Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/559: Studie identifiziert Sauerstoff als Klimafaktor (SB)


US-Forscher glauben, daß der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre das Klima beeinflußt hat


Bisher ist die Gefahr einer Veränderung des Sauerstoffgehalts der Erdatmosphäre kein großes Thema innerhalb des Diskurses um Klimawandel und globale Erwärmung, obgleich doch die Versorgung mit dem für das organische Leben existentiell wichtigen Gases alles andere als eine Naturkonstante darstellt. Die ursprüngliche Erde besaß keinen bzw. kaum freien Sauerstoff. Man könnte also sagen, daß wir nur aufgrund der Vergiftung der Atmosphäre durch Cyanobakterien existieren, die irgendwann angefangen haben, Photosynthese zu betreiben. Im Laufe der letzten rund 540 Millionen Jahre schwankte der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre zwischen 10 und 35 Prozent, heute liegt er bei etwas weniger als 21 Prozent. Eine zu beobachtende leichte Abnahme führen Wissenschaftler unter anderem auf die Zunahme des CO2-Gehalts als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger zurück.

Seitdem der Mensch angefangen hat, lokale Umweltprobleme in einen globalen Kontext zu stellen, weiß er, daß seine Lebensvoraussetzungen hochempfindlich und einer steten Wandlung unterworfen sind. Eines der treffendsten Beispiele hierfür ist die Zerstörung der Ozonschicht durch FCKWs aus Spraydosen, Kühlschränken und anderen "Errungenschaften" des modernen Lebensstils: Spurengase, die in Relation zum Volumen der Erdatmosphäre verschwindend klein sind, haben dazu beigetragen, daß vermehrt harte, krebsauslösende UV-Strahlung bis zur Erdoberfläche durchdringen konnte. Und nur dem in absehbarer Zeit abgelaufenen Patentschutz des US-Herstellers für FCKWs, des Chemieriesen DuPont, war es zu verdanken, daß die US-Regierung 1987 dem Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht zugestimmt hat, ansonsten ein solches Abkommen vielleicht gar nicht zustandegekommen wäre.

So wie FCKWs könnte sich auch der atmosphärische Sauerstoff eines Tages als eine Wirkgröße erweisen, die von Entwicklungen beeinflußt wird, die kein Mensch auf dem Radar hat.

Über einen weiteren Aspekt des Themas "atmosphärischer Sauerstoff" berichteten der Paläoklimatologe Christopher Poulsen von der University of Michigan und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin "Science". Demnach hat die Wissenschaft bislang noch nicht die Auswirkungen des schwankenden Sauerstoffgehalts auf das Klima untersucht. Jetzt stellt sich laut Poulsen heraus, "daß das ein bedeutender Faktor im geologischen Zeitrahmen ist". [1]

Auch wenn die Wirkung von Treibhausgasen auf das Klima bedeutender sei, könne die Untersuchung der Sauerstoffkonzentration Erklärungen für Klimaveränderungen liefern, die sich nicht mit dem CO2-Gehalt begründen lassen, wie zum Beispiel das Auftreten erdgeschichtlich warmer Perioden in den Polarregionen, so Poulsen.

Demnach ist eine sauerstoffarme Atmosphäre weniger dicht, so daß vermehrt Sonnenstrahlen zur Erdoberfläche vordringen und die Verdunstungsrate erhöhen. Die Temperaturen steigen, da Wasserdampf den Treibhauseffekt intensiviert. Umgekehrt verstärkt ein höherer Sauerstoffgehalt die Reflektion der Sonneneinstrahlung - er ist heute zu 23 Prozent an der Reflektion des Sonnenlichts ins Weltall beteiligt -, es wird weniger Wasser verdunstet, der Treibhauseffekt wird schwächer, die Erde kühlt sich ab.

Die Forschergruppe um Poulsen hat mit Hilfe eines am Computer erstellten Modells den Einfluß von Sauerstoff auf ein Klima, wie es vor 100,5 bis 93,9 Millionen Jahren in der Mittleren Kreidezeit geherrscht hat, untersucht. Dieser Zeitraum ist deshalb interessant, weil den Klimasimulationen zufolge damals in der Antarktis Temperaturen von unter Null Grad geherrscht haben müßten. Aufgrund von Bohrkernen, die in der Antarktis gezogen wurden, schließen Forscher aber auf höhere Temperaturen. Die Diskrepanz könnte auf die von der Wissenschaft bislang nicht beachtete Klimawirkung des Sauerstoffs zurückgehen, vermutet Poulsen.

So nützlich die von ihm gewonnenen Erkenntnisse für eine Simulation der Atmosphäre in geologischer Vorzeit auch sein mögen, wird hier ein grundsätzliches Problem des wissenschaftlichen Instrumentariums deutlich. Bei einer Simulation wird vor allem ausgeblendet, das heißt, es werden potentielle Einflüsse außer Acht gelassen, um die Simulation durchführen zu können.

Die Autoren der vorliegenden Studie wären zu fragen, ob nicht andere Gase an die Stelle des Sauerstoffs getreten sind, die dann dessen Eigenschaft als Reflektor des Sonnenlichts ausgeglichen oder womöglich sogar übertroffen haben könnten. Wäre es nicht denkbar, daß vor rund 100 Millionen Jahren andere Meeresströmungen bestanden, so daß der Zustrom von am Äquator aufgeheizten Meerwassers in die antarktischen Randmeere und eben nicht ein geringer Sauerstoffgehalt zu den relativ milden Temperaturen geführt haben, wie sie die Analyse von Bohrkernen nahelegen? Möglicherweise bestand damals noch eine Landverbindung zwischen der Westantarktis und Südamerika, so daß es noch keinen kalten, zirkumantarktischen Meeresstrom gab. Überhaupt ist die Antarktis erst aufgrund plattentektonischer Bewegungen an ihre heutige Position am Südpol gewandert, sie befand sich somit in planetaren Breiten, in denen die Sonneneinstrahlung stärker war.

Mit diesen Erwägungen soll gesagt werden, daß die relativ hohen Temperaturen vor 100 Millionen Jahren keineswegs zwingend als Folge eines niedrigen Sauerstoffanteils in der Atmosphäre entstanden sein müssen. Offen bleibt auch die Frage, ob die Schwankungen der Sauerstoffkonzentration eine Folge anderer klimatischer Veränderungen sind oder ob umgekehrt das Klima von den Sauerstoffschwankungen beeinflußt wurde. Oder ob beides zutrifft. Oder nichts von all dem, da ganz andere Prozesse und Verhältnisse das Geschehen bestimmt haben. Doch welche Kritik auch immer man an der Studie übt, unstrittig ist ihr Verdienst, daß sie das vernachlässigte Thema Sauerstoff in die Aufmerksamkeit rückt.


Fußnoten:

[1] http://ns.umich.edu/new/releases/22942-variations-in-atmospheric-oxygen-levels-shaped-earth-s-climate-through-the-ages

19. Juni 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang