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KLIMA/706: Erderwärmung - Landverluste ... (SB)



Es wäre ratsam, wenn sich die Kommunen auf einen Meeresspiegelanstieg von knapp zwei Metern bis Ende des Jahrhunderts einstellten. Der Eisverlust der Antarktis und Grönlands ist doch stärker als bisher angenommen. Diese Gefahr sollten die Entscheidungsträger nicht ignorieren, berichtete eine internationale Forschergruppe in den Proceedings of the National Academy of Sciences. [1]

Es könnte zu Problemen kommen, wenn sich die Administration lediglich auf ein mittleres Klimaszenario einstellt. Damit wären die Küstenregionen zwar hinsichtlich der als am wahrscheinlichsten angesehenen Entwicklungen geschützt, aber es blieben durchaus noch erhebliche Risiken, schreiben die Forscher. Wenn beispielsweise die Treibhausgasemissionen weiter steigen wie bisher, wird sich die Erde um bis zu fünf Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen, und das wäre mit einem durchschnittlichen Anstieg des Meeresspiegels um rund zwei Meter bis zum Jahr 2100 und 7,50 Meter bis 2200 verbunden.

Zum Vergleich: Im jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2014 war die Wissenschaft noch von einem Meeresspiegelanstieg von unter einem Meter bis zum Jahr 2100 ausgegangen - im schlechtesten Fall. Das heißt, innerhalb der letzten fünf Jahre haben sich die Veränderungen in den Natursystemen so beschleunigt, bzw. es sind eine Reihe von Beobachtungen und Berechnungen gemacht worden, daß das Worst-case-Szenario von damals heute bereits als Mittelmaß anzusehen ist. Diese Entwicklung würde auch nicht enden, sondern sich im nächsten Jahrhundert weiter fortsetzen - eine Bemerkung, die in den jüngeren Klimasimulationen häufiger gemacht wird.

Am Beispiel der extrem niedrig gelegenen Stadt Miami in Florida läßt sich anschaulich zeigen, welch hoher Aufwand heute schon betrieben wird, um die Verkehrswege um rund einen halben Meter anzuheben und weitere Schutzmaßnahmen gegen das steigende Meer zu ergreifen. Legt man die Geschwindigkeit und Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs zugrunde, wie sie in der aktuellen Studie angenommen werden, dann könnte es sein, daß Miami bereits Mitte des Jahrhunderts trotz der gegenwärtigen Milliardeninvestitionen geräumt werden muß. Das heißt, sogar mit Eindeichungen, erhöhten Verkehrswegen und anderen Schutzmaßnahmen kann man nur einen befristeten Zeitgewinn erringen, am Ende des nächsten Jahrhunderts wäre Florida vom Meer verschluckt.

Doch ohne irgendwelche Anpassungsmaßnahmen würden Miami und Florida, die hier stellvertretend für sämtliche niedrig gelegenen Küsten und flache Inseln weltweit stehen, noch schneller untergehen. Jüngere Forschungen haben gezeigt, daß die westantarktischen Gletscher Pine Island und Thwaites inzwischen fünfmal so viel Masse verlieren wie 1992. Manche Gletscher der Antarktis sind seitdem um 100 Meter ausgedünnt. Auch Grönland verzeichnet erheblich Eismassenverluste. Zu beiden Weltregionen liegen inzwischen genauere Ergebnisse vor als noch vor fünf Jahren.

Wenn sich das Meer die Landfläche holt, müssen die Menschen weichen. Bei einem Meeresspiegelanstieg von zwei Metern könnten bis zu 187 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, heißt es in der Studie. Es ginge eine Landfläche von der Größe Indonesiens verloren. Teilweise handele es sich um wertvolles Agrarland.

Der Forschergruppe ging es um eine genauere Bewertung des Meeresspiegelanstiegs insbesondere mit Blick auf den 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats. Die gesellschaftlichen Folgen einer so weitreichenden Veränderung der physikalischen Größen sind noch viel schwerer zu bestimmen. Wer hätte sich vor 20 Jahren vorstellen können, daß die Europäische Union Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken läßt und daß private Initiativen zur Rettung der Menschen des Schleusertums bezichtigt werden? Und wer hätte angenommen, daß die USA eine Mauer zu Mexiko bauen und Flüchtlinge aus zentralamerikanischen Dürreregionen internieren, wobei die Kinder gewaltsam von ihren Eltern getrennt werden? Wer hätte damals geahnt, daß die EU heute vor einer schweren Zerreißprobe steht und die USA eine Politik betreiben, die mehr denn je die eigene militärische und wirtschaftliche Dominanz auch gegenüber den Verbündeten zur Durchsetzung der eigenen hegemonialen Interessen ins Spiel und damit die Welt an den Rand eines großen Kriegs bringt?

Die Aussichten, daß die Menschen in 20, 40, 60 oder 80 Jahren, wenn aufgrund der Klimawandelfolgen die allgemeine Not wächst, nicht wie bisher auf die Wahrung ihrer eigenen Vorteile bedacht sind, können in Anbetracht der gegenwärtigen Vorverteilungskämpfe um die letzten Überlebensressourcen und der menschenvernichtenden Hunger- und Flüchtlingspolitik nur als düster bezeichnet werden.


Fußnote:

[1] https://www.pnas.org/content/pnas/early/2019/05/14/1817205116.full.pdf

23. Mai 2019


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