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KLIMA/561: Erosion an der Basis - Grönlands Gletscher verlieren Halt (SB)


Wenn an den Grundpfeilern des Weltklimas genagt wird ...


Zeitgleich mit einer Studie, wonach der Meeresspiegel weltweit bis Ende des Jahrhunderts um mindestens drei Meter steigen könnte, da die Gletscher und Schelfeisflächen Grönlands und der Antarktis schneller schmelzen als gedacht, hat einer der daran beteiligten Autoren in einem anderen Fachjournal eine weitere Studie veröffentlicht. [1]

In der Online-Ausgabe der "Geophysical Research Letters" berichten Prof. Eric Rignot, Glaziologe an der University of California in Irvine, und Kolleginnen und Kollegen unter anderem vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA im kalifornischen Pasadena, daß die Fjorde Grönlands in manchen Regionen 200 bis 300 Meter tiefer sind als angenommen und daß deshalb auch die Gletscher tiefer ansetzen und somit eine größere Angriffsfläche für das warme Meerwasser bieten. [2]

Das ist das Ergebnis von mehrwöchigen Expeditionen innerhalb der letzten drei aufeinanderfolgenden Jahre, die die Forschergruppe um Rignot am Rande des grönländischen Eises durchgeführt hat, um vor allen Dingen den Übergang von Eis zum Untergrund zu sondieren.

Einige Gletscher sitzen auf Schwellen des Untergrunds, so daß sie bislang vor den Erosionskräften des Meerwassers geschützt sind. Sollte der Meeresspiegel weiter steigen, ginge dieser Schutz verloren, so daß die Gletscher nach und nach an Tempo zulegen, mit denen sie ins Meer gleiten, hieß es. Andere Gletscher sind bereits von unterwärts angelöst und kräftig erodiert, so daß sie vermutlich kurz davor stehen, ihren Halt zu verlieren.

Wie der Schattenblick berichtete [3], stellten Eric Rignot, der ehemalige leitende Klimaforscher der NASA, James Hansen, und 15 weitere Forscherinnen und Forscher im Journal "Atmospheric Chemistry and Physics" ihre Analyse zur Diskussion, nach der das Meer noch innerhalb dieses Jahrhunderts voraussichtlich um drei Meter steigen wird. [4] Zentraler Baustein ihrer Argumentation ist ein bestimmter Rückkopplungsmechanismus. Nun beschreibt auch die Forschergruppe um Rignot jenen Mechanismus, bei dem das relativ warme, salzhaltige Meerwasser aufgrund des kälteren Schmelzwassers an die Unterseite der Gletscher herangetrieben wird und dadurch den Schmelzprozeß von unterwärts beschleunigt. Laut Rignot werden in einer Reihe von Schelfeismodellen solche Wirkzusammenhänge nicht berücksichtigt, was zu Fehleinschätzungen in Beantwortung der Frage, wie Gletscher auf die Klimaerwärmung reagieren, führe.

Schon seit längerem berichten Forscher von der beschleunigten Eisschmelze auf Grönland. Diese zeigt sich an Phänomenen wie dem, daß im Sommer riesige Seen auf dem Eisschild entstehen, an der deutlichen Abnahme des Meereises rund um Grönland und nicht zuletzt am Rückzug mancher Gletscher. Beispielsweise hat sich der Jakobshavn-Gletscher bei Ilulissat seit 1850 um über 40 Kilometer zurückgezogen.

Würde der grönländische Eisschild vollständig schmelzen, stiege der Meeresspiegel global um sechs bis sieben Meter an. Bisher wird so ein Ereignis in die ferne Zukunft gelegt, das heißt, Forscher rechnen damit, wenn überhaupt, frühestens innerhalb der nächsten paar tausend Jahre. Nach den jüngsten Beobachtungen stellt sich aber die Frage, ob der Zeitpunkt nicht vorverlegt werden müßte. Hansen, Rignot und andere haben jedenfalls gezeigt, daß bereits auf dem Weg dahin, sozusagen auf halber Strecke, katastrophale, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Frage stellende Verhältnisse eintreten.

Allen Untersuchungen gemeinsam ist, daß sie mindestens teilweise auf Modellen beruhen, deren Eigenschaft darin besteht, spekulativ zu sein und den größeren Teil an Faktoren, der als irrelevant angesehen wird, auszublenden. Die Methode setzt voraus, daß die Wissenschaftler wissen, was relevant ist und was nicht, oder zumindest so tun, als wüßten sie es. Ihre Einschätzung beruht jedoch auf Erlerntem, auf Erfahrungen, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Ob diese geeignet sind, den Klimawandel mit seinen vermutlich chaotischen Folgen treffend zu beschreiben und zuverlässige Prognosen abzugeben, ist eine offene Frage. Als gesichert gilt jedoch, daß die Eisflächen in den Polargebieten wesentlich die globalklimatischen Verhältnisse beeinflussen.


Fußnoten:

[1] Eric Rignot, et al.: "Undercutting of marine-terminating glaciers in West Greenland," Geophysical Research Letters, 2015; DOI: 10.1002/2015GL064236

[2] http://www.jpl.nasa.gov/news/news.php?feature=4661

[3] KLIMA/560: Neuberechnung - Untergang der Welt, wie wir sie kennen (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umkl-560.html

[4] http://www.atmos-chem-phys-discuss.net/15/20059/2015/acpd-15-20059-2015.pdf

24. Juli 2015


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