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RESSOURCEN/223: USA - Not und Profit Arm in Arm ... (SB)



Wie bekommt man Menschen dazu, daß sie Arbeiten verrichten, die körperlich ruinös sind und absehbar zu so schweren Schädigungen führen, daß sie mit dem Tod enden? Der Mechanismen, Hebel und übrigen Zwangsmittel gibt es viele, und sie haben sich seit so langer Zeit bewährt, wie die Vergesellschaftung des Menschen alt ist. Der Kohlebergbau zum Beispiel. Während vor kurzem in Deutschland das Ende des Steinkohlebergbaus unter Teilnahme des höchsten Repräsentanten der Regierung abgefeiert wurde und dieser die Kumpel heroisierte ähnlich wie ansonsten "unsere" Soldaten für ihren mutigen Einsatz fürs Vaterland, wird aus den Vereinigten Staaten eine tödliche Epidemie unter Bergleuten gemeldet. Angeblich wurde die Massenerkrankung von den Behörden nicht erkannt. Zu Tausenden haben sich die Menschen Staublunge und Silikose eingehandelt und werden in absehbarer Zeit sterben, schlimmer noch, sie werden elendig verrecken, nachdem ihre Lunge mehr und mehr ihre Funktion einbüßt, selbst dann noch, wenn die Betroffenen den schädlichen Einflüssen bereits seiner längerer Zeit nicht mehr ausgesetzt sind.

Mehrere Jahre lang haben NPR, der Nationale öffentliche Radiosender der USA, und PBS, sein Pendant im Bereich Fernsehen, zum Thema des tödlichen Kohlestaubs recherchiert. Die typischen Lungenerkrankungen der Kohlebergbaugeschädigten tragen Namen wie Anthrakose (Ablagerungen von Rußpartikeln), Silikose (Ablagerungen von Gesteinsstaub), Anthrasilikose (Ablagerungen von Ruß und Silikatstaub), Pneumokoniose (entzündliche Reaktion der Lunge auf Quarzstaub), Lungenfibrose (Vernarbung des Lungengewebes). Diese nur ausschnittweise wiedergegebene diagnostische Ausdifferenzierung von Lungenschädigungen in Folge verschiedenartiger Staubbelastungen liefert schon einen ersten Hinweis darauf, daß das Krankheitsbild unter Bergleuten und anderen Industriearbeitern häufiger vorkommt und daß dazu durchaus umfangreiche medizinische Forschungen existieren dürften.

NPR berichtet von einem Mann, der an fortgeschrittener Lungenfibrose erkrankt ist und kaum noch körperliche Arbeit verrichten kann. Rasenmähen an einem Stück liegt nicht mehr drin. Nach wenigen Minuten muß er unterbrechen und abhusten. Aus seinem Mund kommt schwarzer Schleim. Sein Lungengewebe stirbt rasend schnell ab, berichtete der behandelnde Arzt.

Zwölf Jahre lange hatte der Mann unter Tage gearbeitet, und seine Lunge sieht bereits so aus wie die anderer Kumpel, die jahrzehntelang den fossilen Energieträger aus dem Berg stemmen mußten. Diese Art der Schädigung ist schon seit über hundert Jahren unter Bergleuten in den Kohleabbaugebieten der Appalachen bekannt. Warum sich der Mann dem Bergbau verschrieben hat, obgleich schon sein Vater an Lungenfibrose erkrankt war, dieser Frage geht NPR bedauerlicherweise nicht nach. Dennoch erweisen sich die jahrelangen Recherchen als entlarvend. Denn laut einem Bundesüberwachungsprogramm waren zwischen 2011 und 2016 "nur" 99 Fälle von fortgeschrittener Lungenfibrose unter Bergleuten aufgetreten. NPR und PBS fanden jedoch heraus, daß im selben Zeitraum mehr als 2000 Bergleute daran erkrankt waren, und diese Zahl bezieht sich nur auf fünf Bundesstaaten in den Appalachen.

Darüber hinaus hat eine Auswertung der Daten aus dem Staub-Monitoring der Bundesregierung ans Tageslicht gebracht, daß die "klaren Gefahrenhinweise" von den zuständigen Behörden nicht erkannt worden waren. Seit Jahrzehnten besaßen sie die Beweise für die exzessive und giftige Staubbelastung. Die Bundesbehörden wüßten davon, daß die Menschen sterben, und seien auch aufgefordert worden, Maßnahmen dagegen zu ergreifen, hätten dies aber unterlassen. "Wir haben versagt", kommentierte Celeste Monforton, Doktor für öffentliche Gesundheit, die Rechercheergebnisse. "Bergleute in so jungen Jahren an den Folgen der Exposition sterben zu lassen, die vor 20 Jahren geschah ... Ich meine, das ist ein so eklatantes und unverblümtes Beispiel für das Versagen der Regulierungsbehörden."

Doch wie konnte es zu dem "Versagen" kommen? Welche Interessen haben da womöglich hineingespielt, daß erst die Medien eine Epidemie an fortgeschrittener Lungenfibrose unter Bergarbeitern entdeckt haben? Hat man vielleicht von offizieller Seite interessenbedingt nicht so genau hingeschaut? Auch diese Fragen bleiben letztlich offen.

Scott Laney, Epidemiologe am National Institute for Occupational Safety and Health, spricht ebenfalls von einer "Epidemie" und daß diese sicherlich "eine der schwersten industriellen Gesundheitskatastrophen" ist, die jemals beschrieben worden sei: "Wir zählen Tausende von Fällen, Tausende und Tausende und Tausende Fälle von schwerer Lungenfibrose. Tausende von Fällen in ihrer schwersten Form. Und wir haben noch nicht aufgehört zu zählen."

Die Schädigung ist tückisch. Es fängt mit leichten Atembeschwerden an, körperliche Arbeiten bringen die Menschen zum Keuchen. Dann werden die Aktivitäten der Betroffenen mehr und mehr reduziert, selbst im Sitzen können sie kaum atmen, schildert der Lungenfacharzt Dr. Robert Cohen von der University of Illinois in Chicago die Stadien der Schädigung. Schließlich müssen die Erkrankten ans Sauerstoffgerät, und wenn selbst dieses nicht mehr genügend Sauerstoff nachliefert, ersticken die Menschen qualvoll.

Der mit Quarz angereicherte Staub ist um den Faktor 20 gefährlicher als Kohlestaub und beschleunigt die Erkrankungsgeschwindigkeit. Deshalb sind inzwischen nicht die altgedienten Kumpel, sondern schon die 30- bis 40jährigen betroffen. In den Appalachen waren in den letzten drei Jahrzehnten die größten Kohleflöze ausgeschöpft worden, was bedeutete, daß der Anteil an Gestein, durch das sich die Maschinen hindurchfräsen mußten, um die Kohle zu gewinnen, zugenommen hat.

Mehrere von NPR zitierte Experten erklärten, daß die Epidemie hätte vermieden werden können, wenn man nur das Phänomen erkannt hätte. Daß dies nicht geschah, hat anscheinend auch mit dem indirekten Verfahren zum Nachweis von Quarzstaub zu tun, wie NPR berichtete. Die Methode sei unzuverlässig. Die Daten aus drei Jahrzehnten zeigten indessen, daß die Arbeiter an die 9.000mal einer gefährlichen Menge an Silikat- oder Quarzstaub ausgesetzt waren, und zwar selbst dann noch, nachdem die Minenbetreiber aufgefordert worden waren, die Grenzwerte der Staubbelastung zu senken.

Neben weiteren Beispielen, die einerseits die Unzulänglichkeit der Messungen und andererseits das Wegschauen der Behörden belegen, wird in dem NPR-Bericht geschildert, daß den Bergleuten ausgerechnet in einigen Phasen der stärksten Silikatstaubexposition gestattet worden war, ohne jede Überwachung zu arbeiten. Geradezu menschenverachtend ist nämlich die Bestimmung, daß die Unternehmen für Bergarbeiten, bei denen keine Kohle abgebaut wird, auch keine Überwachungssysteme für giftige Stäube installieren müssen. Diese Gesetzeslücke hat die Kohlebergbauindustrie anscheinend kaltschnäuzig ausgenutzt. Wenn sich die Bergleute zunächst nur durch Gestein in Richtung eines Kohleflözes vorarbeiten mußten, wurde kein Staubmonitoring betrieben. Obwohl doch, wie gesagt, Silikatstaub viel gefährlicher ist als der Staub aus dem reinen Kohleabbau.

Zu all dem kommt hinzu, daß die Staubmasken, die zu tragen niemand verpflichtet ist, oftmals nicht richtig funktionierten. Hatten sie sich mit Staub, Schweiß und Speichel zugesetzt, bekamen die Bergleute keine Luft und nahmen die Masken lieber ab, um besser arbeiten zu können. Inzwischen sollen zwar die behördlichen Auflagen zur Staubbelastung verbessert worden sein, aber lückenlos ist die Überwachung nach wie vor nicht, und so wird man frühestens in rund zehn Jahren erfahren, ob die Schutzmaßnahmen gewirkt haben.

Die Bergbauunternehmen haben jahrzehntelang gute Geschäfte gemacht und hohe Profite eingefahren. Den Preis dafür mußten die Bergleute bezahlen. Vielleicht wähnten sie sich als besonders harte Jungs, vielleicht lockte das feste Einkommen in der strukturschwachen Region der Appalachen, vielleicht glaubten einige Kumpel tatsächlich an die Propaganda des Bergarbeiterhelden, vielleicht aber auch verdingten sie sich deshalb als willige Arbeitssklaven, weil alle Beteiligten, die davon wußten, das extrem hohe Erkrankungsrisiko verschwiegen haben. Durch die teils klammheimliche, teils offene Kumpanei von Unternehmen, Behörden und Medizin, insbesondere Arbeitsmedizin, wurde ein Umfeld geschaffen, das den Bergleuten die Hoffnung gab, die schädigenden Einflüsse würden schon irgendwie von ihnen abprallen. Sie haben sich geirrt.


Fußnote:

[1] https://www.npr.org/2018/12/18/675253856/an-epidemic-is-killing-thousands-of-coal-miners-regulators-could-have-stopped-it

28. Dezember 2018


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