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KLIMA/727: Grenzen - die eigene Zukunft sichern ... (SB)



Die USA schotten sich weiter ab und haben das dritte Jahr in Folge die Zahl der Flüchtlinge, die sie aufzunehmen bereit sind, reduziert. Die Europäische Union wird unter der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Grenzschutzagentur Frontex weiter ausbauen und sich ebenfalls stärker abschotten. Gleichzeitig brechen in immer mehr Ländern Konflikte aus. Die werden zwar auch von außen initiiert, aber vor allem sind sie Ausdruck einer sich weltweit zuspitzenden sozioökonomischen Lage. Und das alles, obwohl sich der Klimawandel erst noch entfaltet und künftig einen viel größeren Druck auf die Überlebensressourcen ausüben und damit konfliktverstärkend wirken wird als heute. Angesichts dessen ist die in Deutschland geführte Nachhaltigkeitsdebatte mit der Frage nach dem Konsumstil, den jemand pflegt oder nicht pflegt, ein Luxusanliegen.

Die Ankündigung der US-Regierung am 2. November 2019, im Haushaltsjahr 2020 höchstens 18.000 Flüchtlinge aufzunehmen, werde viele tausend höchst verletzliche Menschen auf der Strecke lassen, eine kontraproduktive Botschaft an andere Länder senden und eine von drei möglichen Lösungen, die Flüchtlinge haben, erodieren, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit. [1]

Die USA sind nicht das einzige Land, das gegenüber Menschen, deren Not zumindest teilweise klimawandelbedingt ist, eine Mauer errichtet. Von den laut UNHCR weltweit 26 Millionen Flüchtlingen dürfen sich nur ein halbes Prozent in einem anderen Land ansiedeln. Das hat nicht nur, aber auch mit der Politik der Europäischen Union zu tun, die nach den USA ein zweiter wichtiger Akteur ist, der die Verantwortung für zwei Jahrhunderte Treibhausgasemissionen trägt, von deren klimatischen Schadensfolgen die Menschen im Globalen Süden am schwersten getroffen werden.

Die designierte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will für Frontex in den nächsten fünf Jahren 10.000 Beamtinnen und Beamte einstellen; außerdem sollen diese auch auf dem Territorium der EU-Mitgliedstaaten tätig sein, berichtete die "Welt". [2]

Außerdem hatte von der Leyen den Griechen Margaritis Schinas mit dem Geschäftsbereich "Schutz unserer europäischen Lebensweise" betraut. Erst nachdem es Kritik unter anderem vom Europaparlament und dem scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker an dieser Bezeichnung hagelte, änderte nach langem Zögern von der Leyen in der vergangenen Woche den Namen des Ressorts in "Förderung unserer europäischen Lebensweise". [3]

Das Wort "Schutz" hätte dann doch zu unverhohlen vor Augen geführt, welche Aufgabe der neue EU-Kommissar, der zugleich einer der Vizepräsidenten der Kommission wird, übernehmen soll, auch wenn in orwellianischer Sprachverdrehung und Wortumdeutung etwas anderes zu suggerieren versucht wird. Der Name des Ressorts lag zu dicht an der Forderung von extremen Rechten nach "Schutz des christlichen Abendlandes". Gut vorstellbar, daß sich von der Leyen mit der ursprünglichen Wortwahl die Zustimmung von osteuropäischen Ländern wie Polen und Ungarn für ihre Ernennung erkauft hat. Inhaltlich dürfte sich an der Aufgabe des EU-Kommissars indessen nichts ändern.

Gegenwärtig brechen weltweit mehr und mehr Konflikte aus, von Bolivien und Chile über Libyen und Syrien sowie Iran und Irak bis nach Hongkong, um nur einige zu nennen und ohne deswegen die vielen anderen, hier unerwähnt bleibenden Konflikte als weniger bedeutsam darstellen zu wollen. Jeder Konflikt ist einzigartig, doch zusammen erwecken sie den Eindruck, daß sie den Anbruch einer neuen, unruhigen Zeit verkündigen. Dabei hat schon vor vier Jahren das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, vom gegenwärtig stattfindenden dritten Weltkrieg gesprochen:

"Es ist eine Art dritter Weltkrieg, der stückweise geführt wird, und im Bereich der globalen Kommunikation nimmt man ein Klima des Krieges wahr." [4]

Seitdem haben sich die Lebensverhältnisse vieler Menschen weiter verschlechtert, sind vielerorts Unruhen ausgebrochen, wird sowohl von den führenden als auch aufstrebenden Militärmächten versucht, eine geostrategisch vorteilhafte Position zu erringen, werden über einen Kurznachrichtendienst Androhungen zur völligen Zerstörung ganzer Staaten verbreitet, ganz nach dem Motto, daß ein paar Worte mehr zu diesem Thema auch gar nicht nötig sind.

Wenn nun mehr als 11.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief schreiben, daß sie die "moralische Pflicht" haben, "zu sagen, wie es ist", nämlich daß sich die Welt in einem "Klimanotstand" befindet [5], und der Weltklimarat (IPCC) bereits im vergangenen Jahr festgestellt hat, daß bis zum Jahr 2030 eine Kehrtwende eingeleitet und die Treibhausgasemissionen drastisch verringert werden müssen, aber die Welt ganz offensichtlich auf eine viel heißere Zeit zumarschiert, dann wird klar, daß sich die reichen Länder auf eine hohe Zahl an Flüchtlingen einstellen müssen.

Menschen verlassen ihre Heimat in der Regel nicht freiwillig. Auch nicht diejenigen, deren Leben nicht wie das vieler anderer Flüchtenden unmittelbar bedroht ist und die "nur" aus wirtschaftlichen Gründen fliehen. In den nächsten Jahren werden sich die Lebensverhältnisse für viele Menschen des Globalen Südens und auch Nordens verengen. Das ist eine der Botschaften, die von der Wissenschaft als sehr wahrscheinliche Folge der allgemeinen Erderwärmung vorausgesagt wird. Die verheerenden Wald- und Buschbrände im vergangenen Jahr in Sibirien und 2019 in Brasilien, Bolivien, Kalifornien und Australien, und auf der anderen Seite der außergewöhnlich heftige Wirbelsturm, der weite Gebiete von Mosambik, Malawi und Simbabwe unter Wasser gesetzt hat, passen exakt in das Szenario, das die Klimawissenschaft entwirft und von dem sie sagt, daß dies viele Menschen zur Flucht zwingt.

Die Regierungen der USA, der EU-Staaten und anderer Länder haben längst begonnen, Mauern hochzuziehen, Grenzwälle zu errichten und die "eigenen" Bevölkerungen ideologisch auf die neue Zeit einzustimmen, also auf die angeblich unvermeidliche Verteidigung oder den Schutz der eigenen Lebensweise gegenüber "den anderen". Unterdessen wird in den gegenwärtig bevorteilten Regionen der Welt wie Deutschland über Fragen des Lebensstils diskutiert, als seien der kompostierbare Kaffeebecher, das Verbot von Einkaufsplastiktüten und das "nachhaltige" Reisen in fernen Ländern immerhin schon Schritte in die richtige Richtung. Dabei wird übersehen, daß diese Lösungsangebote der Werkstoff sind, mit dem sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung neu erfindet, um das immer gleichbleibende Interesse im nächsten Zyklus der Verwertung des Menschen und seiner Mit- und Umwelt zu sichern.


Fußnoten:


[1] https://www.unhcr.org/news/press/2019/11/5dbd87337/unhcr-troubled-latest-refugee-resettlement-cut.html

[2] https://www.welt.de/print/die_welt/article197099953/Von-der-Leyen-will-eine-harte-europaeische-Migrationspolitik.html

[3] https://www.spiegel.de/politik/ausland/migration-ursula-von-der-leyen-aendert-umstrittenen-namen-von-eu-ressort-a-1296296.html

[4] https://www.welt.de/politik/ausland/article142060798/Eine-Art-dritter-Weltkrieg-ist-im-Gang.html

[5] https://scientistswarning.forestry.oregonstate.edu/


18. November 2019


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