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RESSOURCEN/098: Indien legt hohes Agrosprit-Ziel fest (SB)


20 Prozent Agrospritanteil bis 2017

Indisches Kabinett genehmigt Nationalen Biosprit-Plan


Ähnlich wie Wasser, Nahrung und Dünger wird auch landwirtschaftliche Fläche zu einer immer knapperen Ressource. Der Expansion des Anbaus von Nutzpflanzen und der Weidewirtschaft sind natürliche Grenzen gesetzt. Obwohl weltweit vermutlich über 950 Mio. Menschen regelmäßig Hunger leiden und über drei Milliarden Menschen verarmt sind, fördern verschiedene Regierungen den Anbau von Pflanzen, die nicht für den Verzehr, sondern für die Herstellung von Treibstoff aus Ethanol und Biodiesel gedacht sind. Die Europäische Union könnte inzwischen von ihrem Ziel, bis 2020 zehn Prozent des Treibstoffverbrauchs durch Agrosprit zu bestreiten, abrücken, der Widerstand im Europäischen Parlament und anderen Institutionen gegen den ursprünglichen Plan wächst. Hintergrund ist der nicht mehr zu leugnende Zusammenhang zwischen Lebensmittelverteuerung und Agrospritzielen in Europa, den USA und anderen Ländern.

Die US-Regierung ignoriert die weltweite Nahrungsnot und beharrt darauf, den Agrospritanteil in den nächsten Jahren laufend höherschrauben zu wollen. Das gleiche muß allerdings auch von der indischen Regierung gesagt werden. Am vergangenen Donnerstag teilte sie mit, daß bis 2017 ein Agrospritanteil von 20 Prozent am landesweiten Treibstoffverbrauch angestrengt wird [1].

Indien, ein sogenanntes Schwellenland, verzeichnet ein konstantes Wirtschaftswachstum. Indische Unternehmen drängen auf den Weltmarkt und fangen an, sich andere Unternehmen einzuverleiben. Der Wohlstand im Land wächst. Er wächst jedoch nicht auf breiter Front. Vielmehr bildet sich eine extrem reiche Oberschicht heraus, hinzu kommt eine neue Mittelschicht, aber ein großer Teil der Inder, insbesondere unter der Landbevölkerung, bleibt in Armut oder versinkt noch tiefer darin. Diese Menschen werden niemals in den Genuß kommen, ein eigenes Auto zu besitzen, und werden somit auch nur die negativen Folgen der Agrospritpolitik ihrer Regierung spüren. Fast 500 Millionen Inder gelten als arm.

Die indische Regierung will die Anbaufläche für die ölhaltige Purgiernuß (Jatropha curca) von gegenwärtig schätzungsweise 650.000 Hektar auf elf Mio. Hektar erweitern. Da die für den Verzehr ungeeignete, strauchartige Pflanze auf kargen Böden der Tropen und Subtropen gedeiht, sogar drei Dürresommer überstehen kann, soll sie in Indien auf "wasteland", also angeblich ungenutztem Land angebaut werden. (Davon hat Indien nach Regierungsangaben 55 Mio. Hektar.)

So lautet das Versprechen, das jedoch, wie in vielen Ländern bewiesen, nichts mit der Realität zu tun hat. Jatropha kann zwar mit wenig Wasser auskommen, aber die Pflanzen gedeiht mit Wasser und Dünger sehr viel besser. Es hat sich in mehreren Ländern herausgestellt, daß Jatropha-Plantagen entweder auf fruchtbaren Böden eingerichtet werden, wodurch der Anbau von Nutzpflanzen verdrängt wurde, oder aber auf kargen Böden, die jedoch bis dahin von der örtlichen Bevölkerung als Weideland oder zum Sammeln von Eßbaren und Holz genutzt wurden. Der Jatropha-Anbau hat zur Vertreibung von Gemeindeland und somit faktischen Enteignung von Dorfbewohnern geführt. Das gleiche blüht nun den Indern. Sollte das Ziel, elf Millionen Hektar Jatropha anzubauen, erreicht werden, so entspräche der Ertrag eines Jahres lediglich einem Tag des globalen Erdölbedarfs. Der Autokonzern Daimler und der Pflanzenschutzhersteller Bayer CropScience beteiligen sich an dem Jatropha-Anbau.

Rund 70 Prozent seines Treibstoffbedarfs muß Indien durch Importe abdecken, und der Spritbedarf wächst um sieben Prozent pro Jahr. Deshalb argumentiert die Regierung, daß sie auf Ethanol und Biodiesel nicht verzichten kann. Sie hat die Raffinerien angewiesen, nahezu landesweit dem Treibstoff fünf Prozent Agrosprit beizumischen. Ab Oktober dieses Jahres, wenn die Zuckerrohrernte eingefahren wird, sollen zehn Prozent erreicht werden. Im Jahr 2017 soll der Wert dann bei 20 Prozent liegen.

Die ganze Entwicklung ist höchst bedenklich. Im Juli dieses Jahres teilte die britische Transportministerin Ruth Kelly mit, daß laut einer Bewertung der geplanten Einführung von Biotreibstoffen in der Europäischen Union allein in Indien 10,7 Mio. Einwohner zusätzlich in Armut geworfen würden, da die Lebensmittelpreise stiegen. Um wieviel mehr dürfte die Zahl der Armen wachsen, wenn Indien seine Agrospritziele verwirklicht? Rund eine halbe Milliarde Einwohner des Subkontinents gelten bereits als arm, was bedeutet, daß sie am Existenzminimum leben.

Das Ziel eines 20prozentigen Agrospritanteils im dem neuen Nationalen Biospritplan Indiens, den das Kabinett am Donnerstag verabschiedet hat [2], kommt nicht überraschend. Es war schon vor einigen Jahren ins Auge gefaßt worden, als Ziel wurde damals sogar das Jahr 2012 angepeilt. Doch gab es da noch nicht den enormen Preisanstieg für Energie und Nahrung, wie er 2007 und Anfang 2008 weltweit verzeichnet wurde. Nachdem es in dieser Zeit in mehreren Dutzend Ländern zu Hungerrevolten und -demonstrationen kam, warnte selbst die Weltbank vor den verheerenden Folgen der Entwicklung und gab die Einschätzung bekannt, daß dadurch 100 Millionen Menschen zusätzlich verarmt sind.

Indien will keine Nahrungspflanzen zu Biodiesel verarbeiten. Aber nur weil Jatropha giftig für Tier und Mensch ist, bedeutet das nicht, daß die Pflanze nicht zur Armutsförderung beitragen kann. Der Biospritplan der indischen Regierung richtet sich gegen das Heer an verarmten Landbewohnern. Selbst wenn einige von ihnen bei der Jatrophanuß-Ernte eingesetzt würden, so wäre damit die Armut genauso wenig beseitigt wie beispielsweise bei den Kindern und Erwachsenen, die knochenharte Arbeit in indischen Steinbrüchen leisten und nur so wenige Rupien erhalten, daß sie ihre Existenz sichern können, niemals aber so viel, daß sie auch nur die geringste Aussicht darauf hätten, den elenden Produktionsbedingungen jemals zu entkommen. Eben weil Jatrophanüsse nicht maschinell geerntet werden können, sondern mühsam mit der Hand gepflückt werden müssen, sind die Plantagenbesitzer auf besondere Weise bestrebt, die Lohnkosten zu drücken. Gleiches gilt für die Jatrophahändler, zu denen die Bauern ihre Ware bringen. Auch sie halten den Abnahmepreis für die Nüsse möglichst niedrig.

Mit der Verabschiedung des Agrospritplans demonstriert die indische Regierung, daß ihre Wirtschaftspolitik nur einem Teil der Bevölkerung zugutekommt, während Hunderte Millionen Einwohner weiterhin unter Existenznot leiden.


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Anmerkungen:

[1] http://www.planetark.org/dailynewsstory.cfm/newsid/50236/story.htm

[2] http://www.thedailystar.net/story.php?nid=54580

15. September 2008