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KLIMA/701: CO2 - sanktions- und steuerfreie Förderung ... (SB)



Luftaufnahme eines Ausschnitts der kanadischen Ölsandgewinnung mit Absetzbecken, Tagebau und industriellen Installationen - Foto: Dru Oja Jay, Dominion / Howl Arts Collective, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Stinkt mehr als angegeben Foto: Dru Oja Jay, Dominion / Howl Arts Collective, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Die CO₂-Emissionen aus den Teersand-Abbaugebieten Kanadas sind teils doppelt so hoch, wie von der Industrie angegeben und nach internationalen Regeln erfaßt wurden. Da paßt es wie die Faust aufs Auge, daß der neue Ministerpräsident der erdölreichen kanadischen Provinz Alberta, in dem jene Teersande abgebaut werden, ein Lobbyist der Erdölindustrie ist und angekündigt hat, diese fördern zu wollen.

Forscherinnen und Forscher mehrerer kanadischer Institutionen sind mit dem Flugzeug unter anderem über die Tagebaugebiete Albertas, in denen Teersande zwecks Gewinnung von Bitumen abgebaut werden, geflogen und haben dabei den CO₂-Gehalt gemessen. Teilweise lag die Konzentration um 123 Prozent über den offiziellen Abschätzungen. Die Ergebnisse wurden am 23. April im Wissenschaftsjournal "Nature Communications" veröffentlicht. [1]

Mit rund 140.000 Quadratkilometern nehmen die drei Erdölfördergebiete Albertas eine größere Fläche ein als Österreich und die Schweiz zusammen. Im Durchschnitt lagen die real gemessenen Treibhausgasemissionen der Tagebaue 64 Prozent und die der Ölsandoperationen allgemein immerhin noch 30 Prozent über den von der Industrie nach neuesten Kriterien errechneten Daten. Diese setzen sich zusammen aus Messungen von Bodenstationen, basierend auf dem Spritverbrauch, und mathematischen Modellen. Die Angaben umfassen Emissionen aus den Tagebauen, der Verarbeitung der Teersande, ihrer chemischen Bearbeitung wie beispielsweise der Verflüssigung der zähklebrigen Masse und den riesigen Absetzbecken, in denen nicht mehr genutzte Ölschlämme lagern.

Da die Erdöl- und Erdgasbranche weltweit ähnliche Methoden einsetzt, vermutet die Forschergruppe, daß die Berechnungen zu den CO₂-Emissionen grundsätzlich mit einer größeren Unsicherheit behaftet sind als gedacht, und schlägt vor, daß der Weltklimarat (IPCC) neue Richtlinien erläßt, die auch Messungen in der Luft vorschreiben.

Alberta birgt die drittgrößten Erdölvorkommen der Welt. Der Extraktivismus, insbesondere die fossile Energiewirtschaft, macht einen erheblichen Teil von Kanadas Wirtschaftsleistung aus. Die Regierung hat in dem 2015 beschlossenen internationalen Klimaschutzübereinkommen von Paris zugesagt, seine Treibhausgasemissionen von 2005 bis 2030 um 30 Prozent zu verringern. Daß es dieses Ziel einhält, ist angesichts der gegenwärtigen Emissionstrends, aber auch vor dem Hintergrund der realen Messungen durch Environment Canada, äußerst fraglich.

Nicht zu vergessen der Faktor Politik. Mit dem frisch gewählten Ministerpräsidenten Albertas, Jason Kenney von der United Conservative Party, der am 30. April seinen Amtseid ablegen will, wird es voraussichtlich erhebliche Rückschritte beim Umweltschutz geben. So hat er bereits der von dem liberalen Premierminister Justin Trudeau vorgeschlagenen Kohlenstoffsteuer eine Absage erteilt. Das werde das erste sein, was er beschließen wolle, sagte Kenney vergangene Woche Mittwoch auf einer Pressekonferenz. Abgesehen davon will er Trudeau dazu bewegen, die seit Jahren umstrittene Trans Mountain Pipeline weiterzubauen. Über sie soll Erdöl aus Alberta an die Pazifikküste für die Verschiffung nach Übersee gepumpt werden. [2]

Im vergangenen August hatte die kanadische Regierung das Trans-Mountain-Projekt aufgekauft, also faktisch verstaatlicht. Im Gegenzug hatte die Provinzregierung Albertas zugesagt, eine Kohlenstoffsteuer einzuführen und die Emissionen aus dem Ölsandabbau zu begrenzen. Allerdings verzögert sich der Bau der Pipeline aufgrund von Protesten der kanadischen Ureinwohner sowie lokaler und überregionaler Umweltgruppen.

Der Erdölstaat Kanada ist kreuz und quer von Pipelines durchzogen. Darüberhinaus sind ausgedehnte Flächen von der fossilen Energiewirtschaft beherrscht, entweder durch den Tagebau und die Verarbeitung der Ölsande und -schiefer oder durch Fördertürme der zahlreichen Ölbohrstellen, an denen Fracking betrieben wird. Luft, Boden und Wasser werden regelmäßig durch kleinere Leckagen oder größere Ölunfälle kontaminiert. Der Widerstand gegen die Trans Mountain Pipeline hat ihre volle Berechtigung. Zumal die kanadische Regierung sie über das Land der ursprünglichen Bevölkerung ohne deren Einverständnis führt.

Weltweit mußten in den letzten Jahren Faktoren, nach denen die globale Erwärmung berechnet wird, korrigiert werden; in den meisten Fällen waren die Trends zu gering eingeschätzt worden. Die kanadische Studie verdeutlicht, daß die Berechnungen, wieviel CO₂ die Menschheit noch emittieren darf, korrekturbedürftig sind. Das "CO₂-Budget" ist kleiner als angenommen. Es bleibt weniger Zeit als gedacht, bis entweder politisch festgelegte Zielmarken überschritten werden oder gar die Erderwärmung nicht mehr zu bremsen sein wird.


Mit schwarzer Masse beladener Lkw, der eine Staubfahne hinter sich läßt - Foto: CLS Research Office / Quarry of the Ancestors Sep 2009, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Fort Mackay, Alberta. Lkw transportiert Ölsande. Foto: CLS Research Office / Quarry of the Ancestors Sep 2009, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/s41467-019-09714-9

[2] http://www.oilgasdaily.com/reports/New_premier_of_Canadas_Alberta_to_roll_back_environmental_protections_999.html


26. April 2019


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