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RESSOURCEN/157: Sachzwanglogik - Fracking in der EU aufgrund Krim-Krise? (SB)


Krise in der Ukraine - Rückenwind für Befürworter des Frackings in Deutschland und der übrigen EU



Die brisante politische Krise in der Ukraine nach der Vertreibung des gewählten, aber in der Bevölkerung offensichtlich ungeliebten Präsidenten Viktor Janukowitsch und die anschließenden militärischen Manöver Rußlands dürften auch auf die Anti-Fracking-Bewegung in Deutschland Einfluß haben. Selbst wenn ein Waffengang zwischen der Ukraine und Rußland abgewendet werden kann, wird die Bundesregierung voraussichtlich mit noch mehr Nachdruck als sowieso schon versuchen, die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gas- und Erdölimporten zu reduzieren. Die machen rund ein Drittel des hiesigen Verbrauchs aus und könnten dauerhaft nur bedingt ersetzt werden.

Auf der anderen Seite ist Rußland wirtschaftlich zutiefst abhängig von seinen Rohstoffexporten und hat gar kein Interesse daran, den Westen durch eine Verknappung der Ausfuhren unter Druck zu setzen. Jede Ambition in Richtung Eskalation der Krise in der Ukraine, die womöglich zu Lieferengpässen in Westeuropa führen könnte, hieße, am eigenen Ast zu sägen. Das gilt für Rußland sicherlich noch mehr als für Deutschland.

Seit langem betrachten politische Analysten und Sicherheitsexperten die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdöl und Erdgas als strategische Schwäche, wobei sich von Rußland abzuwenden nicht die einzige vorstellbare Antwort auf diese Situation ist. Teile der deutschen Politik und Wirtschaft sind an guten Beziehungen zu Rußland interessiert und streben eine enge Anbindung durch Handel an. Zu dieser Gruppierung zählt beispielsweise der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der Deutschland zu einer direkten Gaspipeline aus Rußland via Ostsee verholfen hat.

Bislang gibt Rußland keinen Anlaß zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit seiner Lieferungen. Mit Blick auf die Lage in der Ukraine versicherte am Montag die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, Tanja Alemany Sanchez de León, laut einem Bericht des Deutschlandfunks: "Derzeit gibt es aber auch überhaupt keine Anhaltspunkte für Liefereinschränkungen gleich welcher Art. Das gilt für Gas ebenso wie für Rohöl." [1]

In Anbetracht der aktuellen Krise dürfte die Bundesregierung dennoch eher geneigt sein, die heimischen Gasvorräte zu erschließen. Noch vor zehn Jahren stammten 18 Prozent des geförderten Gases aus deutschen Lagerstätten. Bis zum Jahr 2012 war der Wert kontinuierlich auf nur noch elf Prozent gesunken. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) untersucht seit einiger Zeit das Potential unkonventioneller Erdgaslagerstätten (vor allem in Schiefergestein) und schätzt, daß Deutschland damit seinen Gasbedarf zehn Jahre lang decken könnte.

Um die gasfördernden Schichten in mitunter mehreren tausend Metern Tiefe zu erschließen, müßte die umstrittene Methode des Frackings eingesetzt werden. Dabei wird eine zunächst vertikal angesetzte Bohrung horizontal mitten in das gashaltige Gestein weitergeführt. Das wird dann regelrecht aufgebrochen, zunächst mit Hilfe einer Perforationskanone, mit der Löcher in die Bohrwandung und das Gestein geschossen werden, anschließend mit einem unter hohem Druck in den Untergrund gepreßten Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien. Durch das Aufbrechen (fracturing) kann das Gas (oder Erdöl) zusammenströmen und ans Tageslicht gefördert werden.

Die Technik ist umstritten, weil dabei grundwasserführende Schichten durchbohrt werden, so daß die Gefahr einer Kontamination mit den Chemikalien, aber auch mit aufsteigendem Methan entlang des Bohrschachts besteht. Zudem werden dabei große Mengen Wasser verbraucht, und ein erheblicher Teil der Chemikalien bleibt im Untergrund. Das abgepumpte Produktionswasser wiederum muß aufwendig gereinigt werden.

Durch Fracking wurden schon Erdbeben ausgelöst, und in den Fördergebieten steigt die Luftverschmutzung an. Mitunter werden Radionuklide aus dem Ausgangsgestein emporgefördert, die sich akkumulieren und Konzentrationen annehmen können, die eine Behandlung für Strahlenmaterial erforderlich machen.

In den USA, wo das Fracking einen regelrechten Gas- und Erdölboom ausgelöst hat, gibt es Landschaften, die von oben aussehen, als hätten sie Ausschlag. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die "kranken" Flecken als Bohrstellen, stellenweise werden pro Quadratkilometer bis zu fünf Bohrlöcher ausgebracht. Zusammen mit den Zufahrtswegen und einer Pipeline, in die das geförderte Gas eingespeist wird, verändert das eine Region fundamental. Wo sich zuvor eine womöglich weitgehend naturbelassene oder zumindest kaum von menschlichen Aktivitäten geprägte Landschaft erstreckte, befindet sich nun eine Art Industriegebiet der Gasförderung.

Auch das gilt es zu bedenken, falls Deutschland im großen Umfang in die unkonventionelle Gasförderung einsteigen sollte. Zur Zeit wird an den Börsen noch reichlich Gas gehandelt, so daß man hierzulande mit keinem Lieferengpaß rechnet, selbst wenn der Nachschub aus Rußland aus welchen Gründen auch immer versiegen würde. Wenn jedoch die Prognosen zutreffen, daß der vom Fracking ausgelöste Gas- und Erdölboom in den USA bereits wieder im Begriff ist abzuflauen, würde sich die zunehmende Verknappung auf den Weltmarkt und damit auch auf Deutschland auswirken.

Jedenfalls bereitet sich die Europäische Union auf verschiedenen institutionellen Ebenen (Parlament, Kommission, Rat) gegenwärtig gesetzgeberisch darauf vor, Fracking im Unionsgebiet zuzulassen. Der Umweltausschuß des EU-Parlaments hat sich sogar dagegen ausgesprochen, daß bereits für die Phase der Erkundung Umweltgutachten erstellt werden müssen. [2]

Bei einer Zuspitzung des Konflikts zwischen den gegenwärtigen Machthabern in der Ukraine und der russischen Regierung und ihren Verbündeten innerhalb der Ukraine werden sich die Bundesregierung und die Länderregierungen solchen Bestrebungen Brüssels vermutlich weniger verschließen denn je. Ob da auch die Bevölkerung mitziehen wird, steht auf einem anderen Blatt. Nicht ausgeschlossen, daß der vermeintliche Sachzwang, verstärkt eigenes Gas fördern zu müssen, um von Rußland freizukommen, allgemeine Akzeptanz findet.

Wäre es darum nicht um so wichtiger, die Frage der zukünftigen Energieversorgung Deutschlands nicht auf die reinen Umweltaspekte zu begrenzen und sie mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Rahmen, in dem die Produktion und der Verbrauch von Energie stattfindet und in diesem Zusammenhang die Arbeit organisiert wird, zu verbinden?


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/energieversorgung-keine-anhaltspunkte-fuer.769.de.html?dram:article_id=279052

[2] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-155.html

4. März 2014