrückgang in Europa ausgelöst, so daß weniger Energie verbraucht und weniger Treibhausgase emittiert wurden. Einige Unternehmen können ihre Emissionsgutschriften aufsparen und zwischen 2013 und 2020 einlösen, so daß dann der Eindruck enstehen könnte, als ob die EU weniger Treibhausgase emittiert, "auch wenn wir es gar nicht tun", wie Hedegaard im Mai in einem FAZ-Gespräch sagte [4].

Die Europäische Union betreibt Schadensbegrenzung, sollte sie in den nächsten Wochen die Produktion von Industriegasen aus dem Emissionsrechtehandel herausnehmen. Es ist nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, daß bei dem Versuch, die Ökonomie für Klimaschutzmaßnahmen einzuspannen, die Virulenz der Kapitalinteressen dieser Absicht diametral entgegenläuft.


*


Anmerkungen:

[1] "Environment Carbon offsetting - EU plans to clamp down on carbon trading scam", The Guardian, 26. Oktober 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/oct/26/eu-ban-carbon-permits

[2] "What You Should Know about Refrigerants When Purchasing or Repairing a Residential A/C System or Heat Pump. Background: Ban on Production and Imports of Ozone-Depleting Refrigerants", Evironment Protection Agency, Internetzugriff am 28. Oktober 2010
http://www.epa.gov/ozone/title6/phaseout/22phaseout.html

[3] Zitat laut [1], eigene Übersetzung.

[4] "Im Gespräch: EU-Klimaschutzkommissarin Hedegaard", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Mai 2010
http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~E1C9DE3EC8B9E43FE92144C5EDABA54F2~ATpl~Ecommon~Scontent.html

28. Oktober 2010