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RESSOURCEN/184: Indonesien zur Waldrodung genötigt (SB)


Bergbau statt Waldschutz

Indonesien kann Erbe der Diktatur nicht ausschlagen

Konzern droht mit Klage vor internationalem Schiedsgericht


Die Europäische Union will mit Kanada das Freihandelsabkommen CETA und mit den USA TTIP schließen. Große Teile der Bevölkerung in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten lehnen das ab. So fanden am Samstag in mehreren deutschen Städten Massendemonstrationen statt, an denen sich nach Veranstalterangaben rund 320.000 Menschen beteiligten. Neben einer Vielzahl von höchst umstrittenen Details richtet sich die Kritik grundsätzlich gegen die geplante Verschiebung der Einflußnahme weg von den Regierungen bzw. dem Souverän hin zu den Unternehmen.

Am Beispiel eines Abkommens, das die frühere indonesische Militärregierung mit einem australischen Bergbaukonzern geschlossen hat, wird deutlich, auf was ein Freihandelsabkommen wie CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement - Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership - Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) hinauslaufen wird.

Anfang der Nuller Jahre gehörte der in Australien gemeldete Konzern Newcrest Mining zu einer Gruppe von dreizehn Unternehmen, die von Indonesien Bergbaulizenzen erhielten. Die frühere Militärregierung hatte es Newcrest Mining gestattet, in einem ökologisch wertvollen Waldgebiet Tagebau zu betreiben. 1998 wurde die Regierung zum Rücktritt gezwungen, und innerhalb eines Jahres verabschiedete ihre Nachfolgerin ein Waldschutzgesetz. Damit würde die Zerstörung von Wald durch die Bergbauaktivitäten eigentlich verhindert. Wie die Website BuzzFeed News [1] berichtete, beharrt Newcrest Mining jedoch auf seine Schürfrechte und droht damit, Klage bei einem internationalen Schiedsgericht (ISDS - investor-state dispute settlement) einzureichen, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden.

Hier kommen CETA und TTIP ins Spiel. Die ISDS-Schiedsgerichtsbarkeit, die weltweit bereits in mehrere tausend Handels- und Investitionsverträge Eingang gefunden hat, soll auch für das Abkommen zwischen der EU und Kanada bzw. EU und USA gelten. Im Fall des Konflikts Newcrest Mining versus Indonesien geht es um die Frage, inwieweit eine Regierung an die vertraglichen Abmachungen einer Vorgängerregierung gebunden ist bzw. ob eine Regierung überhaupt Gesetze erlassen darf, die - in diesem Fall - vertraglich zugesicherten Bergbau einschränken oder verbieten. Bei CETA und TTIP geht es darüber hinaus nicht nur um eine rechtliche Handhabe, auf die Einhaltung von Verträgen zu pochen, sondern auch darum, "indirekte Enteignungen" einklagen zu können.

Das könnte bedeuten, daß einem Unternehmen, dem die Evaluation von Ressourcen wie beispielsweise Erdgasfeldern (Stichwort Fracking) gestattet wurde und das in seine Voruntersuchungen investiert hat, nicht verweigert werden kann, bei einem positiven Befund den nächsten Schritt zu gehen und die Ressource auch zu fördern. Würde eine Regierung dies untersagen, drohte ihr eine Klage wegen entgangener Gewinnerwartungen bzw. "indirekter Enteignung".

Der 1998 abgesetzte indonesische Langzeitpräsident Haji Mohamed Suharto galt als ausgesprochen korrupt, seine Regierung hat auf die Belange von Minderheiten wie indigene Bevölkerungen so gut wie keine Rücksicht genommen. Die Vergabe von Bergbaulizenzen inmitten von Waldflächen, in und von denen die Menschen lebten, war für das damalige repressive Regime offensichtlich kein Problem. Nach internationalem Recht hat die neue Regierung angeblich nicht das Recht, die unter der Militärregierung geschlossenen Verträge für ungültig zu erklären. Diesen Standpunkt vertritt der Anwalt und ISDS-Experte Jan Paulsson gegenüber BuzzFeed News.

Die Leute hätten bereits unter dem autoritären Regime gelitten, so Paulsson. Die Auswirkungen aus den Verträgen, die das Regime eingegangen ist, sei "eine weitere Sache, unter der sie zu leiden haben". So wie die vom Diktator getöteten Menschen tot blieben, existierten nun mal die zu seiner Zeit getroffenen schlechten Verträge.

Diese Einschätzung der Rechtslage dürfte weitgehend derjenigen entsprechen, die sich bei einem internationalen Schiedsgerichtsverfahren durchsetzen würde. Das heißt, diejenigen Unternehmen, die wissentlich mit einem Diktator paktiert haben, profitieren weiterhin von der Kumpanei, auch wenn dieser längst gestürzt wurde und das Volk seine Angelegenheiten zumindest ein Stück weit in die eigene Hand genommen hat. Das bedeutet jedoch, daß die schweren Menschenrechtsverletzungen, die unter Suharto an den Bewohnern der unter anderem für den Bergbau gerodeten Wälder begangen wurden, fortgesetzt werden.

Ein internationales Schiedsgericht könnte Indonesien zwingen, Menschenrechtsverletzungen zu begehen oder aber Newcrest zu entschädigen. Das liefe auf etwas Ähnliches hinaus, denn auch andere Unternehmen drohen der Regierung, die sich dann genötigt sehen könnte, beispielsweise Sozialprogramme zu streichen, Steuern anzuheben, etc. Wie der frühere indonesische Umweltminister M.S. Kaban gegenüber BuzzFeed News berichtete, würden sich die Klagen der Minengesellschaften auf eine Entschädigungssumme von 22,7 Milliarden Dollar belaufen. Das entspricht ungefähr der Hälfte des gesamten Haushalts Indonesien aus dem Jahre 2003.

Indonesien hat bereits eine Klage vor einem internationalen Schiedsgericht gegen das US-amerikanische Geothermieunternehmen Karaha Bodas verloren. Dessen Aktivitäten waren nach der asiatischen Finanzkrise 1997 beendet worden. Das Gericht sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 261 Mio. Dollar zu, hauptsächlich aufgrund entgangener Gewinnerwartungen. Kein Wunder, daß Indonesien bereit ist, an bestimmten Stellen den Forderungen der Bergbauunternehmen, auch wenn sie einst an der Seite von Suharto gegen die Bevölkerung paktiert haben, nachzugeben. Beispielsweise wurde im Jahr 2004 Newcrest und anderen Unternehmen gestattet, in einem der entlegensten und unversehrtesten Ökosysteme des Inselstaats Tagebau zu betreiben.

Rechtsanwalt Poulsson begründet seinen Standpunkt damit, daß, wenn man die von Suharto geschlossenen Verträge nicht anerkenne, dies die Handelssicherheit zerstören würde. Eine solche Rechtsauffassung ist längst auch in Deutschland, der EU im allgemeinen, den USA und Kanada verbreitet. Mit CETA und TTIP würde sie nicht eingeführt, aber bestätigt, befestigt und sogar weiter ausgebaut. Mit der Vereinbarung von Lock-in- bzw. Ratchet-Klauseln sollen einmal getätigte Deregulierungen und Privatisierungen nie wieder rückgängig zu machen sein, und mit der "regulatorischen Kooperation" werden Gesetzentwürfe im Sinne des Freihandelsabkommens TTIP von Vertretern beiderseits des Atlantiks sowie Wirtschaftslobbyisten (stakeholders) geprüft und vorformuliert. Sie brauchen dann nur noch von den Parlamenten abgenickt zu werden.

Somit bewertet dieses Recht die Sicherheit des Handels höher als die gefährdete Sicherheit der Bewohner der von Rodung und Bergbauaktivitäten betroffenen Naturschutzgebiete. Und auch das Recht zukünftiger Generationen auf eine lebenswerte Umwelt wird dem Recht auf freien Handel untergeordnet. Indonesien wie auch andere südostasiatische Länder verzeichnen einen hohen Waldverlust durch Bergbau, die Ausdehnung der Städte ins Umland und nicht zuletzt die Transformation ursprünglichen Walds in Plantagen und andere landwirtschaftliche Flächen.

Wälder sind jedoch eine wichtige Senke für anthropogene Treibhausgasemissionen und stellen nach dem Phytoplankton der Ozeane die zweitwichtigste Quelle zur Freisetzung von Sauerstoff dar. Werden die Wälder weiter in hohem Tempo abgeholzt, wäre das ein Faktor, durch den die globale Erwärmung, die bereits beschleunigt abläuft, nochmals Schub erhielte, und sich die Atmosphärenzusammensetzung deutlicher als bisher veränderte. Aber solange der Handel stabil bleibt ...


Fußnoten:

[1] https://news.mongabay.com/2016/09/revealed-australian-miner-used-arbitration-threat-to-upend-indonesian-environmental-law/

20. September 2016


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