Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/594: Der Klimawandel wartet nicht - Direkte Aktion gegen Erdöl-Infrastruktur (SB)


Climate Direct Action unterbricht vorübergehend fünf Erdölpipelines zwischen Kanada und USA


Am Dienstagmorgen haben fünf Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative Climate Direct Action die Versorgung der USA mit Öl, das aus Teersanden der kanadischen Provinz Alberta gewonnen wird, unterbrochen. Bei der zeitgleichen Aktion, die sich über mehrere Bundesstaaten erstreckte, drangen die Personen mit Hilfe unter anderem von Bolzenschneidern durch die Absperrungen und schlossen per Hand die Sicherheitsventile von insgesamt fünf Pipelines [1], was zum Stillstand der Weiterleitung führte. Mindestens neun Personen, die entweder die Sabotage selbst begangen haben oder ihre Begleitpersonen waren, wurden verhaftet. [2]

Sie habe Hunderte von Petitionen unterschrieben, ihr Anliegen bei Dutzenden Anhörungen vorgetragen, auch habe sie mit fast allen ihren politischen Vertretern auf sämtlichen politischen Ebenen gesprochen, aber erreicht habe sie nur sehr wenig, erklärte die frühere Anwältin Annette Klapstein (64) aus Bainbridge Island, Washington, die zu den Verhafteten gehört. Sie sei zu der Einsicht gelangt, daß das gegenwärtige wirtschaftliche und politische System "das Todesurteil für das Leben auf der Erde" ist.

Sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben den weitergehenden Schritt unternommen, weil durch Produktion und Verbrauch von Erdöl aus Teersanden große Mengen des Treibhausgases CO2 emittiert werden. Der ungehinderte Fluß des Erdöls aus Kanada in die USA zeigt, daß weder die Bundesregierung in Washington noch die Staatsregierungen den Klimawandel ernst nehmen und ausreichend wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Entwicklung aufzuhalten.

Der 59jährige Ken Ward aus Corbette, Oregon, der ebenfalls verhaftet wurde, kritisiert, daß weder die politischen Entscheidungsträger noch Umweltorganisationen, "die sich an die Regeln halten", einen Plan und eine Strategie besitzen, die nicht auf den Untergang hinausliefen. "Uns bleibt nur die Hoffnung, die höfliche Konversation zurückzulassen und uns in den Weg zu stellen. Wir müssen die Anlagen schließen, angefangen mit der größten Bedrohung - Ölsand-Treibstoffe und Kohle."

Die Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten, die ihre Aktion in den Rahmen der Kampagne "ShutItDown", zu Deutsch "SchaltEsAb", stellen [3], unterstützen damit ebenfalls einen seit Monaten anhaltenden Konflikt zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern des Sioux-Reservats und den Behörden, die das Verlegen einer Erdölpipeline entlang der nördlichen Grenze des Standing Rock Reservats gewaltsam durchsetzen wollen. Die Sioux hatten zu den International Days of Prayer and Action for Standing Rock, den internationalen Tagen des Gebets und der Aktion für Standing Rock, aufgerufen. Erst vor wenigen Tagen hatte ein Berufungsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Pipelineverlegung im sogenannten Dakota Access Project aufgehoben. Das Rohr soll unter dem Missouri verlegt werden, was die Befürchtung nährt, daß ein Unfall eine verheerende Ölverseuchung auslösen würde - der Fluß ist die einzige Trinkwasserversorgung des in den beiden Bundesstaaten North Dakota und South Dakota gelegenen Reservats. Außerdem machen die Sioux geltend, daß die Rohrleitung durch Erde verlegt wird, in dem ihre Ahnen bestattet wurden. Einige Grabstätten wurden bereits von Bulldozern umgepflügt. 33 heilige Stätten sind von Zerstörung bedroht.

Zwar liegt die Pipeline nicht innerhalb des Reservats, aber dessen Grenzen sind ja auch nicht naturgegeben, sondern wurde den Sioux zunächst von den europäischen Invasoren, die heute die Mehrheitsgesellschaft bilden, aufgezwungen; wobei das für die Pipeline vorgesehene Gebiet nördlich des Reservats dem indianischen Volk sogar noch bis 1958 gehört hatte. Es war ihnen rechtswidrig weggenommen worden. [4]

Kreuz und quer durch die USA laufen mehr als vier Millionen Kilometer Erdöl- und Erdgaspipelines. Viele Rohre sind schon fünfzig Jahre alt und stellen eine potentielle Umweltgefahr dar. Die Alternative, Erdöl per Lkw auf Eisenbahn zu befördern, ist sicherlich nicht weniger gefährlich. Aber die Aktivistinnen und Aktivisten, die jetzt zeitweilig den Erdöltransport aus Alberta in die USA aufgehalten haben, werden auch gar nicht primär von der Sorge um die Sicherheit einer bestimmten Region, sondern um die des ganzen Planeten getrieben. Ihr Ziel ist die drastische Reduzierung des Verbrauchs an fossilen Energieträgern, weil bei deren Verbrennung Emissionen entstehen, die zu einer erdgeschichtlich rasanten Erwärmung führen, durch die die Lebensvoraussetzungen von Milliarden Menschen bedroht sind.

Die 50jährige Emily Johnston, die gemeinsam mit Klapstein verhaftet wurde, ist bereit, ins Gefängnis zu gehen: "Ohne einen radikalen Wandel unsere Beziehung zur Erde, wird alles, was wir lieben, verschwinden. Meine Furcht vor dieser Möglichkeit ist weitaus größer als meine Furcht vor dem Gefängnis." [5]

Mindestens 80 Prozent der bekannten Ressourcen an fossilen Energieträgern dürfen nicht gefördert werden, damit die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Im UN-Klimaschutzabkommen von Paris wird eine Temperaturerhöhung von deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad angestrebt. Der Wert wird aber voraussichtlich schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreicht, was bedeutet, daß jetzt angefangen werden muß, die fossilen Energieträger zu reduzieren, und das unter Hochdruck. Was die Mitglieder von Climate Direct Action getan haben, ist illegal, aber deswegen muß es noch lange nicht illegitim sein.


Fußnoten:

[1] Sabotiert wurden die Pipelines 4 und 67 des Unternehmens Enbridge in Leonard, Minnesota; TransCanadas Keystone-Pipeline in Walhalla, North Dakota; die Express-Pipeline von Spectra Energy in Coal Banks Landing, Montana; und die Trans-Mountain-Pipeline von Kinder-Morgan in Anacortes, Washington.

[2] http://earthfirstjournal.org/newswire/2016/10/12/activists-shut-down-all-tar-sands-pipelines-crossing-us-canada-border/

[3] http://www.shutitdown.today/shut_it_down

[4] http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/44979/Im-Wuergegriff-der-schwarzen-Schlange

[5] http://www.ecowatch.com/climate-activists-shut-down-tar-sands-pipelines-2039873407.html

13. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang