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RESSOURCEN/215: Europa - folgenschwerer Palmölrausch ... (SB)




Rechts und links eines regenpfützennassen Lehmwegs gerodete Waldflächen - Foto: H Dragon, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Rodung für Palmenplantage auf Sumatra, Indonesien Foto: H Dragon, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Im September 2017 hat die Europäische Union die Klage einer Gruppe von Staaten unter Führung Argentiniens und Indonesiens gegen Zölle auf Biodiesel vor der Welthandelsorganisation (WTO) verloren. Anschließend nahm der EU-Import von besonders umweltschädlich produziertem Biodiesel aus argentinischem Sojaanbau und indonesischen Palmölplantagen erheblich zu.

Die Biospritpolitik der EU ist gescheitert, denn es wurden nur halbherzige Umweltbestimmungen erlassen, berichtet Kristina Wittkopp von der Organisation Transport & Environment (T&E). Die Nachhaltigkeitsexpertin geht davon aus, daß die EU durchaus eine gegebenenfalls weitere WTO-Klage erfolgreich bestehen kann, wenn sie die Einfuhr von nicht nachhaltig produziertem Biodiesel mit der Begründung des Umweltstandards eines "zu hohen Entwaldungsrisikos" zurückweisen würde [1].

Am 4. April 2017 hatte das Europäische Parlament beschlossen, Diesel aus Palmöl ab 2020 von der EU-Liste für saubere Treibstoffe zu streichen, "um den Umweltauswirkungen der nicht nachhaltigen Palmölproduktion entgegenzuwirken, wie z. B. Abholzung wertvoller Urwälder und Verlust von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere vor allem in Südostasien" [2].

Zwar können Konsumentinnen und Konsumenten bei Lebensmitteln anhand der Kennzeichnung selber entscheiden, ob sie eine Ware kaufen, die Palmöl enthält, beim Treibstoff hingegen läßt sich die Herkunft nicht bestimmen. So hatte die EU-Kommission bereits am 30. November 2016 vorgeschlagen, sich von unnachhaltig produziertem Biosprit zu verabschieden [3].

Allerdings verletzt die EU in diesem Punkt ihr Kohärenzgebot, das vorsieht, daß die verschiedenen Institutionen der Union nach außen hin homogen auftreten, also möglichst an einem Strang ziehen. Das tut sie in diesem Fall ganz und gar nicht, denn zugleich hat die für Handel zuständige Generaldirektion Gespräche unter anderem mit Argentinien und Indonesien über ein gemeinsames Freihandelsabkommen geführt. Eines der wichtigsten Ziele beider Länder, weswegen sie überhaupt ein Interesse daran haben, in solche Verhandlungen einzutreten, besteht darin, die Exportkosten für Soja- bzw. Palmöl und Biodiesel zu verringern.

Wie Kristina Wittkopp in einem kurzen geschichtlichen Rückgriff darlegte, hatte das Biodieselmandat der EU im Jahr 2009 zu einem rasanten Anstieg des entsprechenden Bedarfs geführt, der daraufhin immer mehr von Argentinien und Indonesien gestillt wurde. Vier Jahre später erhob die EU Antidumpingzölle, um den Zustrom billigen Biodiesels zu unterbinden. Daraufhin gingen die Importe aus jenen beiden Ländern beinahe komplett auf Null zurück. Der Gewinner dieser Handelsmaßnahmen war indes ausgerechnet das ökologisch problematische Palmöl, dessen Importe um 70 Prozent zulegten.

Aufgrund der verlorenen Klage vor dem WTO-Schiedsgericht mußte die EU ihre Antidumpingzölle auf Biodiesel aus Argentinien von zuvor 22 bis 25 Prozent auf vier bis acht Prozent zurücknehmen. Der anschließende Anstieg von Biodieselimporten aus Argentinien war enorm, er wuchs von nahezu Null (2016) auf 738.000 Tonnen im Zeitraum September 2017 bis Februar 2018 an. Man kann davon ausgehen, daß in diesem Jahr mehr Biodiesel aus dem südamerikanischen Land in die EU ausgeführt wird als jene 1,5 Mio. Tonnen, die es vor der Verhängung von Antidumpingzöllen in EU-Länder exportiert hat. Bei indonesischem Palmöl wird das gleiche geschehen, sobald die Zölle neu festgelegt worden sind, vermutet Wittkopp.


Älterer Orang-Utan hängt im Geäst eines Laubbaums - Foto: Lip Kee, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Der Lebensraum von Orang-Utans in Indonesien wurde aufgrund von Entwaldung drastisch reduziert.
Rehabilitierter Orang-Utan bei Bukit Lawang, nahe Medan, in Nordsumatra.
Foto: Lip Kee, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Mit ihrer Biospritpolitik trägt die Europäische Union Mitverantwortung dafür, daß argentinische Großgrundbesitzer Soja für den Export anbauen und die eigenen Arbeiter sowie an die bewirtschafteten Felder angrenzende Dörfer und Gemeinschaften per Flugzeug mit Agrochemikalien besprühen lassen, so daß die Bewohnerinnen und Bewohner erkranken; und auch Mitverantwortung dafür, daß in Indonesien Wälder gerodet und deren menschliche und tierische Bewohner vertrieben werden, damit dort Plantagen mit Palmen angelegt werden, und daß in Deutschland eine Vermaisung der Landschaft stattfand, was wiederum zum Rückgang der Artenvielfalt beigetragen hat. Auch an der Verschärfung der globalen Flächenkonkurrenz von landwirtschaftlichem Anbau für Nahrung und für Biosprit hat die EU ihren Anteil.

Die meisten der hier angesprochen Probleme würden gar nicht erst entstehen, wenn die politischen Entscheidungsträger in der Europäischen Union und den Nationalstaaten nicht den Individualverkehr fördern würden, der per se klima- und umweltschädlich ist und eine gesundheitliche Belastung vor allem für die städtische Bevölkerung darstellt. Was den Treibstoffverbrauch betrifft, sind öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn pro Personenkilometer sehr viel effizienter als Autos, in denen zumeist auch nur eine Person fährt. Gesamtgesellschaftlich gerechnet würde bei einem geringer werdenden Verbrauch in Folge eines politisch geförderten Wechsels auf öffentliche Verkehrsmittel jener Anteil am Biodiesel steigen, für den nicht eigens in vielen tausend Kilometern Entfernung Soja und Palmen angebaut werden, sondern der aus organischen Abfallstoffen generiert wird, die ansonsten kaum anders zu verwerten sind.

Bis zum Jahr 2007 gab es in der Europäischen Union extensive Landwirtschaft, das heißt, es wurden etwa zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen gezielt aus der Nutzung herausgenommen. Dort konnten Wildkräuter, Insekten, Vögel und andere Tiere gewissermaßen Zuflucht finden. In Deutschland war das auf mehr als 800.000 Hektar der Fall. Dann beschloß die EU, jene Brachflächen für den Energiepflanzenanbau freizugeben. Innerhalb eines Jahres halbierte sich die Brachfläche und schrumpfte in den Folgejahren weiter zusammen. Um einen Blick auf die Folgen der desaströsen EU-Biospritpolitik zu werfen, muß man weder nach Argentinien noch nach Indonesien schauen. Das Drama entfaltet sich vor der eigenen Haustür: Insekten und Vögel verschwinden aus der Landschaft.


Fast bis zum Horizont reichendes Sojafeld - Foto: Arielex, gemeinfrei

Soja wird häufig in Monokultur angebaut. Sojafeld bei Paso de La Arena, Argentinien.
Foto: Arielex, gemeinfrei


Fußnoten:


[1] https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/opinion/eu-unable-to-contain-explosion-in-unsustainable-biodiesel-imports/

[2] http://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20170329IPR69057/abgeordnete-fordern-verzicht-auf-palmol-in-biodiesel-ab-2020

[3] https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/1_en_act_part1_v7_1.pdf


4. Mai 2018


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