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RESSOURCEN/209: Raub und Beute - geteilter Verzicht ... (SB)



Obgleich 80 bis 90 Prozent der weltweit bekannten Erdölreserven nicht gefördert werden dürfen, wenn man rechnerisch die globale Erwärmung ausbremsen will, hat die Regierung Ecuadors vor kurzem die zweite Phase der Erdölbohrungen im Yasuní-Nationalpark eingeleitet. Damit wird nicht nur die globale Erwärmung befeuert, sondern auch das Leben bzw. Überleben zweier Indianerstämme sowie eines einzigartigen biologischen Hotspots im Amazonas-Regenwald gefährdet.

Vor einigen Jahren hatte es Deutschland in der Hand gehabt, sich für das innovative Klimaschutzkonzept, wonach die Weltgemeinschaft Ecuador dafür entschädigt, daß es das Erdöl im Yasuní-Nationalpark im Boden läßt, stark zu machen. Ein entsprechender Vorschlag war 2007 von Ecuadors Präsident Rafael Correa unterbreitet worden. Demnach wäre sein Land von der Weltgemeinschaft für mindestens 50 Prozent des Werts, den das Erdöl auf dem Weltmarkt gehabt hätte, entschädigt worden. Mit dem Geld wären unter treuhänderischer Aufsicht der Vereinten Nationen Projekte beispielsweise zum Ausbau von erneuerbaren Energien und zur Wiederaufforstung finanziert worden. Nachdem sich die deutsche Regierung, vertreten durch den damaligen Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), von dieser Idee verabschiedet hatte, sahen sich auch andere Länder in ihrer Skepsis bestätigt und waren nicht mehr zu dieser Art von Klimaschutzmaßnahme bereit.

Das im Nationalpark geförderte Erdöl will Ecuador nicht selbst verbrauchen, sondern vorwiegend exportieren, was sich dann in der Klimabilanz anderer Länder niederschlägt. Die Gesamteinsparung an CO2-Emissionen durch die sogenannte Yasuní-Initiative wäre global gesehen nicht entscheidend. Auf der anderen Seite dürfte man sie auch nicht gänzlich vernachlässigen, denn dadurch hätte man das Äquivalent zum jährlichen CO2-Ausstoß ganz Italiens (mehr als 400 Mio. Tonnen) einsparen können.

Nun berichtet die Internetseite amerika21 [1], daß die staatliche ecuadorianische Erdölgesellschaft Petroamazonas in einem neuen Teil des Fördergebiets "Block 43" innerhalb des geschützten Yasuní-Nationalparks weitere Bohrungen ausbringen will. Das Volumen jenes neuen Ölfelds mit der Bezeichnung Tambococha-2 wird auf 287 Millionen Barrel Rohöl geschätzt, das des übergreifenden Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Projektes (ITT) auf insgesamt 1,7 Mrd. Barrel. Das wiederum macht 40 Prozent der gesamten Erdölreserven Ecuadors aus. Zum Vergleich: Kanada hat schätzungsweise das Hundertfache an Reserven des ITT-Projekts.

Über dem neuen Ölfeld sollen in den nächsten Jahren vier Plattformen und 97 Förderbrunnen angelegt werden, berichtete die Organisation Amazon Watch [2]. Petroamazonas hat versprochen, das Yasuní-Rohöl mit möglichst geringen Umweltauswirkungen und unter Verwendung der besten verfügbaren Technologien zu fördern. Aber versprechen das nicht alle Erdölgesellschaften?

Vielleicht sollte man es dem viertärmsten Land Südamerikas nachsehen, daß es sich keine Restriktionen hinsichtlich der Förderung seines wichtigsten Devisenbringers auferlegen will. In der heutigen globalisierten Welt könnte ein Verzicht auf Erdöl, ohne einen adäquaten Ersatz, einen wirtschaftlichen Niedergang einleiten. Ecuador könnte empfindliche Nachteile erleiden, die sich dann im Verlust sozialer Errungenschaften zeigten. Das würde eine Opposition stärken und an die Macht bringen, die sich dann womöglich weniger Zurückhaltung hinsichtlich der Erdölförderung auferlegte.

Vor einigen Jahren erklärte der frühere ecuadorianische Botschafter in Deutschland, SE Jorge Jurado, daß die Regierung nur "in einem ganz winzigen Teil des Yasuní-Nationalparks nach Erdöl bohren" werde, auf weniger als einem Tausendstel der Fläche. [3] Von einem zehnmal so hohen Wert, nämlich "unter ein Prozent der Fläche", berichtete indes die britische Zeitung The Guardian und berief sich dabei auf Angaben Rafael Correas. [4]

Beide Werte erscheinen ziemlich geschönt, wenn man berücksichtigt, daß auch die Zufahrtswege und andere Einrichtungen in Verbindung mit der Ölförderung sowie die Unterbringung der Arbeiter eine Störung bedeuten. Oftmals sind solche Schneisen der Zivilisation Ausgangspunkt für weitere Erschließungsprojekte. Die Lebensweisen der dort beheimateten Waorani (andere Schreibweise: Huaorani), die die Erdölförderung ablehnen, und der beiden nomadischen Völker Tagaeri und Taromenane, die freiwillig isoliert leben wollen, könnten sich massiv ändern, und zwar nicht nur im Falle einer Ölverseuchung ihres angestammten Lebensraums, sondern auch kulturell. Es wäre gewiß nicht das erste Mal in der Begegnung zwischen der ursprünglichen Bevölkerung des Amazonas-Regenwalds und Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft, daß erstere dabei alles verlieren, was sie haben, ihren Zusammenhalt, ihre Sprache und Kulturtechniken und irgendwann auch die Erinnerung daran, daß das Leben der Ahnen vollkommen anders abgelaufen war.

Auf nur einem einzigen Hektar der ITT-Region leben mehr verschiedene Arten als in ganz Nordamerika. Sie leben da, weil sie geschützt sind. Mit dem Aufbau der Erdölinfrastruktur jedoch geht dieser Schutz verloren, und man weiß viel zu wenig darüber, wie die Tiere darauf reagieren werden.

Die Initiative Ecuadors hätte Vorbild sein können. Einen Staat dafür zu bezahlen, daß er gewissermaßen nichts tut, indem er fossile Brennstoffe im Boden beläßt, mag aus der Sicht der auf schnellen Profit ausgerichteten, neoliberalen Gesellschaften kein plausibles Geschäftsmodell sein. Doch einzigartig ist die Idee gar nicht. Beim Emissionszertifikatehandel der Europäischen Union wird ebenfalls das Nichtstun, die Vermeidung von Treibhausgasemissionen, bezahlt.

Es bleibt der Spekulation überlassen, warum die Yasuní-Initiative gescheitert ist. Möglicherweise hat es mit dem politischen System des sozialistisch orientierten Landes zu tun oder auch damit, daß Ecuador als erstes Land die Natur als Rechtssubjekt anerkannt und damit - zumindest theoretisch - dem Extraktivismus Zügel angelegt hat. Ecuador hat auch den von Bolivien angestoßenen Cochabamba-Prozeß mitgetragen. In der gleichnamigen bolivianischen Großstadt wurde 2010 ein Klimagipfel veranstaltet, der sich klar als Alternative zu dem im Jahr zuvor auf ganzer Linie gescheiterten UN-Klimagipfel von Kopenhagen positioniert hat.

Der heutige Präsident Ecuadors, Lenín Moreno, hat zwar im vergangenen Jahr zugesagt, daß die Regierung die lokalen Gemeinden künftig stärker einbeziehen will, bevor neue Bergbaukonzessionen erteilt werden, doch der aktuelle Schritt läßt vermuten, daß den schönen Worten keine entsprechenden Taten folgen. Der Anteil Ecuadors an den global ausgestoßenen Treibhausgasen liegt weit unterhalb beispielsweise Deutschlands oder auch nur der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika. Insofern gibt es sehr viel bedeutendere Emittenten als das kleine südamerikanische Land. Die Welt würde nicht daran genesen, sollte es sich bei der Erdölförderung zurückhalten. Doch ohne solche kleinen Schritte sind größere Strecken wohl kaum zu bewältigen. Es wäre wünschenswert, könnte Ecuador auf die Erdölförderung zumindest im Yasuní-Nationalpark verzichten.


Fußnoten:

[1] https://amerika21.de/2018/01/193447/neue-bohrungen-yasuni-nationalpark-ecuador

[2] http://amazonwatch.org/news/2018/0110-new-round-of-oil-drilling-goes-deeper-into-ecuadors-yasuni-national-park

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0147.html

[4] https://www.theguardian.com/world/2013/aug/16/ecuador-approves-yasuni-amazon-oil-drilling

19. Januar 2018


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