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KLIMA/495: Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels - Empfehlungen an die Politik (SB)


"Achieving food security in the face of climate change"

Zusammenfassender Bericht der Commission on Sustainable Agriculture and Climate Change


Die internationale, unabhängige Wissenschaftlergruppe Commission on Sustainable Agriculture and Climate Change [http://ccafs.cgiar.org/] hat im November eine Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger mit Empfehlungen für Maßnahmen zur grundlegenden Umstrukturierung der globalen Ernährungssysteme vorgelegt. Eine ausführliche Studie zu diesem Thema wird für das kommende Jahr angekündigt. Die Vorschläge der dreizehnköpfigen Kommission laufen in der Konsequenz darauf hinaus, die Nahrungsproduktion und -verteilung einem weltweiten Kontrollregime zu unterwerfen. Das nachvollziehbare Anliegen, die Ernährungsunsicherheit von einer Milliarde hungernder Menschen sowie die angebliche Überkonsumption von mehr als einer Milliarde Menschen beenden zu wollen, könnte zum gegenteiligen Resultat führen, da es in der Studie vermieden wird, die grundlegenden gesellschaftlichen Voraussetzungen des Nahrungsmangel in Frage zu stellen. So besteht die Gefahr, daß sich die an der Studie beteiligten Forscherinnen und Forscher als Wegbereiter einer zukünftigen Mangelverwaltung erweisen, gegenüber deren Wirken die heutige Form der Nahrungsverteilung noch freizügig ist und Handlungsraum für informelle, das heißt keiner administrativen Aufsicht unterworfene Formen der Ernährungssicherung läßt.

Das System jedoch, auf das der Vorschlag der Wissenschaftlergruppe hinauslaufen könnte, ist anscheinend aus dem gleichen Geist entsprungen wie die Notstandsgesetzgebung in Kriegszeiten. Individuelle Antworten auf den Mangel werden von Staats wegen eingeschränkt, die Nahrungsmenge wird perspektivisch vollständig der administrativen Verfügungsgewalt unterstellt. Ähnlichkeiten der Erkenntnisse und Vorschläge, wie sie in militärischen Weißbüchern oder auch den Expertisen von Think Tanks zu Klimawandel, Ressourcenmangel, Bevölkerungswachstum, Artenschwund, Ökokatastrophen, steigenden Lebensmittelpreisen vor dem Hintergrund der nationalen Sicherheit und Bewahrung der gesellschaftlichen Ordnung sind somit kein Zufall.

In der Zusammenfassung heißt es:

"Die Ernährungssysteme müssen verbessert werden, um den menschlichen Bedarf zu decken und langfristig mit den Ressourcen der Erde im Einklang zu stehen. Es erfordert umfangreiche Interventionen vom lokalen bis zum globalen Maßstab, um die gegenwärtigen Arten der Nahrungsmittelproduktion, -verteilung und des Verbrauchs umzuformen."

Angedacht ist offenbar eine Nahrungsversorgung auf niedrigem Niveau:

"Im Verlauf des 21. Jahrhunderts muß die Welt viel mehr Nahrung produzieren, um jedermann eine grundlegende, aber angemessene Ernährung zu bieten."

Zugleich wird die Ernährungsumstellung in den Schwellenländern als Problem beschrieben:

"Die erforderliche Nahrungsmenge wird sogar noch größer, wenn die gegenwärtigen Trends der Ernährungsgewohnheiten und des praktizierten Ernährungssystems beibehalten werden."

Der Klimawandel verstärke die ökologischen und sozioökonomischen Antriebskräfte der Ernährungsunsicherheit. Deshalb sei es zwingend notwendig, Prioritäten zu setzen, wo, wie und wann gehandelt werde, heißt es.

Es ist zwar verständlich, wenn Agrar- und Ernährungsexperten sich Gedanken darüber machen, wo welche Nahrung fehlt, um die Not zu lindern, aber angesichts des bereits existierenden Notstands, der ungeachtet der Millenniumsziele nicht behoben, sondern verstärkt wird, erhalten solche Hinweise den bitteren Beigeschmack, wie sie beispielsweise auch eine Triage auslöst. Der Begriff stammt aus der Katastrophenmedizin und meint das Einteilen der Versorgungsbedürftigen in Kategorien mit der Folge, daß diejenigen, bei denen nach erster Einschätzung Rettungsmaßnahmen nichts mehr bringen, nicht mehr versorgt und damit faktisch sterben gelassen werden, um die Aufmerksamkeit auf die nicht ganz so schweren, aussichtsreicheren Fälle richten zu können. Auf die Hungerlage bezogen könnte das nach der Logik der Prioritätensetzung darauf hinauslaufen, daß bestimmte Weltregionen aus der Versorgung herausfallen, da die Menschen dort schon zu sehr siechen und - in konsequenter Fortsetzung des utilitaristischen Denkens - aus übergeordneter Perspektive nur unnötige Nahrung und die Arbeit von Hilfskräften verbrauchen.

Bei den Ideen und Vorschlägen, wie sie hier von der Forschergruppe verbreitet werden, wird vergessen, daß bereits eine weltweite Ordnung existiert, nach der Nahrung produziert und verteilt wird. Die nennt sich freie Marktwirtschaft. Die Vertreter des auf Wettbewerb gestützten marktwirtschaftlichen Kapitalismus behaupten, es gebe dazu keine Alternative. Die Forschergruppe versucht nun, die systemimmanenten Folgen, nämlich daß sich am unteren Ende der gesellschaftlichen Pyramide Menschen im Wettbewerb nicht durchsetzen können und als Verlierer abgestempelt werden, durch eine Aufwertung der administrativen Befugnisse hinsichtlich der Nahrungsmittelproduktion und -verteilung abzumildern. Allerdings ohne Motor, Getriebe und Treibstoff dieses Systems anzugreifen.

Wenn aber die Apologeten des Kapitalismus, die nicht müde werden, die Jahre 1989 bzw. 1991 als historischen Sieg über den Realsozialismus und damit einer mindestens formal anderen Wirtschaftsweise zu feiern, keine Alternative neben sich dulden - was bei der früheren britischen Premierministerin Maggie Thatcher im Wahrheitsanspruch "there is no alternative" mündete -, werden sie nicht zulassen, daß ihre Möglichkeiten der Kapitalakkumulation eingeschränkt werden, damit Menschen, die auch heute schon hungern, zu essen haben, nur weil sich die Lebensverhältnisse als Folge des Klimawandels und allgemeinen Ressourcenmangels noch weiter verschlechtern.

Umgekehrt gibt es sogar Gründe zu der Annahme, daß das System solche Verbesserungsvorschläge aufgreift und modifiziert, um sich unüberwindlich zu machen. Denn Kapitalanhäufung stellt keinen Selbstzweck dar. Im Kern geht es um die Herrschaft des Menschen über den Menschen, und Kapital ist dazu ein wirksames Mittel. Entsprechend dürften die von den Forschern vorgeschlagenen "public-private partnerships" (PPP), mit denen ein Fonds zur Absicherung von klimatischen Schocks mit Extremwetterereignissen, zu einem Gewinn seitens der privaten Entrepeneure führen. Wo aber Gewinne getätigt werden, werden Verluste generiert. Das beweist das vorherrschende Wirtschaftssystem.

Die Empfehlungen der Forschergruppe sollen nicht pauschal in Grund und Boden gestampft werden. Wenn appelliert wird, daß die Verschwendung von Lebensmitteln verringert und in den Hungerländern Lagerkapazitäten aufgebaut werden sollen, dann könnte das theoretisch zur Linderung der Nahrungsnot beitragen. Muß es aber nicht. Weniger Verschwendung von Nahrung entlang der gesamten Produktionskette bedeutet nicht, daß die Bedürftigsten davon profitieren, und ausgerechnet von der Entwicklungspolitik geförderte Maßnahmen wie PPP-Projekte und die Privatisierung von Staatsbetrieben können der Nahrungsversorgung schaden. So hatte vor rund zehn Jahren die Privatisierung der strategischen Getreidereserve in Malawi zu einer schweren Hungersnot beigetragen, weil das Getreide, das in jenen privatisierten Lagerhäusern als Reserve für schlechte Zeiten gedacht war, verkauft worden war - zwar nicht als Folge einer direkten Forderung des Internationalen Währungsfonds, aber zumindest einer indirekten, denn der IWF hatte der malawischen Regierung geraten, der Schuldentilgung Priorität einzuräumen. Das tat sie dann auch mit den hinlänglich dokumentierten Folgen.

Im nächsten Jahr wird die aus dreizehn Forscherinnen und Forschern bestehende Expertengruppe ihren umfassenden Report vorlegen. Dann bietet sich ein Vergleich mit dem 2008 erschienenen Weltagrarbericht an, in dem bereits politische Leitlinien vorgestellt werden, wie dem Nahrungsmangel in einer Welt mit wachsender Bevölkerung und schwindenden Ressourcen begegnet werden kann. Es deutet sich an, daß die jetzt von der Kommission passend zum Klimagipfel in Durban vorgelegte Zusammenfassung in eine etwas andere Richtung weist, indem sie beispielsweise eine Förderung des Kleinbauerntums propagiert, aber weniger, damit sich die Bauern eine Subsistenz aufbauen können, sondern damit sie mehr Exportprodukte für den Weltmarkt produzieren. Das wird auch im Weltagrarbericht vorgeschlagen, aber die Reihenfolge, erst Ernährungssicherheit für die eigene Familie und das eigene Dorf, dann exportieren, präsentiert sich darin nicht so verwässert wie in der Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheidungsträger der Commission on Sustainable Agriculture and Climate Change.

29. November 2011